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Indiecon - Start-up Magazines

Es ist wieder soweit. Am 2. - 4. September findet die Indiecon in Hamburg statt. Hier schon mal ein spannender Rückblick auf letztes Jahr.

Als alle Euro-Paletten vom Lastwagen entladen waren und die Säulen der Heinrich-Heine-Villa an der Hamburger Außenalster mit buntem Absperrband umwickelt, als Batterien von Neonröhren in den Tagungsräumen installiert waren und ein riesiger, aufblasbarer Hai in unserem Medienraum schwebte – in diesem Moment habe ich mich einmal mehr gefragt, was hier eigentlich gerade passiert.

Ich hatte die Aufgabe übernommen, neben der Supervision und Moderation der Partnerschaft der GANSKE VERLAGSGRUPPE mit dem ersten Hamburger "Independent Magazine Festival" auch den Einzug der ersten "Indiecon" in die Heine-Villa zu begleiten und ein Auge darauf zu haben, dass der Aufbau geordnet abläuft.

So ein Eventaufbau und -ablauf beansprucht mehrere Tage, beginnt zu sehr früher Stunde und kann dennoch bis tief in die Nacht dauern. So hatte ich die Chance, in den nächsten 72 Stunden mehr mir bis dahin unbekannte Magazine zu studieren als im gesamten Jahr zuvor. Neben "Das Buch als Magazin" lag ein Punk-Fanzine, daneben ein Magazin nur für Rothaarige und ein Titel über die Kultur des Computerpielens. Ein faszinierender Mikrokosmos kleiner Print-Publikationen.

Special Interest und Very Special Interest – das sind Vokabeln, die auch in etablierten Verlagen geläufig sind. Neben der digitalen Revolution sind Magazinverleger auch mit der zunehmenden Individualisierung in unserer Gesellschaft konfrontiert, die sich in der Nachfrage nach immer spezielleren Nischen-Publikationen niederschlägt.

Keine der Zeitschriften auf der Indiecon hat eine Millionenauflage – viele bewegen sich eher im niedrigen Tausender-Bereich. Trotzdem glaube ich, dass wir vom Austausch mit diesen Magazinen und ihren Machern profitieren können. Weil sie den digitalen Wandel greifbar machen – und auch sonst ein paar Dinge auf interessante Weise anders machen.

Online, online, online

Das Internet ist Teil unseres Alltags und unseres Le-bens geworden. Viele Indiemag-Macher haben das verstanden: Für sie ist "online" kein zusätzlicher Kanal – das Netz ist integraler Bestandteil ihrer Publikation. Sie nutzen es für Kommunikation und Austausch mit Lesern, für die Organisation von redaktionellen Abläufen, für Vermarktung und Vertrieb.

Dem New Yorker Ryan Fitzgibbon und seinem Life-style-Magazin "Hello Mr." folgen rund 100.000 Menschen auf diversen Social-Media-Kanälen. Seine starke, konsistente Kernmarke lädt der ehemalige IDEO-Grafiker und -Konzepter konstant mit einem Strom emotionaler Kommunikation auf. Kern seines Auftritts ist Instagram – der Bilderstrom erzählt von Liebe und Kleiderwahl, Style und Alltagssorgen.

Seine Leser finden das Angebot von Hello Mr. im Netz, und Fitzgibbon begegnen in den Nachrichten und Streams seiner Follower neue Themen – weil er ein sorgsam kuratiertes Umfeld herstellt, in dem sich seine Zielgruppe wohlfühlt.

Wertigkeit und Interaktion

Ähnliches schafft Kai Brach, Wahl-Australier mit Wurzeln in Deutschland. Sein Magazin "Offscreen" richtet sich ganz gezielt an die Tech-Branche und erzählt die Geschichten der "Menschen hinter den Bits und Pixeln". Über Twitter steht der frühere Web-Designer in konstantem Austausch mit seiner Community. Seine Texte entstehen in Google Drive, das Editorial erscheint auf der Plattform medium.com. Den eigenen Online-Shop pflegt Brach mit äußerster Akribie, ebenso wie seinen Newsletter-Service. Das Netz ist für ihn Inspiration, wie er sagt, es steigert seine Produktivität und zahlt direkt auf die Vermarktung seines Print-Produktes ein. Online-Bestellungen sind sein wichtigster Vertriebsweg.

Offscreen und Hello Mr. teilen ein weiteres, auffälliges Merkmal vieler Independent-Titel: Sie werden behandelt wie Sammlerstücke. Jedes Heft ist ein kompakter Buchblock mit festem Einband und weichem Papier – und einem Preis, der diese Luxus-Ausstattung rechtfertigt. Die Indie-Verleger sind im wahrsten Sinne "paper proud". Offenbar sind die Offscreen-Leser bereit, 20 Dollar für eine Ausgabe zu bezahlen. Oder sie kaufen gleich alle verfügbaren Back-Issues für ihre Bücherwand.

Engagement und Drive

Beim Grill-Abend nach dem ersten Indiecon-Veranstaltungstag feierten die Gründerinnen und Gründer des Politikmagazins "Kater Demos" ihre Erstausgabe mit Luftballons und Pfefferminzschnaps. Dafür reisten sie aus der ganzen Republik an. Das Team um "Die Epilog" und Gründer Mads Pankow hat einzig für die Indiecon eine Sonderausgabe produziert. Themen gesammelt, Texte verfasst, ein Heft gedruckt – für ein einziges Wochenende. Diese Art von Begeisterung, diese Leidenschaft für das eigene Projekt – bis an die Grenze zur Selbstausbeutung und darüber hinaus – ist wohl ein weiteres Erfolgskriterium für Indiemags.

Es lassen sich auch Parallelen zu Prozessen finden, wie ich sie in unserem Hause bei der Neuproduktentwicklung erlebe. Die Indiemag-Entrepreneure arbeiten ideengetrieben, beugen sich keiner Konvention – und sie sind bereit, eingeschliffene Prozesse aufzubrechen. Das äußert sich in einer entwaffnenden Nähe im Umgang mit Lesern und einer großen selbstkritischen Offenheit im Umgang mit Trends und technologischen Entwicklungen. Zugleich stehen sie für eine starke, redaktionelle Persönlichkeit. Das strahlen auch ihre Produkte aus.

Ein entscheidender Baustein fehlt dem "Indiemag-Markt" allerdings: Etablierte und verlässliche Investoren. Dass Geldgeber bei kleinen Magazintiteln einsteigen, kommt noch nicht so häufig vor. Philipp Köster und das Fußballmagazin 11Freunde sind eines der seltenen Beispiele.

Es ist wohl wie so oft: Das eine funktioniert nicht ohne das andere. Die spannenden, aufstrebenden "Start-up Magazines" brauchen für den wirtschaftlichen Erfolg die Erfahrung der Verlage. Ein Grund mehr, zusammenzukommen und voneinander zu lernen – und gemeinsam an der Zukunft der Magazinbranche zu arbeiten.

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