"Inhalte sind begehrter denn je"
Herr Scherzer, seit mehr als zehn Jahren ist vom digitalen Umbruch der Medienlandschaft die Rede. Wie lautet ihre Zwischenbilanz?
Scherzer: Die deutschen Zeitschriftenverleger schlagen sich im digitalen Wandel und im Kampf um die Aufmerksamkeit ausgesprochen gut – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern auch bei den gedruckten Magazinen. Gleichzeitig werden die digitalen Geschäftsfelder stetig ausgebaut. Kraft für den Wandel, Innovationen und permanente Weiterentwicklung der verlegerischen Angebote und Geschäftsfelder sind Kennzeichen dieser Haltung. Wir haben eine einzigartige Vielfalt von über 1500 periodisch erscheinenden Zeitschriften, noch mehr Websites und Mobilangebote, dazu über 3800 B2B Titelder Fachpresse. Hubert Burda nannte die Stimmung auf dem Publishers‘ Summit im vergangenen Jahr "A new spirit in magazine media!"
Wie unterscheidet sich die Entwicklung von Publikumsmedien vom Verlauf bei den Fachmedien?
Scherzer: Die Märkte wandeln sich heutzutage schneller denn je, die Akteure brauchen Wissen, Orientierung, kompetente Begleitung. Und hier kommt den Fachmedien eine neue Funktion zu. Durch die Digitalisierung und die Sozialisierung der Kommunikation sind sie mehr und mehr zur Branchen- Drehscheibe für Informationen und dynamische Vernetzung geworden, immer öfter auch Projektpartner. Sie sind DIE Themenspezialisten, