Fokus Europawahl | Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann: „Bildung und Information sind effektiver als Regulierung oder Verbote“
Im Vorfeld der Europawahlen am 9. Juni hat MVFP impuls die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten der zur Europawahl antretenden Parteien zu ihrer medienpolitischen Agenda - zu KI, Datenschutz, Torwächterplattformen und Werberegulierung - befragt. Im Folgenden lesen Sie die Antworten von Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Spitzenkandidatin zur Europawahl 2024 und Mitglied des Deutschen Bundestages.
MVFP impuls | KI bietet Chancen für Verlage und Redaktionen. Andererseits kann KI bereits heute kostenintensive menschengemachte Presse in Sekundenschnelle und zu Kosten nahe null für perfekte Konkurrenzpublikationen im Primärmarkt der jeweiligen Publikation verwerten. Sollte eine solche Verwertung gegen den Willen der Verlage rechtlich zulässig sein, wäre menschengemachte Presse – und letztlich jede menschliche kreative Leistung – nicht mehr privatwirtschaftlich finanzierbar. Die Verleger fordern daher ein robustes Verfügungs- und Vergütungsrecht für die Verwertung redaktioneller Inhalte durch KI. Jedes derartige Recht läuft allerdings leer, wenn KI nicht verpflichtet wird, über die zu Trainings-, Input- oder sonstigen Zwecken verwendeten Inhalte lückenlos zu informieren. Wie stehen Sie zu dieser Forderung nach einem Schutz menschlicher Kreativität?
Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) | Die Freien Demokraten unterstützen die vielfältige Anwendung von KI und sehen für Verlage und Redaktionen mehr Chancen als Risiken. Dennoch ist es wichtig zu betonen, dass Anbieter von KI-Diensten beim Einsatz fremder Inhalte die geltenden Gesetze einhalten müssen. Die aktuellen Vorschriften bezüglich der Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Inhalte für KI-Trainings basieren auf strengen europäischen Vorgaben. Die Verpflichtungen für Anbieter generativer KI sind auch in der KI-Verordnung festgelegt. Neben der vollständigen Einhaltung der unionsrechtlichen Urheberrechtsvorschriften sieht die KI-Verordnung auch Transparenzanforderungen vor, um Rechtsinhabern die Ausübung und Durchsetzung ihrer Rechte zu erleichtern. Weiterführende Regelungen müssten im Rahmen einer Diskussion über eine mögliche Modernisierung des europäischen Urheberrechts erörtert werden. Die maßgebliche Richtlinie im Urheberrecht wird ab 2026 auf europäischer Ebene evaluiert. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss überprüft werden, ob die geltenden urheberrechtlichen Bestimmungen ihre Wirksamkeit gezeigt haben.
Die Publikationen unserer Mitglieder werden zunehmend über marktmächtige oder sogar monopolistische Torwächterplattformen verbreitet. Jüngere nutzen derartige Plattformen vielfach sogar als Hauptmedienquelle. Wir fordern für solche Torwächter, dass sie nicht willkürlich über Zugang und Sichtbarkeit von Publikationen und deren etwaige Bezahlung entscheiden dürfen, sondern, wie klassische Vertriebswege, alle legalen Presseprodukte fair und diskriminierungsfrei behandeln müssen. Wie ist die Haltung Ihrer Partei zu dieser Frage?
Durch die Verabschiedung des European Media Freedom Act wurde eine Regelung etabliert, welche Einschränkungen für Presseprodukte durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der sehr großen Online-Plattformen unterbindet.
Immer weiter verschärftes Datenschutzrecht hat zu Gesetzen geführt, nach denen digitale Presse nur noch mit einer Vielzahl von Einwilligungen der Leser betrieben und finanziert werden kann. Gestaltung und Auslieferung der redaktionellen Angebote, Schutz gegen Ad-Blocker, Reichweitenmessung, Werbefinanzierung, Leserwerbung und der Verkauf an digitale Leser sind typische Existenzbedingungen digitaler Presse, die inzwischen vielfach ohne konkrete Einwilligungen nicht möglich sind. Wenn Gesetze damit digitale Presseangebote weitgehend von komplexen Einwilligungen abhängig gemacht haben, müssen sie im zweiten Schritt wenigstens sicherstellen, dass die Verlage die gesetzlich nötigen Einwilligungen von ihren Lesern auch in praktikabler Weise einholen können und dass solche Einwilligungen von Internetzugangssoftware und Gatekeepern beachtet werden müssen. Können Sie diese Position unterstützen?
