Deutschland hat die vielfältigste Presselandschaft
Wie war 2016 für die Zeitschriftenverlage?
Ein anspruchsvolles Jahr in herausforderndem Umfeld. Auf eine VDZ-Umfrage zur Investitionsbereitschaft haben am Jahresanfang über 50 Prozent der Verlage prognostiziert, mindestens vier neue Titel zu launchen, in bekannten Segmenten und in neuen. Wir zählen 2016 tatsächlich rund 150 neue Titel, und da kommen noch hunderte von Sonderheften dazu. Rund 50 Zeitschriften wurden vom Markt genommen. Es wird investiert und zwar in fast allen Segmenten. Die Fachpresse hat wieder ein gutes Jahr gehabt, sie wächst seit 2009 kontinuierlich und ist ein unverzichtbarer Begleiter der deutschen Wirtschaft. Der VDZ hat mit über 490 Verlagen einen neuen Höchststand bei den Mitgliedern.
Wo tut sich besonders viel bei neuen Titeln? Was waren die wichtigen Trends?
Die Stärken der Zeitschriften liegen im Erscheinungsintervall, das den Menschen mehr Zeit gibt, im Storytelling, der Verbindung von Text und Bild und der Möglichkeit, jeden Themen bereich zu bespielen. Ein erfolgreiches Beispiel sind die Mindstyle-Magazine, Psychologietitel, die Entspannen, Lean-Back ermöglichen und Zeit für sich selbst schenken. Konstruktiver Journalismus, der das Glas halb voll sieht und damit ein Grundbedürfnis der Menschen anspricht. Aber auch solche "Lust-Themen" wie Garten, Kochen - bis zu den ausgesprochen erfolgreichen Thermomix-Magazinen.Und dann der Sportbereich, mit Extremsportmagazinen, neue Männertitel, die neben Auto und Fußball ganz neue Seiten ansprechen. Es gibt mittlerweile sogar ein Magazin, das heißt "No sports".
Nimmt die Zahl der neuen Zeitschriften kontinuierlich zu?
Ja, jedes Jahr kommen neue Titel dazu. Es gibt rund 50 Prozent mehr Titel als vor fünfzehn Jahren. Die Verlage machen mit Titeln, die jünger sind als zehn Jahre, über 50 Prozent der Umsätze. 2016 haben wir einen Höchststand an Neuerscheinungen, die Verlage sind noch einmal agiler geworden und nehmen Marktchancen schnell war.
Thema "Lügenpresse" - trifft der Vorwurf Zeitschriften, gerade die nicht politischen, weniger als andere Medien?
Es gibt in Deutschland keine gleichgeschaltete "Lügenpresse" - wir haben die vielfältigste Presselandschaft. Diese Vielfalt findet sich am Kiosk und auch im Presseangebot im Internet. Der Vorwurf "Lügenpresse" - übrigens ein politischer Kampfbegriff aus der Weimarer Zeit - betrifft jede Form von Journalismus, weil er am Fundament rüttelt, das auch für jede Zeitschrift wichtig ist: Vertrauen und Relevanz. Wir nehmen das Thema sehr ernst. Den Lügenpressevorwurf kann man auf jedes Thema übertragen: Glaub bloß nicht den Tests der Automobilzeitschriften, trau ja nicht den Virentests der Computermagazine. Es ist nicht nur die politische Presse betroffen. In Deutschland hat jeder das Recht auf seine eigene Meinung und kann die auch deutlich sagen, schreiben oder auf Demonstrationen vertreten; aber niemand hat das Recht auf eigene Fakten.
Was können die Verlage gegen den "Lügenpresse"-Vorwurf tun?
Flagge zeigen. Die VDZ-Kampagne für Presse- und Meinungsfreiheit läuft seit den Anschlägen auf Charlie Hebdo. Die Redaktionen und Verlage müssen ihre Arbeit und Leistung noch besser erklären. Es gibt Redaktionen, die haben Werkstattseiten, die erläutern, wie aufwändig an einem Thema recherchiert wurde, mit wie viel Leuten daran gearbeitet, mit wie vielen Zeugen geredet werden musste, bevor die Story stand. Der Leser weiß nicht automatisch, dass oft monatelange Vorbereitungen und Recherchen in den Geschichten stecken, dass investigative Stories anspruchsvoll und teuer sein können. Der Leser mag denken, die Journalisten können beispielsweise einfach in den Vatikan gehen - "es gab vor kurzem eine sehr exklusive Vatikan-inside-Fotostory" - und schreiben dann drei, vier nette Seiten. Tatsächlich steckt in so einer Geschichte ein Jahr Vorbereitung. Ich bin überzeugt, wenn Zeitschriften und Zeitungen ihren Lesern mehr Informationen zu ihrer Arbeit geben, fühlen sie sich ernst genommen und viele Argumente werden entkräftet. Der Kampf um die Aufmerksamkeit und das Vertrauen der Menschen wird in Zukunft noch härter - gerade für Medien, die auf Paid Content angewiesen sind.
