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„Die Wahrheit zu sagen, wurde für meine Familie und mich gefährlich“

Daphne Caruana Galizia Düzen Tekkal Can Dündar Pressefreiheitskampagne Ján Kuciak MVFP impuls

Vom mutigen Journalismus in Pakistan ins Exil nach Deutschland: In der MVFP impuls spricht Anwar Shah über seine bewegende Reise, die Leidenschaft für seinen Beruf und die Bedeutung von Pressefreiheit für die Demokratie.

MVFP impuls | Anwar, du stammst aus Pakistan und hast in deinem Heimatland als Journalist gearbeitet. Warum bist du Journalist geworden?
Anwar Shah | Weil ich von klein auf eine große Leidenschaft für das Schreiben und die Suche nach der Wahrheit hatte. Schon in der Schule habe ich ohne Bezahlung für eine Lokalzeitung geschrieben und gemerkt, wie wichtig gut recherchierte Nachrichten für eine informierte Öffentlichkeit sind. Journalismus ist für mich nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung, die in meiner Heimat viel Mut erfordert. Aus dieser Leidenschaft heraus habe ich nach meinem Bachelorstudium meinen sicheren Job im Gesundheitsamt aufgegeben und mich für einen dreimonatigen Journalismuskurs an der Universität Peschawar eingeschrieben. Journalismus ist mein Leben, auch wenn er in Pakistan ein Spiel mit dem Feuer ist.

Worüber hast du berichtet?
Meine Berichterstattung konzentrierte sich auf die Aufdeckung tief verwurzelter gesellschaftlicher Probleme wie Korruption in der Verwaltung, Unterdrückung durch militante Gruppen wie die Taliban oder auch auf Frühehen – Themen, die die Menschen in meiner Heimatregion Kurram betreffen. Besonders gefährlich war meine Berichterstattung über Drohnenangriffe und die Verbindungen des Haqqani-Netzwerks zum pakistanischen Geheimdienst. Diese Themen brachten mich oft in Konflikt mit der pakistanischen Military Intelligence und dem Intelligence Bureau und führten zu zahlreichen Bedrohungen sowie zu Angriffen auf mein Leben und das meiner Familie.

Welche Situation hat dich dazu bewogen, nach Deutschland zu fliehen?
Das war ein schwerer, aber letztlich notwendiger Schritt, um mein Leben und das meiner Familie zu schützen. Nachdem ich wiederholt Drohungen vom pakistanischen Geheimdienst und militanten Gruppen erhalten hatte und sogar ein Handgranatenanschlag auf mein Haus verübt worden war, wurde mir klar, dass mein Leben in Pakistan nicht mehr sicher war. Besonders bedrohlich wurde es, als versucht wurde, meine Tochter zu entführen. Diese Ereignisse zwangen mich schließlich, Pakistan zu verlassen und Zuflucht in Deutschland zu suchen.

Wie hast du persönlich diese Einschränkung von Pressefreiheit erlebt?
Für mich war die Situation unerträglich. Die Einschränkung der Pressefreiheit in Pakistan ist allgegenwärtig und bedrückend. Es ist nach wie vor eines der tödlichsten Länder für Journalisten: Medienschaffende, die über sensible Themen berichten, werden regelmäßig bedroht, inhaftiert oder sogar ermordet. Der Geheimdienst kontrolliert die Medien scharf und zieht rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Dies macht eine freie und angstfreie Berichterstattung nahezu unmöglich.

Wie hat sich deine Rolle als Journalist verändert, seit du im Exil lebst? Welche neuen Herausforderungen und Chancen haben sich daraus ergeben? Hast du Möglichkeiten, deinen Beruf weiter auszuüben? 
Einerseits habe ich hier in Deutschland die Freiheit, ohne Angst vor Repressalien berichten zu können. Andererseits stand ich zu Beginn vor enormen Herausforderungen. Es fiel mir schwer, Deutsch zu lernen und Kontakte zu knüpfen. Aber ich habe Wege gefunden, meinen Beruf weiter auszuüben. Dank der Unterstützung von Organisationen wie Reporter ohne Grenzen und dem Medienverband der freien Presse kann ich Vorträge halten und für deutsche Medien wie den »Tagesspiegel« schreiben. Außerdem besuche ich Schulen und setze alles daran, junge Menschen für die Themen Journalismus und Pressefreiheit zu sensibilisieren.

Eine weitere wichtige Plattform für meine Arbeit ist der von mir gegründete Social-Media-Kanal »Kurram News«. Darüber habe ich schon während meiner Zeit in Pakistan über die Geschehnisse in meiner Heimat berichtet und ein Publikum erreicht, das sich für die aktuellen Entwicklungen in Pakistan interessiert. »Kurram News« war ein wichtiger Zufluchtsort für meine journalistische Arbeit, besonders in den schwierigsten Zeiten in Pakistan, und gibt mir heute die Möglichkeit, meiner Berufung nachzugehen und gleichzeitig auf die Missstände in meinem Heimatland aufmerksam zu machen. Mein Engagement für den Journalismus und die Wahrheit ist ungebrochen.

Was bedeutet Pressefreiheit für dich persönlich?
Pressefreiheit bedeutet mir alles. Sie ist die Grundlage einer informierten Gesellschaft und eine Säule der Demokratie. Pressefreiheit ermöglicht es, Machtmissbrauch aufzudecken und Gerechtigkeit zu fördern. Medienschaffenden ermöglicht sie, die Wahrheit zu berichten, ohne Repressalien, Verhaftungen oder Gewalt fürchten zu müssen. In meinem Heimatland Pakistan war die Pressefreiheit stark eingeschränkt und ich habe am eigenen Leib erfahren, wie gefährlich es sein kann, die Wahrheit zu sagen.

Was wünschst du dir für die Zukunft?
Beruflich wünsche ich mir, wieder mehr als Journalist arbeiten zu können und mit meinen Erfahrungen und Perspektiven einen Beitrag zur Pressefreiheit zu leisten. Außerdem hoffe ich, dass sich die Situation für Journalisten weltweit verbessert und Pressefreiheit in allen Ländern respektiert und geschützt wird. Persönlich sehne ich mich danach, wieder mit meiner Familie vereint zu sein. 

Anwar Shah stammt aus der Kurram Agency, einem Distrikt der ehemaligen »Federally Administered Tribal Areas« (FATA) in Pakistan, und hat als Journalist über die Geschichte des Terrorismus, die Rechtslage, die gesundheitliche Benachteiligung und die Armut in seiner Heimat berichtet. Seit seiner Flucht nach Deutschland lebt er in Bautzen.

 

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