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"Endlich Schluss mit der Zögerlichkeit"

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VDZ-Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer, Gastbeitrag in W&V am 04.08.2014

Umdenken Die Europäer dürfen nicht länger damit zufrieden sein, nur Gastgeber für die Showrooms der globalen Megaplayer Google, Facebook & Co. zu sein, findet VDZ-Geschäftsführer Stephan Scherzer. Weder Deutschland noch Europa sind in der globalen Digitalwirtschaft relevant. Spielt die "German Angst", die Deutsche Zögerlichkeit, in dem Zusammenhang eine Rolle – ist Europa davon befallen? In den Innovationszentren in Tel Aviv, dem Silicon Valley oder Peking weht jedenfalls ein anderer Wind: Das Glas ist halbvoll, Lust und Chuzpe, Neues auszuprobieren, mit globalem Anspruch, sind enorm, Talentdichte und verfügbares Wagniskapital ebenfalls. In Europa ist man augenscheinlich mit der Fehleinschätzung von Ken Olson, Präsident Digital Equipment, von 1977 konform gegangen: "There is no reason for any individual to have a computer in his home."

Der Mann saß auf einem Schatz und konnte nichts mit ihm anfangen. Ein Blick auf die Entwicklung der Massenmedien zeigt die Skalierungsfähigkeit digitaler Plattformen: Print benötigte noch Jahrhunderte, um global 50 Millionen Menschen zu erreichen, Radio 38 Jahre, TV 13, Internet vier, Facebook zwei und Twitter weniger als zwölf Monate. Deutschland und Europa sind aktuell nur Inhaltelieferant für Apps und Suchmaschinen. Unternehmen wie SAP und Spotify sind Ausnahmen. IT-Hardware aus Europa ist Geschichte, und einen Start-up-Standort wie Tel Aviv sucht man vergebens. Das Consumer Internet ist wirtschaftlich und geopolitisch hochrelevant – und die Alte Welt sieht in diesem Zusammenhang so aus, wie sie genannt wird. Der Kampf um die Aufmerksamkeit der Menschen und die Budgets der Werbungtreibenden tobt – Kunden(daten) und Inhalte sind der Treibstoff der Digitalwirtschaft. Nur deshalb konnte Facebook für 19 MilliardenDollar – damit rettet man in Europa Staaten – Whatsapp mit seinen 450 Millionen Nutzern übernehmen. Ohne Intervention irgendeines Kartellamts.

Während Google mit seinen Projekten die Zukunft ins Jetzt katapultiert, China seinen Markt so abgeschottet hat, dass dort die zweite Riege der globalen Digitalkonzerne mit Baidu , Alibaba oder WeChat entstehen konnte, ist Europa auf der globalen Digital-Landkarte auf die Größe von Liechtenstein geschrumpft. Das globale Oligopol im Netz ist Realität. Die Europäer geben sich damit zufrieden, Gastgeber für die Showrooms der globalen Megaplayer zu sein. Die Unternehmen aus dem Silicon Valley haben sich im Wettbewerb durchgesetzt. Fast 50 Prozent der globalen Onlinewerbegelder landen bei Google und Facebook. Google macht in Deutschland rund drei Milliarden Euro Umsatz– alle Verlage zusammen erzielen im Onlineanzeigengeschäft etwa 300 Millionen Euro. Googles gut gehüteter Algorithmus gilt für alle im Web – nur nicht für Google, das seine Position nutzt, um eigene Produkte und Dienste auf der ersten Seite in bester Position zu zeigen. Die entstandenen Ungleichgewichte sind nicht das Ergebnis einer Technologiefeindlichkeit. Deutschland ist gerade durch seine Techniker und Ingenieure in der Automobilindustrie, beim Maschinenbau Weltklasse. Auch die Verlagsbranche hat in den vergangenen Jahren enorme Abrufzahlen der redaktionellen Inhalte auf allen Plattformen erreicht und gleichzeitig das Geschäft diversifiziert, etwa in Digitalplattformen, die unter anderem das klassische Rubrikengeschäft und dessen Wertschöpfung ins Digitale übertragen. Die Verlage sind deshalb früher aufgewacht als andere Branchen, weil viele Konzerne aus dem Silicon Valley ihre Geschäfte auf Basis von frei verfügbaren Inhalten machen. Die Auseinandersetzung um Urheber- und Leistungsschutzrechte hat das gezeigt. Im globalen Wettbewerb geht es um noch mehr. Facebook und Co. machen das Netz zu ihrem Spielfeld, das auf alle Lebensbereiche ausgedehnt wird: die Autoindustrie, das vernetzte Haus, Gesundheitswesen oder intelligente Maschinen vom Haushaltsroboter bis zur Drohne befinden sich im Portfolio. Immer global gedacht, durch Technologie und das Ignorieren nationaler Standards bestens skalierbar. Während sich deutsche und europäische Unternehmen bürokratischen und regulatorischen Herausforderungen stellen müssen, setzen die Digitalkonzerne – ohne ernsthaften Wettbewerb – ihre Strategien um. Die Stärke des Silicon Valley oder des Silicon Vadi in Tel Aviv liegt in einer Kombination aus Wissenschaft, internationalem Talent, Risikokapital, politischer Unterstützung und der Haltung: "We launch products and ask for forgiveness later." Start-ups suchen immer die Schwachstellen etablierter Geschäftsmodelle und attackieren diese mit enormem Fokus.

Dieses Denken und Handeln, das dem Entwurf "Sicherheit mit Dividende" diametral entgegensteht, fehlt in Europa häufig. Die Dominanz außereuropäischer Unternehmen ist ein Zeichen von Wettbewerbsstärke und gut orchestrierten politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Es fehlen aber auch eine konsequente Digitalstrategie in der Wirtschaft und unterstützende politische Rahmenbedingungen in Europa, die dem internationalen Wettbewerb standhalten. Wir brauchen eine Politik, die Europa stärkt, und ein gemeinsames Handeln im Digitalen. Das müssen das neue EU-Parlament, die neue EU-Kommission auf die Agenda setzen. Vor der Kür gibt es noch einmal ein minimales Pflichtprogramm.

•    Erstens: keine Duldung digitaler Monopole auf allen Plattformen.
•    Zweitens: Chancengleichheit für europäische Unternehmen beim Datenschutz.
•    Drittens: ein Ende der Möglichkeit für nichteuropäische Wettbewerber, sich den Steuerzahlungen in Europa weitgehend zu entziehen.

Die EU hatte einst beschlossen, Europa zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Wenn sie das Ziel noch verfolgt, geht dies nur mit einer wettbewerbsfähigen digitalen Struktur, die die eigene Wirtschaft nicht benachteiligt, und einem tragfähigen Entwurf für ein europäisches Silicon Valley. Dass solch ein gestaltendes gemeinsames Handeln gelingen kann, hat Europa mit der Erfolgsgeschichte Airbus bewiesen.

Stephan Scherzer ist Hauptgeschäftsführer des VDZ (Verband Deutscher Zeitschriftenverleger), Politikwissenschaftler, hat vier Jahre im Silicon Valley gelebt und dort für IDG das Consumer-Digital-Geschäft geleitet. Davor hat er 15 Jahre in Deutschland gearbeitet – zuerst als Redakteur, später als Verlagsmanager.

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