„Es ist nicht immer dein Recht, aber es ist immer deine Pflicht, zu berichten“
PRINT&more: Herr Dündar, Sie sind kein Killer und doch zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Wie fühlt sich das an für einen Journalisten?
Can Dündar: Nun, dieses Urteil habe ich erhalten, weil ich meine Arbeit gut gemacht habe. Wir hatten Geheimdienst-Informationen über die Unterstützung der Türkei für radikale Islamisten in Syrien und dann berichtet. Das Urteil zeigt die Bedeutung dieses Themas.
Ihnen muss zu jedem Zeitpunkt klar gewesen sein, dass die Recherchen über die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und den Islamisten spürbare Repressionen gegen Sie und die Redaktion auslösen können. Haben Sie gezögert?
Nein, als Journalist war es meine Pflicht, die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Denn wir hatten viele Hinweise auf eine Zusammenarbeit der Türkei mit den radikalen Islamisten. Für sie waren die Grenzen zur Türkei offen. Sie durften sich in Ankara und Istanbul aufhalten. Im Krieg verletzte Kämpfer wurden in türkischen Krankenhäusern behandelt.
In der von »Reporter ohne Grenzen« für 2016 veröffentlichten Weltrangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 151 von 180 Plätzen. Wie verläuft investigative Arbeit unter diesen Bedingungen?
In der Türkei spürte man diese Gefahr schon immer. Du kannst sie riechen. Wenn du die Gefahr riechst und dann auch nur einen Schritt zurücktrittst, dann betrügst du deinen Beruf. Es ist nicht immer dein Recht, aber es ist immer deine Pflicht, zu berichten, damit die Leute wissen, was du weißt. Wenn du nicht schreibst, dann bist du Teil des Systems.
Sehr konkret ist diese Gefahr auch für Ihre Frau, die aus der Türkei nicht ausreisen darf. Ist absehbar, dass Sie sich bald wiedersehen?
Ich hoffe das so sehr. Sie darf das Haus nicht verlassen und befindet sich in der Geiselhaft der Türkei. Diese Regierung handelt illegal. Dass sie mich so zu verletzen versucht, fühlt sich noch ganz anders an, als selbst in einem Gefängnis zu sitzen. Wir versuchen derzeit alles, um eine Ausreise zu ermöglichen. Und meine Frau ist sehr mutig: Als im Mai vor dem Prozess auf mich geschossen wurde, ist sie sofort auf den Täter zugegangen, um ihn zu entwaffnen.
Am 25. Februar 2016 durften Sie nach drei Monaten die Untersuchungshaft verlassen. Wie ist es Ihnen im Gefängnis ergangen?
Die Festnahme erfolgte an unserem 27. Hochzeitstag. Mit meiner Frau wollte ich abends nett ausgehen. Statt in einem Restaurant zu sitzen, stand ich dann in meinem feinen Anzug in einer Einzelzelle. Der Nadelstreif passte einfach nicht in diese Umgebung – eine befremdliche Situation, auf die ich nicht vorbereitet war. Der erste Tag war ein Schock.
Wie sind Sie in der Untersuchungshaft behandelt worden?
Torturen habe ich nicht erlitten. Aber 40 Tage isoliert zu sein in einer Zelle, ohne Computer, ohne Telefon, ohne zu schreiben … und das als Journalist … das war dann wohl meine Rolle. Ich habe sie mit Stolz ertragen, um so die Situation zu entspannen. Vor mir waren schließlich schon viele andere Journalisten und Autoren in Haft. Jetzt war ich dran.
"… um die Situation zu entspannen". Das klingt gelassen.
In der Mitte von den insgesamt 90 Tagen wurde die Isolationshaft aufgehoben. Mit zwei Journalistenkollegen war ich bis zur Entlassung nach den insgesamt drei Monaten in einer Zelle. Das war dann anders. Aber ja, ich hatte auch Angst. Alles dauerte schließlich so lange. Vor allem die Ungewissheit war quälend. Wenn du weißt, dass du fünf Jahre im Gefängnis bleiben musst, kannst du dich darauf einstellen. Diese Ungewissheit ertragen zu müssen, das war ein Teil meiner Profession.
