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DIE WELT, Thiemann, Verlegerrecht, DSGVO

Dr. Rudolf Thiemann in „DIE WELT“: „Willensbildung der Bürger massiv gefährdet“

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Der VDZ Präsident im WELT-Interview mit Christian Meier darüber, dass „Fake News“ noch lange bekämpft werden müssen. Unabhängiger Journalismus und damit auch die Demokratie werde derzeit aber von einigen Seiten bedroht | erschienen in DIE WELT am 22. Juni 2018

„Die Willensbildung der Bürger ist massiv gefährdet“ (DIE WELT, Freitag, 22. Juni 2018, S. 18)

Eigentlich wollte der Verlag von Rudolf Thiemann als Nächstes eine christliche Partnerbörse im Internet starten. Doch jetzt will sich der Chef der Liborius-Verlagsgruppe in Hamm erst mal um ein anderes Projekt kümmern, die Partnerbörse muss warten.

Die Leitung des katholischen Medienunternehmens, das konfessionelle Zeitungen wie das „Liboriusblatt“ und die „Christliche Woche“ herausbringt, und das der 63-Jährige in vierter Generation führt, ist auch nur ein Job des Westfalen.

Thiemann ist gerade erneut zum Präsidenten des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) gewählt worden. Der promovierte Jurist tritt aufgeräumt zum Gespräch über die Zukunft der Verlagsbranche an, sagt aber gleich: „Es geht immer nur um die Sache.“

WELT: Derzeit wird eine wichtige medienpolitische Schlacht in Brüssel geschlagen. Ihr Verband gehört zu den Befürwortern eines Verlegerrechts. Warum ist das so wichtig?
Dr. Rudolf Thiemann: Vor fünf Jahren ist das Leistungsschutzrecht in Deutschland etabliert worden. Es ist bedauerlich, dass die neue Digitalstaatsministerin Dorothee Bär es ablehnt. Ein entsprechendes Verlegerrecht auf europäischer Ebene ist nun schon deshalb notwendig, weil anderenfalls das deutsche Recht im Zuge der weiteren Harmonisierung des Urheberrechts europarechtswidrig werden könnte. In der Sache ist es ein Eigentumsrecht, das den Presseverlegern die unverzichtbare Entscheidungshoheit über die Vermarktung ihrer journalistischen Produkte durch Suchmaschinen und ähnliche Aggregatoren verschafft. Musik- und Filmproduzenten sowie Rundfunkunternehmen verfügen längst über ein solches Schutzrecht. Das Recht erlaubt mir als Unternehmer, anderen zu untersagen, meine Leistung, die ich mit Geld auf die Beine gestellt habe, einfach zu stehlen.

Wer stiehlt denn?
Webseitenbetreiber mit Aggregatoren von Webseitenbetreibern, die geistige Inhalte produzieren und finanzieren.

Beim Verlegerrecht, heißt es immer wieder, gehe es vor allem um die Einschränkung der Macht großer Internetkonzerne.
Verlagen wird das Geldverdienen im Internet erschwert, weil ihre publizistischen Leistungen ständig von anderen genutzt werden, ohne dass sie daran fair beteiligt werden. Das EU-Verlegerrecht ermöglicht es nun, den Presseverlegern die Vermarktungshoheit über ihre Produkte gegenüber jedem Aggregator zu verschaffen, egal ob klein oder groß. Allein Monopolaggregatoren haben eine Marktmacht, die sie durch Auslistung derjenigen missbrauchen können, die auf einem Entgelt bestehen.

Kritiker sagen, das EU-Gesetz werde die Informationsfreiheit bedrohen.
Das ist genauso eine „Fake News“ wie die Lüge von einer Linksteuer. Dann müsste übrigens die Informationsfreiheit in Deutschland schon beseitigt sein. Denn das EU-Recht geht nicht weiter als das deutsche. Das Gegenteil ist richtig. Denn die Möglichkeit, publizistische Leistungen im Internet zu erbringen und Journalisten dafür zu bezahlen, wird gestärkt.

Wenn wir über die Macht digitaler Plattformen sprechen, kommt man unweigerlich auf den Datenskandal um Facebook. Welche Erkenntnisse haben Sie daraus gezogen?
Die Macht der großen Plattformen ist besorgniserregend, sie drohen den Wettbewerb im digitalen Raum zu ersticken und haben auch bislang unbekanntes Wissen über unsere Privatsphäre. Wenn Sie mich nach einer Lehre fragen, dann sehe ich, dass technologischer Fortschritt sich wirtschaftlich häufig im rechtsfreien Raum entfaltet. Die Antworten des Gesetzgebers kommen immer sehr spät.

Es gibt aber doch Gesetze.
Ja, aber sie adressieren die real existierenden Gefahren der Datenmonopole für den freien Wettbewerb und für die Persönlichkeitsrechte der Bürger nicht. Datenschutzgrundverordnung, E-Privacy-Verordnung und nun ein neuer Vorstoß zur Regulierung von Plattformen tragen bisher nichts dazu bei, die erdrückende Macht der Datengiganten zu begrenzen. Im Gegenteil, diese Gesetze schaffen problematische Restriktionen für alle Markteilnehmer und bevorzugen die Giganten, die alle Regulierungskosten aus Monopolgewinnen bezahlen können.

Fehlen Deutschland fähige Politiker, die Medien- und Technologiewandel verstanden haben?
Es fehlen Politiker, die Digitalisierung und ihre Folgen insgesamt durchdringen. Wettbewerb könnte beispielsweise wieder eine Chance haben, müssten die Monopolisten ihren uneinholbaren Datenreichtum mit Wettbewerbern teilen.