Die Herausforderung des digitalen Datenschutzes zwingt den Gesetzgeber wiederholt dazu, angemessene Lösungen zu finden, die einerseits einen effektiven Schutz persönlicher Daten und der Privatsphäre der Betroffenen gewährleisten und andererseits innovative Geschäftsmodelle ermöglichen. Die Zustimmung zur Verarbeitung personenbezogener Daten und dem Zugriff auf Endgeräte (Cookies) ist dabei unerlässlich. Gleichzeitig sind praktikable Lösungen erforderlich, wobei stets die Refinanzierung der Online-Presse berücksichtigt werden muss. Auf europäischer Ebene hebt das Verhandlungsmandat des Rates zur ePrivacy-Verordnung dies mit Verweis auf die werbefinanzierten Angebote der digitalen Presse besonders hervor und skizziert Vorstellungen eines praktikablen Einwilligungsmanagements. Bedauerlicherweise wurden in den Verhandlungen zur ePrivacy-Verordnung bisher keine Fortschritte erzielt. Deutschland hat nun den Entwurf einer Einwilligungsverwaltungsverordnung offiziell vorgelegt, der ein innovatives Konzept für ein benutzerfreundliches und wettbewerbskonformes Einwilligungsverfahren enthält. Dabei wird davon ausgegangen, dass Verlage in der Lage sein müssen, die Einwilligungen, die sie für ihre Geschäftsmodelle benötigen, in einer praktikablen Art und Weise von den Nutzern einzuholen, ohne dabei von Browsern und Gatekeepern behindert zu werden.
Werbung ist für die Finanzierung einer freien Presse unverzichtbar. Dennoch gibt es regelmäßig Vorschläge für neue Werbeverbote und Einschränkungen durch plakative Zwangsinformationen in der Medienwerbung. Wie stehen Sie dazu?
Wenn man Werbung verbieten will, kann man auch gleich Produkte verbieten. Werbung ist ein integraler Bestandteil der freien Marktwirtschaft: Unternehmen müssen in der Lage sein, für ihre Produkte und Dienstleistungen zu werben. Gleichzeitig gewährleistet Werbung die Finanzierung unabhängiger Medien. Es gibt bereits umfangreiche Regulierungen für Werbung, die sich an Kinder richtet, um sie zu schützen. Ich bin grundsätzlich der Überzeugung, dass Bildung und Information effektiver sind als Regulierung oder Verbote.
Medienpolitische Themen des MVFP
- Diskriminierungsfreie Presseförderung durch reduzierte Mehrwertsteuer
- Publizistische und ökonomische Pressefreiheit im Plattforminternet
- Regulierungsaspekte von KI: Menschenmedien und künstliche Konkurrenz
- Verarbeitung personenbezogener Daten als Existenzbedingung freier Presse
- Mediale Werbefreiheit
- Wettbewerbsrecht (GWB)
- Neues Medienkonzentrationsrecht auch für die Presse im Medienstaatsvertrag?
- Abonnementvertrieb (Telefonmarketing)
- Wettbewerbsverzerrende öffentlich-rechtliche Angebote, insbesondere öffentlich-rechtliche digitale Presse
- Staatliche Presse, insbesondere das nationale Gesundheitsportal
- Gemeinnütziger Journalismus
- Urheberrecht (mit anderen als KI-Themen)
- Medienfreiheitsgesetz der EU
Klicken Sie hier für das Interview mit Dr. Katarina Barley (SPD) und hier, um die Antworten von Terry Reintke (Die Grünen) zu lesen.