Apple Apps: Das Großreinemachen
Schmutziges, schmutziges Handy! Ganz schmierig und vollgetatscht! Eine US-Softwarefirma bot da bis vor kurzem zumindest virtuelle Abhilfe. In einem App, einer kleinen, über das Internet erhältlichen Anwendung für iPhone, iPod Touch und demnächst auch iPad, putzte ein spärlich bekleidetes Model mit Schwamm und Seifenschaum die iPhone-Scheibe blank.
Das ist jetzt nicht mehr erlaubt. In den vergangenen Wochen hat Apple seinen „App Store“ von mehr als 5000 Nackedei-Anwendungen gesäubert – ohne die jeweiligen Anbieter im Vorfeld darüber zu informieren. „No Nipples“ heißt die Parole. In Deutschland waren Busen-Angebote der „Bild“-Zeitung und Bildergalerien des „Stern“ betroffen. „Bild Digital“-Geschäftsführerin Donata Hopfen mailte an den Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Ihre Angst: „Heute sind es nackte Brüste, morgen vielleicht redaktionelle Artikel.“
Der Verband nimmt diese Angst vor Zensur ernst: „Wir kritisieren das Verhalten von Apple als unfair, willkürlich, geschäftsschädigend und für die Pressefreiheit gefährlich“, heißt es in einem Positionspapier. Was als Unterdrückung von zu viel Nacktheit möglicherweise noch vertretbar sei, könne „morgen schon viel weiter gehen und andere für Apple missliebige Inhalte betreffen. Das müssen wir heute thematisieren und verhindern.“
Auf der Vorstandssitzung des Verleger-Weltverbandes am Mittwoch in Berlin will VDZ-Chef Wolfgang Fürstner seine internationalen Mitspieler für das Thema sensibilisieren. Die Position des VDZ: „Transportplattformen“ wie Apple dürften sich keinen redaktionellen Einfluss anmaßen. Hier zeigten sich die Gefahren des Rollenwandels einstmaliger Technologieanbieter hin zu Informationsunternehmen. Dem müssten die Verlage sich politisch und unternehmerisch – etwa durch den Aufbau eigener E-Publishing-Plattformen – entgegenstellen.
Fürstner betont, dass er jede Rücksichtnahme auf moralische oder religiöse Sensibilitäten respektiere. Der Umgang mit Inhalten müsse aber „transparent und berechenbar“ sein und – etwa in den allgemeinen Geschäftsbedingungen oder in individuellen Verträgen – eindeutig geregelt werden. Es dürfe nicht der Eindruck von Willkür entstehen. Der VDZ fordert Apple auf, „sich zu den Vorwürfen zu äußern, seine Maßstäbe offenzulegen, klar und transparent vorzugehen, zu kooperieren und Macht nicht zu missbrauchen.“
Apple gibt sich derweil zugeknöpft. Der deutsche Konzernsprecher Georg Albrecht kommentiert die VDZ-Forderungen nicht. Zur App-Politik gibt es nur ein karges Statement: „Code, Inhalt und Funktionsweise werden vorab geprüft. Nicht erlaubt sind Anwendungen mit beispielsweise pornografischen, illegalen oder die Privatsphäre verletzenden Inhalten oder welche, die arglistige Hindergründe haben. Detailliertere Kommunikation zwischen Apple und Entwicklern unterliegt einer Vertraulichkeitsvereinbarung.“
Ansonsten verweist Albrecht lediglich auf einen Artikel in der „New York Times“ („NYT“). Die Frage, warum Angebote des „Playboy“ oder die Bikini-Apps des Magazins „Sports Illustrated“ auch nach der Löschaktion erhältlich sind, wird darin von US-Marketingchef Philip W. Schiller damit begründet, dies seien „bekannte Unternehmen mit zuvor publiziertem Material, das weithin in akzeptiertem Format erhältlich ist“. Etablierte Häschen ja, No-Name-Miezen nein – da kann durchaus der Eindruck von Willkür entstehen. Zumal Schiller erklärt, der Grund für Apples Zensuraktivitäten sei die zunehmende Zahl von Apps mit „anstößigem Inhalt“ gewesen. Frauen hätten sich ebenso beschwert wie besorgte Eltern.
Auf den Vorwurf, die Löschung von Angeboten sei ein wirtschaftlicher Schlag für die Softwarefirmen, sagte Schiller der „NYT“, die Entwickler seien wichtig. „Doch wir müssen die Bedürfnisse der Kinder und Eltern voranstellen.“ Schließlich will man keine Kunden abschrecken, jetzt, wo Apple immer stärker auf den Mainstreammarkt drängt. Der iPod Touch sei bei Kindern und Teenagern populär, zitiert die „NYT“ den Analysten Gene Munster. Und das kurz vor der Markteinführung stehende iPad soll als Familiengerät und Lernmittel in Schulen punkten. Dies wird schwierig, wenn das Angebot der beliebten Zusatzprogramme – mehr als drei Milliarden Apps wurden laut Apple bis Januar heruntergeladen – voller Schmuddelkram ist. „Am Ende geht es um die Marke“, sagt Munster. „Und die will man quietschsauber halten.“
Der Artikel von Jan Oberländer erschien im gedruckten Tagesspiegel am 27.02.2010