Ihr direkter
Weg zu uns.

Navigation

Im Herzen des Lesers

Startseite

Was Massenblätter von Special Interest lernen können und warum Leidenschaft für das Thema unverzichtbar ist.

Margaret Heckel hat den Bestseller »So regiert die Kanzlerin« geschrieben und arbeitet als Autorin in Potsdam.

Wenn Kathrin Walter die neue »Landlust« aus dem Briefkasten zieht, legt die Potsdamerin das neue Heft erst mal zur Seite. »Ich freue mich immer auf die neue Ausgabe und lese sie erst, wenn ich wirklich zwei Stunden Zeit ganz für mich alleine habe«, sagt sie. Sie lässt die jeweilige Ausgabe sogar noch eingepackt in der durchsichtigen Folie, bis sie dann voller Erwartung und Vorfreude in aller Ruhe ausgepackt wird. Von einer derartigen Leser-Blatt-Bindung träumen Chefredakteure. Im Special-Interest- Bereich ist sie Alltag: »Unsere Th emen sind direkt auf den Leser zugeschnit ten, da gibt es eine hohe Erwartungshal tung, die wir auch erfüllen «, erklärt Christoph Wisberg, der vor 23 Jahren noch als Schüler die Scooter-Zeitschrift »Motoretta« gegründet hat. Heute bedient er mit sechs unterschiedlichen Magazinen, Büchern, Fanartikeln und Testberichten im PDF-Abruf jeden Wunsch, den ein Rollerfan nur haben kann.

Special Interest (SI) ist eine »kleine, feine Mediengattung« (Verleger Konrad Delius), die oft unterschätzt wird. Offizielle Zahlen über das Segment gibt es kaum. Der Unternehmensberater Andreas von Buchwaldt von OC&C Strategy in Hamburg hat genauer nachgerechnet und kommt auf »mindestens 350 Special-Interest-Titel im Jahr 2011«.

Abhängigkeit vom Segment

Ihre Entwicklung sei stark segmentabhängig, sagt von Buchwaldt: »Technologienahe Zeitschrift en im Bereich Online, IT/Telekom, Kino/Video/ Audio/Foto« könnten sich dem »Auflagendruck aus digitalen Medien nicht entziehen«. Aber es gebe auch »Segmente wie Wohnen/Garten, in denen sich die Auflagen in den letzten fünf Jahren eher positiv entwickelt haben«.

Verleger Konrad Delius nennt die »Beziehung zwischen Leser und Redakteur« das Fundament von Special Interest. Es sei »eine häufig über Jahre gewachsene Bindung auf Basis einer gemeinsamen Leidenschaft «, schreibt der Chef von Europas größtem Wassersportverlag und VDZ-Vorstandsmitglied im Jahrbuch »Zeitschriftenmärkte«. »Motoretta«-Gründer Wisberg ist dafür ein gutes Beispiel. Bei einem Schüleraustausch in England hat der damals 16-Jährige sein Thema gefunden: »Ich selbst war eigentlich gar kein Scooter-Fan, aber dort lebten die Roller in der Jugendbewegung so richtig auf«, erzählt er. Mit Lettraset-Buchstaben und im A5-Format klebte er nach der Rückkehr seine erste Ausgabe von »Motoretta« zusammen. »Im Betrieb meiner Eltern gab es damals gerade den ersten Windows-Computer, auf dem wir die Texte geschrieben haben«, sagt Wisberg. Die getackerten und gefalteten Blättchen hat er selbst auf Rollertreffen verkauft : »Das war dann wirklich mein Hobby, und seit diesem Zeitpunkt habe ich nichts anderes gemacht.« Neben  Motoretta« gibt Wisberg inzwischen fünf weitere Magazine von »Quad« über »Vespa« bis hin zu »Motor-Roller« heraus. Für »Schrauber« gibt es eigene DVD-Anleitungen, Bücher und andere Fanartikel runden das Sortiment ab. Alle Produkttests gibt es online im PDF-Abruf zu Preisen zwischen 2,35 Euro für zwei Seiten bis 4,35 Euro ab fünf Seiten Text. Allein die Abrufe der PDF-Tests erreichen »Steigerungsraten von 100 Prozent im Jahr«, freut sich Wisberg.

