Gastbeitrag im Hauptstadtbrief von Stephan Scherzer: „Hashtag Irreführung und Angstmacherei“
Die Weltordnung wird gerade neu verhandelt. Die USA, China, Indien und Europa ringen um politischen Einfluss und darum, welcher Gesellschaftsentwurf in der Globalisierung erfolgreich sein wird. Gleichzeitig stellt die Digitalisierung aller Lebensbereiche Politik, Wirtschaft und die Menschen vor enorme Herausforderungen und wirkt auf vielen Feldern wie ein Brandbeschleuniger. Die Intensität der globalen Debatte und die Radikalität einiger Protagonisten zeigt sich an der Auseinandersetzung um die Reform des Urheberrechts in der EU. Am 26. März haben 348 Abgeordnete für die Reform, 274 dagegen gestimmt. Das neue Urheberrecht basiert auf einem demokratischen Prozess. Alle mussten dabei Kompromisse eingehen und sich arrangieren. So funktioniert Demokratie.
Die Bedeutung des Rechts lässt sich schon an der Vehemenz erkennen, mit der Google und Co. es bekämpfen. Nur mit einem solchen Recht haben die Kreativen, Journalisten, Autoren und Verlage eine Chance, über die Vermarktung ihrer Produkte in einer digitalen Welt zu entscheiden und sich zu finanzieren. Nachdem die Argumente nicht mehr ausreichten, setzten Plattformlobbyisten und deren Unterstützer aus der Netzgemeinde auf Angstmacherei und Irreführung. Es wurden alle Register gezogen, um die Reform zu verhindern, Fakten wurden ignoriert und gerade den jungen Leuten das Ende des Internets angekündigt. „Diese Pläne“, schreibt Susan Wojcicki, Chefin von YouTube „töten das Internet, wie wir es kennen.“ Sie meinte damit aber wohl eher das Geschäftsmodell ihrer Plattform.
Es gibt keinen Artikel in dem Entwurf, der eine Zensur des Internets durch YouTube & Co. verlangt. Die verabschiedete Fassung schützt die Interessen der Kreativen und der Nutzer. Er schützt die Kreativen, indem YouTube nicht mehr nur zur Unterbindung von Urheberrechtsverletzungen verpflichtet wird, sondern mit den Kreativen Lizenzen abschließen soll. Diese Lizenzen schützen auch die Nutzer, da deren Uploads dadurch rechtmäßig werden. Und was gilt, wenn es keine Lizenz gibt? Bislang dürfen Plattformen jegliches Upload geschützter Werke gegen den Willen des Rechteinhabers sperren, ein Overblocking etwa im Falle zulässiger Zitate ist aktuell zulässig.
Genau das ändert sich jetzt. Die rechtmäßige Verwendung geschützter Werke in Zitaten, etwa in einer Satire, darf nicht mehr blockiert werden. Die Plattformen müssen den Nutzern bei Sperrungen erstmals ein schnelles und effektives Beschwerdesystem anbieten.
Es ist gut und wichtig, dass sich nicht die Kräfte durchgesetzt haben, die mit Hass und Häme, Falschinformationen und Drohungen gearbeitet haben, sondern die besseren Argumente die Parlamentarier überzeugt haben. Exemplarisch für Mut und Überzeugungskraft steht Axel Voss, der Berichterstatter im EU-Parlament. Er wurde besonders massiv attackiert, bis hin zu einer Bombendrohung, die an sein Büro gerichtet war.
Der Rat hat das vom Parlament verabschiedete Verhandlungsergebnis bereits informell gebilligt. Sobald er zugestimmt hat, muss die Bundesregierung die Richtlinie zügig und sachgerecht umsetzen. Dafür hat der Gesetzgeber maximal zwei Jahre Zeit. Die Reform ist auch eine klare Botschaft dafür, dass sich der im Umgang mit den Plattformkonzernen aus dem Silicon Valley – und perspektivisch auch aus China – verändert hat. Freiheit, Vielfalt und Wettbewerb sind für diese Tech-Giganten nicht mehr so wichtig, wenn das eigene Geschäftsmodell und damit die Dominanz in Gefahr gerät. Rund acht Milliarden Euro an Strafe gegen Google, aufgrund des Missbrauchs der Marktmacht, sprechen eine deutliche Sprache.
Nur starke Gemeinschaften wie der VDZ und gute Argumente können die Interessen und Werte wirkungsvoll und nachhaltig vertreten. Der Schutz des geistigen Eigentums ist ein zentraler Wert europäischer Kultur und wird der technologischen Entwicklung nicht entgegenstehen. Der Wein ist wertvoller als die Flasche!