Wie haben Sie die Zeit in der Ungewissheit bewältigt?
Ich habe entschieden, ein Buch zu schreiben, und kaufte mir im Gefängnis einen Stift und Papier. So habe ich die Zelle mit meinen Waffen besetzt. Allerdings war es nicht einfach, die Aufzeichnungen herauszubekommen, denn die Kontrollen der Gefängnis-Administration waren sehr, sehr streng.
Nach der Haft und vor dem Putschversuch haben Sie die Türkei verlassen. Warum und wohin?
Ich brauchte einen Bruch, eine Pause und bin nach Barcelona gereist, um mein Buch zu Ende zu schreiben. Dann die Militärintervention. Meine Anwälte rieten mir, nicht in die Türkei zurückzukehren, weil das nicht sicher für mein Leben wäre.
Warum Deutschland und nicht Amerika, Frankreich oder England?
Die Schriftstellerorganisation PEN hat mich nach Deutschland eingeladen. Hier bin ich sicher, dennoch ist die Situation nicht einfach. Alles, was ich sage und schreibe, kann das Leben meiner Familie gefährden.
Haben Sie Kontakt zur Familie?
Meine Frau und ich telefonieren jeden Tag miteinander. Es geht ihr gut. Mein Sohn studiert in London. Er ist 21 Jahre alt und möchte Journalist werden. Ich möchte ihm so gerne ein freiheitliches demokratisches Land geben, in dem er frei arbeiten kann. Für die nächsten Generationen träumen wir von einer Demokratie für die Türkei. Immerhin die Hälfte der Türken ist gegen diese Regierung. Aber diese Hälfte ist zurzeit machtlos und unorganisiert.
Erdogan hat einen radikalen Wandel hinter sich: Für die EU war er lange ein gefragter Staatsmann und Demokrat. Hat er nach dem – von wem und wie auch immer vorbereiteten – Putschversuch seine Maske fallen lassen? Wie erklären Sie seinen Rückhalt?
Ein Demokrat war er von Anfang an nicht. Schon 1996 sagte er in einem Interview mit einem Freund von mir, dass die Demokratie für ihn nicht das Ziel, sondern nur ein Werkzeug sei. Erdogan ist jetzt der mächtigste Mann in der Türkei seit Atatürk, wofür es viele Gründe gibt. Er ist kein Soldat, kein Bürokrat und kein Intellektueller, sondern ein Fußballspieler und einer von den einfachen Bürgern, die mit ihm eine ökonomische Krise überwunden haben. Solch einen Staatsmann gab es vorher nicht.
Deutschland hat eine besondere Beziehung zur Türkei, aktuell auch wegen des Flüchtlingsdeals. Wie sehen Sie das Verhältnis?
Die deutsche Regierung versucht die Flüchtlinge von Deutschland und der EU fernzuhalten und ist dafür mit der Türkei ein Geschäft eingegangen: Hier ist Geld, und ihr behaltet die Flüchtlinge. Ich bezeichne das als ein schmutziges Geschäft. Ein Geschäft, das gescheitert ist und von Anfang an eine Lüge war. Denn es ist unmöglich, über die Türkei die Flüchtlinge von Europa fernzuhalten. Die Öffnung der Grenzen vor einem Jahr war richtig vor allem für die Menschen aus Syrien, aber die EU hätte das besser organisieren müssen. Dann bat man Erdogan auch noch, seine Antiterrorgesetze zu verändern. Das war sehr wichtig für ihn – er kann sie jetzt gegen die Opposition benutzen.
Wird es für Sie jemals möglich sein, in die Türkei zurückzukehren, während Erdogan an der Macht ist? Ist Fethullah Gülen bereit für eine Rückkehr?
Es ist mein Wunsch, zurückzukehren, denn die Türkeiist meine Heimat. Alles, was wir brauchen, sind gute Regeln und Gesetze, aber keinen Ein-Mann-Staat. Gülen wird niemals zurückkehren in die Türkei, das ist unmöglich, denn er hat jeglichen Rückhalt in der Regierung und auch alle anderen Unterstützer verloren. //
-- erschienen in PRINT&more 3/2016 --