Hohe Innovationsquote

Diese Innovationsfreude zeichne SI-Titel ganz besonders aus, sagt der Unternehmensberater Marco Olavarria von Kircher + Robrecht in Berlin: »Special Interest ist ein Sektor, in dem man viel über das digitale Geschäft lernen kann.« Weil die Leser ein »großes Interesse am Austausch mit der Redaktion und anderen Lesern« hätten, werde »alles ausprobiert, was die Verlage so anbieten«. Als Beispiel nennt er den Michael E. Brieden Verlag, der sich selbst als »der größte unabhängige Spezialverlag für Unterhaltungselektronik in Europa« bezeichnet. Die Duisburger hätten vor zwei Jahren kurzerhand eine »Flatrate« für die digitale Nutzung all ihrer Titel wie HIFI TEST TV VIDEO, HEIMKINO oder KLANG+TON eingeführt.

Flatrate-Angebote

»All you can read« nennt der Brieden Verlag die »neue, kostengünstige Flatrate für Fachmagazine« auf seiner Webseite und lockt mit »dem geballten Wissen aus über 19 Magazinen zum Thema Unterhaltungselektronik«. Die Flatrate gibt es schon ab 2,99 Euro im Monat und mit einer Ersparnis von »bis zu 80 Prozent gegenüber dem Preis im Zeitschriftenhandel«. Der Aachener Elektor-Verlag lässt für die Leser seiner »europaweit führenden Elektronikzeitschrift ›Elektor‹« (Verlagswerbung) sogar eigene Produkte in China herstellen und vertreibt sie im Online-Shop der Zeitung. Platinen, Bausätze, Regler für PC-Lüft er: Wer seine Elektronik selbst zusammenschraubt, wird hier bedient. Und wer es lernen will, kann die in ganz Deutschland regelmäßig stattfindenden Workshops, Seminare, Webinare, Kurse und Weiterbildungen besuchen – das »Elektor Zertifikat« eingeschlossen. »Die Nutzer vertrauen den Special-Interest-Maga zinen«, sagt Unternehmensberater Ulrich Spiller von Heinold, Spiller & Partner in Hamburg, das erleichtere derart ge Experimente mit digitalen Angeboten und im E-Commerce. Hierin liege aber auch eine Gefahr, warnt sein Kollege Marco Olavarria: »Wird das Thema nicht mehr glaubhaft vertreten, geht der Stallgeruch leicht verloren.« Riskant könne deshalb auch ein »Zuviel« an Wachstum sein, gibt Verleger Delius zu bedenken: Special Interest sei »Spezialistentum, Spezialwissen für eine spezielle Zielgruppe«. Werde es massentauglich, »ist es eben nicht mehr Special Interest und verliert sein Fundament in der Kernzielgruppe, den Meinungsbildnern der Szene«. Noch ist das beim Shootingstar der SI-Szene keinesfalls abzusehen, aber von der Auflage her hat »Landlust« den Bereich Special Interest sicherlich schon verlassen. Über ein Plus von 12 Prozent auf 886.335 verkaufte Exemplare freute sich der Münsteraner Landwirtschaftsverlag im vierten Quartal 2011. Satte 202 Hochglanzseiten hat die aktuelle Ausgabe des sechsmal im Jahr erscheinenden Überraschungserfolgs. »TopAgrar«, »Milchrind« und »Traktorpool« hießen die Magazine aus Münste , als sich die Verlagsverantwortlichen vor sieben Jahren zu einer Strategiesitzung zusammenfanden. »In der Kernzielgruppe war für die meisten Fachtitel des Landwirtschaftsverlags eine Marktsättigung erreicht«, erzählt Hauptgeschäftsführer Karl-Heinz Bonny. Weil immer mehr Bauern ihre Betriebe aufgaben, schrumpften die Zielgruppen bereits bedenklich. Also suchten die Münsteraner nach neuen Zielgruppen und fanden sie in den Gattinnen der Bauern, den Landfrauen.