Könnten die neue Datenschutzgrundverordnung und die anderen von Ihnen erwähnten Gesetze trotz aller Kritik im Prinzip nicht wertvolle Dienste leisten, was die Verhinderung des Missbrauchs von Daten angeht?
Dass es sich bei der Verordnung um eine europaweit einheitliche Regelung handelt, kann man schon mal gut finden. Die Möglichkeit, Daten von einem Anbieter zum anderen mitzunehmen, bewerte ich positiv. Aber mit Blick auf Monopole bewirken sie rein gar nichts, da die Wettbewerber noch sehr viel stärker belastet werden. Diese Regulierungen gefährden die europäische Internetwirtschaft.

Welchen Umgang mit digitalen Plattformen empfehlen Sie also?
Die Politik muss die Möglichkeit von Wettbewerb trotz digitaler Monopole sichern. Als Verleger müssen wir uns aber in erster Linie auf unsere eigenen Stärken konzentrieren. Wir liefern Inhalte, wir liefern Zusammenhänge – Content und Kontext. Diese Inhalte wollen und müssen wir möglichst verkaufen oder gut vermarkten. Darum geht es.

Eine weitere anhaltende medienpolitische Auseinandersetzung gibt es mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Es gibt in den öffentlich-rechtlichen Anstalten nach wie vor Leute, die im Netz gerne alles machen würden, ohne jegliche Beschränkungen. Der Haushaltsbeitrag für die Sender macht aber schon heute durchschnittlich etwa 40 Prozent des Medienbudgets der Bürger aus. Und wenn dann noch Aufgaben dazukommen sollen, würde es noch teurer. Das hat über die Jahre eine Eigendynamik entwickelt, die ich nicht gutheiße. Denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ja nicht die einzige Antwort auf „Fake News“. Obwohl deren Vertreter sich manchmal so benehmen, als ob es so wäre. Die Vielfalt der privaten Presse ist enorm wichtig.

In der vergangenen Woche gab es eine Einigung zwischen Sendern und Verlagen über einen neuen Telemedienauftrag, der die Regeln im Internet für ARD, ZDF und Deutschlandradio festlegt. Sind Sie zufrieden?
Die Situation hat sich erst mal beruhigt. Wir hatten zunächst befürchtet, dass der neue Telemedienauftrag sinnvolle Regeln aufgeweicht hätte. Trotzdem denke ich, es bleibt wichtig, dass die Sender ihre Ausgaben in Zukunft weiter mäßigen. Ob die Anzahl der Sender, die es inzwischen gibt, zeitgemäß ist, bezweifele ich.

Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm hat die Idee einer gemeinsamen Plattform im Internet ins Spiel gebracht, gewissermaßen als Mega-Mediathek.
Diese Idee halten wir für außerordentlich schwierig und ein bisschen auch für ein Ablenkungsmanöver. Da werden gemeinsame Aufgaben beschworen, aber das klingt erst mal nur gut und ist in Fällen wie diesem wenig praktikabel.

Sie sind jetzt für eine weitere Amtszeit gewählt. Wird Ihnen ein Thema wie „Fake News“, das Sie eben ansprachen, erhalten bleiben?
Ich glaube schon. Ich habe neulich gerade wieder über eine WhatsApp-Gruppe ein angebliches Zitat von Katrin Göring-Eckardt zugeschickt bekommen. Dieses Zitat konnte nie und nimmer von ihr sein. Ich habe das nicht weitergeschickt, andere Teilnehmer der Gruppe aber bestimmt. Solche Fälschungen haben unweigerlich Einfluss auf die Willensbildung der Menschen, damit auch auf die Demokratie. Die Willensbildung der Bürger ist massiv gefährdet. Dieses Thema müssen wir darum weiter in den Vordergrund stellen. Und unsere Medienmarken in den Mittelpunkt stellen.

Sollen Verlage gegen „Fake News“ kämpfen oder nur keine produzieren?
Beides. Facebook ist ein Wettbewerber um die Aufmerksamkeit, und die interessiert es nicht, woher eine Nachricht kommt. Das Gefüge der politischen Willensbildung droht auseinanderzubrechen. In den USA liegen die Daten der Menschen in der Hand privater Unternehmen, in China befinden sie sich in der Hand des Staates. Beides passt nicht so recht zu unserer europäischen Denkweise. Wenn wir demokratische Werte erhalten wollen, dann müssen wir versuchen, die Freiheit der Willensbildung, unbeeinflusst von „Fake News“, zu retten.

Ist es denn – auch in Deutschland – noch ein Grundverständnis der Gesellschaft, dass die freie Presse ein Garant der Demokratie ist?
Die freiheitlichen Demokratien stehen unter Druck, bleiben aber stark, weil sie den Menschen mehr Entfaltungsmöglichkeiten als andere Staatsformen bieten. Und laut Umfragen halten in Deutschland über 90 Prozent der Bürger unabhängigen Journalismus für absolut notwendig für die Demokratie. Aus meiner Sicht haben sich die „Lügenpresse“-Vorwürfe auch erheblich abgeflaut. Auch weil die Presse ihre Standards hochhält. Aber ja, es stimmt auch, dass sich manchmal Frustration breitmacht, denn Demokratie ist anstrengend, es geht auf dem Weg zu einer Lösung nicht immer so schnell wie erhofft. Wir brauchen aber ein Pro und ein Contra, wir brauchen Abwägungen und Kommentare. Das bietet nur die freie Presse.

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