Reagieren die Medien nicht längst auf die Kritik?
Ja, und es macht die Medien besser. Ich glaube, die journalistischen Formate einzuhalten, wird noch wichtiger, etwa deutlich Bericht und Hintergrund von Kommentar und Meinung zu trennen. Klar sagen, das ist Meinung und hier sind die Fakten. Das nimmt auch denen, die die Presse pauschal der Lüge bezichtigen und vor allem mit selbstgestrickten Fakten attackieren, den Wind aus den Segeln. Auch Fehler zuzugeben gehört dazu - je souveräner desto besser.
Thema ermäßigter Mehrwertsteuersatz für digitale Medienangebote - wie ist der Stand da?
Presse, egal ob gedruckt oder digital, hat die gleichen Rechte und Pflichten - deshalb ist es nur ein normaler Schritt, die Presse unabhängig vom Verbreitungsweg steuerlich gleich zu behandeln. Der Vorschlag der EU-Kommission dazu ist sehr positiv. Jetzt müssen allerdings noch alle Finanzminister der Mitgliedsstaaten zustimmen. Deshalb noch einmal der dringende Aufruf an die Bundesregierung, den unterstützenden Kurs beizubehalten und das Thema aktiv mit zu gestalten. Es ist noch nicht durch - nicht in allen Staaten genießt die Presse solch eine Wertschätzung wie in Deutschland.
Warum ist die reduzierte Mehrwertsteuer für den Digitaljournalismus so wichtig?
Man sieht, wie viele Innovation und neue Titel wir im Printbereich haben. Investitionen sind auch im Digitalen notwendig, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die digitalen Geschäftsmodelle sind viel komplexer und anspruchsvoller. Die Reichweiten sind fantastisch, bei den Umsätzen ist aber noch deutlich Luft nach oben. Amazon, Google, und Facebook vereinigen mittlerweile 70 Prozent der globalen Werbeerlöse im Digitalen auf sich. Paid Content, wird deshalb immer wichtiger. Es ist höchste Zeit, dass die reduzierte Mehrwertsteuer für die digitale Presse kommt. Es ist schon bemerkenswert, dass man 2016 immer noch darüber diskutieren muss. Die Geschäftsmodelle müssen ohnehin funktionieren - ohne steigende Umsätze gibt es keinen positiven Effekt. Die Vertriebserlöse im Digitalen wachsen stetig. Und bei der Finanzierung neuer Angebote kommt es auf jeden Euro an.
2016 haben eine Reihe von Verlagen Paid-Content-Modelle eingeführt - wie geht es da voran?
Wir kommen tatsächlich langsamer voran, als sich das viele gewünscht haben, weil die Alles-ist-umsonst-Kultur so weit entwickelt ist. Es gibt schon viele Special-Interest-Medien mit klugen Bundle-Angeboten - ein Abo für alles, Print, Websites, Mobile, Services. So wie es auch der "Economist" macht. Wir haben in Deutschland allerdings etwas, was uns von allen Ländern, auch den USA unterscheidet, einen extrem starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Natürlich sind die "Tagesschau", das "heute-journal", die "Sportschau" sehr starke Marken, die im Digitalen ausgesprochen presseähnliche Angebote in großem Stil anbieten. Damit dehnen sie ihren Auftrag weit über die Schmerzgrenze hinaus aus. Die meisten privat-wirtschaftlich finanzierten Medien tun sich deshalb mit einer harten Paid-Content-Strategie schwer. Die "Washington Post", die "New York Times" haben keine öffentlich-rechtliche Konkurrenz. Auch deshalb hat die "New York Times" mittlerweile mehr als eine Million Online-Abonnenten.
Wie sieht die Zeitschriftenbranche die wahrscheinliche Änderung beim Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen?
Wir sind optimistisch, dass das in dieser Legislaturperiode noch passiert, 2017 ist ein gutes Jahr dafür. Das würde Kooperationen der Verlage erleichtern bei Anzeigen, Vertrieb, gemeinsamen Plattformen, "Maschinenraumthemen", bei denen auch viele Wettbewerber zusammenarbeiten können.
Sind solche Kooperationen das Standardmodell der Zukunft?
Es ist wichtig, dass man auf jeden Fall die Option dazu hat. Wir haben im VDZ fast 500 Mitglieder, der Großteil inhabergeführter Mittelstand, die stehen für Wettbewerb. Und um uns herum gibt es viele Marktbeherrscher etwa bei den sozialen Netzwerken, bei den Suchmaschinen oder auch den Mediaagenturen. Globale Netzwerkeffekte und Venture-Strategien, die riesige Summen in "the winner takes it all"-Strategien investieren, beschleunigen diese Entwicklung. Die Gesetzesänderung ist ein weiterer Baustein für fairen Wettbewerb, um die Vielfalt der Deutschen Zeitschriftenverleger mit rund 6000 Zeitschriftenmarken zu erhalten.
Das Interview führte Andreas Heimann, dpa.