Man braucht Zeit

100.000 bis 150.000 sollte die avisierte Aufl age des neuen Magazins sein, die Chefredakteurin kam von »TopAgrar«. Von Anfang an setzten die Blattmacher auf einen zweimonatlichen Erscheinungsrhythmus und gegen einen allzu opulenten Online-Auftritt als bewusste Strategie der im Oktober 2005 gestarteten »Landlust«. »Man braucht Zeit, sich mit dem Magazin auseinanderzusetzen, und kann sich Zeit lassen«, sagt Bonny. »Die erfolgreichste Zeitschrift aller Zeiten«, nennt die FAZ »Landlust« inzwischen – und in der Tat hat das am grünen Tisch in Münster entwickelte Magazin den Nerv der Zeitläufte perfekt getroffen. Schon im Herbst 2006 kommt eine Studie des Marktforschungsunternehmens Rheingold zum Schluss, dass »die Ent-Rhythmisierung und die Beschleunigung sämtlicher Alltags-Prozesse« sowie die die »Komplexität von Zusammenhängen überfordernde Multioptionalität in sämtlichen Bereichen« die Leser eine »tiefe Sehnsucht nach Einfachheit bzw. Überschaubarkeit, Verbindlichkeit (Traditionen) und Erdung« entwickeln ließen.

»›Landlust‹ bietet eine kurze Flucht aus dem Alltag«, sagt Unternehmensberater Ulrich Spiller. Bleibt die Frage: Was war zuerst da, der Trend oder »Landlust«? Branchenkenner Olavarria ist deshalb skeptisch, ob neue SI-Titel so einfach am grünen Tisch geplant werden können. »Der deutsche Markt ist tendenziell schon sehr dicht besetzt«, sagt er. Ulrich Spiller weist darauf hin, dass inzwischen auch die Großverlage das Thema entdeckt hätten. Früher habe es geheißen, »unter einer Auflage von 100.000 fangen wir erst gar nicht an«, sagt der Hamburger Unternehmensberater.

Auch für Großverlage

Doch nun hätten Verlage wie Gruner + Jahr interne Wettbewerbe gestartet, um an aussichtsreiche Ideen für Magazine zu kommen, die man durchaus als Special Interest bezeichnen könne. Spiller nennt als Beispiel »Beef« für kochende Männer, »Dogs« für Hundefreunde und »Business Punk« für Start-up-Kämpfer aus dem Hamburger Großverlag. Sein Kollege von Buchwaldt findet, dass Großunternehmen den SI-Bereich genauso gut wie kleinere Verlage abdecken können: »Wichtig ist dabei, dass die Strukturen in Management, Redaktion und Verlag angepasst werden.« Das bedeute »weniger kritische Masse, hohe Flexibilität und Zielgruppennähe«. Wer es schaffe, neue Themenfelder zu besetzen und leicht veränderte Zielgruppen zu bedienen, könne mit neuen Special-Interest-Titeln sehr wohl punkten. »Im Gegensatz zu Neuerscheinungen im General-Interest- Bereich gewinnen die Special-Interest-Titel an Auflage und Marktanteilen «, sagt der OC&C Strategy-Berater von Buchwaldt. Und er sieht noch einen anderen entscheidenden Pluspunkt: Der unaufhal same Trend hin zu digitalen Medien mache es für SI leichter, »ihren Content zu monetarisieren «. Kurzfristig allerdings werde es selbst bei den starken Segmenten im Special-Interest-Bereich »schrumpfende Auflagen« geben. Das klingt schon deshalb plausibel, weil der Erfolg inzwischen reichlich Nachahmer anlockt. Allein die beiden größten Klone von »Landlust «, die »Landidee« und »Mein schöner Land«, haben inzwischen mit einer Auflage von zusammen 408.214 Exemplaren fast die Hälfte des Originals erreicht.

Druckansicht Seite weiterempfehlen