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Die Geburt der Generation Paid Content

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Aus unserem VDZ Jahrbuch 2013: DR. ANDREAS WIELE, Vorstand Bild-Gruppe und Zeitschriften Axel-Springer AG und Mitglied im Vorstand der Publikumszeitschriften (PZ) im VDZ

Mosaic, der erste grafikfähige und kostenlose Webbrowser, hat im Jahre 1993 die digitale Massenrevolution eingeläutet. 20 Jahre später ist bereits ein Drittel der Weltbevölkerung im Internet. Ganze Industrien und Reichtümer sind geschaƒen, andere vernichtet oder stark angeschlagen worden. Viele Branchen und Unternehmen stehen heute vor der Schicksalsfrage: Gibt es eine Zukunft„ für mein Geschä„ftsmodell?

DIE MUSIKINDUSTRIE UND DIE FOLGEN DER DIGITALEN REVOLUTION

In kaum einem Segment der Kreativwirtschaft„ hat der digitale und technische Wandel so tiefe Spuren hinterlassen wie in der Musikbranche. Der deutsche Musikmarkt ist gegenüber seinem Höchststand von 2,75 Milliarden Euro im Jahr 1997 um 40 Prozent auf derzeit 1,67 Milliarden Euro Umsatz eingebrochen.

Dabei traf das WWW die Musikbranche völlig unvorbereitet, hatte doch die vorhergehende technische Revolution, die CD, den Musikmultis einen ungeahnten Aufschwung bereitet. Dank des „Silberlings“ konnte die Branche ihren Kunden die gleiche (und neue) Musik einfach noch einmal verkaufen, nur eben auf einem neuen Datenträger.

Mit der Erfindung des Internets schlugen die Verbraucher zurück. Es waren die Blütezeiten der illegalen Peer to Peer (P2P) Netzwerke. In Erinnerung geblieben ist Napster, das 2001 als bekanntestes P2P-Netzwerk die am schnellsten wachsende Community des Internets war: 80 Millionen Nutzer weltweit, davon waren 1,6 Millionen Nutzer ständig online. Tauschvolumen im Januar 2001: rund zwei Milliarden Dateien. Verdient haben an diesem Geschä„ftsmodell allerdings nur die Plattformbetreiber über Bandbreitenabos und Werbeschaltungen auf den Seiten. Die Musikproduzenten und die Künstler gingen fast ausnahmslos leer aus.

Die Musikindustrie versuchte in diesen Anfangsjahren lediglich, Musik-Piraterie mit Gesetzen und Gerichtsverfahren einzudämmen. Dabei wurde Musik schon lange nicht mehr nur über die Stereoanlage gehört – neue Medien wie mp3 Player, Smartphones und Laptops entstanden als neue Abspielkanäle und eröffneten neue Chancen.

Es gelang bekanntermaßen einem völlig Branchenfremden, dem Computerhersteller Apple, den Umbruch radikal zu nutzen. Dank eines ebenso schönen wie einfachen Abspielgerätes, einer intuitiven Benutzbarkeit und eines simplen Bezahlvorganges wurde das Kaufen von digitaler Musik leichter gemacht als das Klauen. Die Verbraucher zeigten sich begeistert und der Musikbranche blieb keine andere Wahl, als die stringente Preispolitik von Apple und den he„igen Erlösshare von 30 Prozent zu schlucken.

Heute hat Apples iTunes Store bereits 25 Milliarden Downloads zu verzeichnen. Trotz neuer Konkurrenz durch Flatfee- Streaminganbieter mit vielfältigen Abomodellen wie Spotify und zahlreichen Apple-Klonen mit geschlossenen oder oƒffenen Plattformen gibt es wenige Anzeichen dafür, dass das digitale Musikangebot des iPhone-Herstellers in der Gunst der Nutzer zurückfällt. Dabei ist besonders das Spotify-System einfach wie auch clever: Im Gegensatz zu mp3-Downloads wird die Musik nicht gekauft„, sondern nur gestreamt. Im Premiumabo ist Spotify für 9,99 Euro im Monat völlig werbefrei, zusätzlich können die Songs auch online am PC oder über das Smartphone abgespielt werden. Die beste Nachricht für die Rechteinhaber: Das schwedische Start Up wird in diesem Jahr rund 500 Millionen US-Dollar an sie auszahlen. Und das iTunes-Geschä„ftsmodell vielleicht doch schneller bedrohen, als es heute den Anschein hat.

CD, Napster, iTunes, Spotify – das Beispiel der Musikindustrie zeigt, dass der Weg von der Bezahl- zur Gratiskultur weder eine Gerade noch eine Einbahnstraße ist und der Kampf um das beste Geschäft„smodell noch lange nicht zu Ende ist.

VON DER „GENERATION KOSTENLOS“ ZUR PAID-CONTENT-EVOLUTION DER DIGITALEN VERLAGSBRANCHE

Die Zeitungs- und Zeitschri„enverleger versuchten erst gar nicht, für ihre Inhalte Geld zu verlangen. Dabei hatten die ersten Internetriesen, die Accessportale, allen voran AOL, ja durchaus ihr bezahltes Zugangsangebot mit Inhalten verknüpft„. Doch mit der Musikindustrie vor Augen machten die Verlage lieber „selber den Napster“ und hofften auf möglichst große Reichweiten und Werbeerlöse. Die sprudelten dann auch kräft„ig, aber leider weniger bei den Inhalteanbietern als vielmehr bei Google.

Doch es gab auch einige mutige Verlage, die auf die Kraft„ ihrer Inhalte und Marken vertrauten wie zum Beispiel das Wall Street Journal. So hat das WSJ schon 2001 ein Modell eingeführt, welches auch heute wieder in den Fokus gerät. Neben hochwertigem und fachspezifischem Content kann der WSJ-Kunde exklusive digitale Services kaufen. Auch die Financial Times gehört mit ihrem „frequency model“ zu den Vorreitern, bei dem die Leser nur eine limitierte Anzahl an Artikeln gratis lesen dürfen, bevor sie für weitere Artikel ein Abonnement erwerben müssen. Mit diesem Modell hatte die „.com in Großbritannien bereits 2009 110.000 zahlende Abonnenten.

Auch die Kombination von Content und Hardware kann funktionieren. Bereits in den 90er Jahren hat Bloomberg L.P. ein geschlossenes Computersystem entwickelt, das neben Echtzeitbörsenkursen zahlreiche detaillierte Finanz- und Marktanalysen anbietet. Diese Informationen kommen mit einem eigenen Endgerät, dem Bloomberg Terminal, das für eine ebenso astronomische wie unverhandelbare monatliche Gebühr von 1.500 US-Dollar pro Kunde zu mieten ist. Das Bloomberg Terminal ist damit zum Arbeitsgerät, aber ebenso zum Statussymbol der Banker und Finanzexperten geworden und hat Bloomberg L.P. zu einem jährlichen Umsatz von rund sechs Milliarden US-Dollar verholfen.

Nach der Finanz- und Wirtschaft„spresse, bei der ja häufig die Firma die Abokosten trägt, wagte mit der New York Times die erste große General-Interest-Tageszeitung 2011 den Schritt zum digitalen Bezahlangebot. Die bisherigen Ergebnisse sind sehr ermutigend. Die NYT hat in weniger als zwei Jahren beeindruckende 640.000 zahlende Abonnenten für das digitale Angebot gewinnen können. Und die kombinierten Vertriebserlöse aus den analogen und digitalen Verkäufen sind im Vergleich zu 2010, dem letzten Jahr vor der Einführung des Bezahlangebots, um über 100 Millionen Dollar gestiegen. Diesem Beispiel sind in den USA inzwischen über 80 Tageszeitungen gefolgt, manche mit, manche ohne Erfolg.

In Deutschland hat der Bewusstseinswandel später begonnen, wohl auch, weil der wirtschaft„liche Druck auf die Verlage erst später eingesetzt hat. Doch es ist in unserer Branche deutlich zu spüren, dass ein Paradigmenwechsel eingetreten ist. Mehr und mehr Verlage verlangen für Apps und E-Paper Geld. Im Dezember 2012 haben wir mit der Welt erstmals ein überregionales journalistisches Online-Angebot mit einem „metered model“ zahlpflichtig gestellt.

Der nächste Schritt folgt Mitte 2013 mit der Implementierung eines Premium-Modells für Bild, das neben vielen exklusiven journalistischen Inhalten als Zusatzangebot die Highlight-Clips jedes Spiels der 1. und 2. Fußball-Bundesliga bereits 60 Minuten nach Spielschluss bringen wird. Im Gegensatz zur Welt versuchen wir es hier mit einem Freemium-Modell, bei dem einige Inhalte immer kostenlos und andere immer bezahlpflichtig sind. Da wir Neuland betreten, wissen wir weder, ob wir erfolgreich sein werden, noch welches Angebot von unseren Kunden am besten angenommen wird. Deshalb experimentieren wir mit verschiedenen Lösungen und sind dabei auch bereit, Rückschläge in Kauf zu nehmen.

Mit diesen ersten Gehversuchen ist die Verlagsbranche momentan in ihrer Post-Napster-Phase und arbeitet auf Hochtouren für ihren „iTunes-Moment“. Das Beispiel der Musikbranche zeigt, wie stark Innovationen und neue Geschä„smodelle eine Branche vorantreiben können. Der „iPod der Verlage“ wird vielleicht das Ein-Euro-Tablet sein oder erst das biegsame elektronische Papier. Vielleicht wird es auch ein Spotify-Ansatz sein oder eine Art Content-Flatfee. In jedem Fall wird es ein langer Weg mit Verlierern, aber auch Gewinnern. Denn auch wenn der Kunde König ist, ist es der Unternehmermut und der Erfindergeist, der Märkte schafft und der aus einem kostenlosen Gut wieder einen großen Wert machen kann.

Die „Generation Paid Content“ kommt – und um dieser Generation zu geben, was sie braucht, ist es an der Zeit umzudenken.

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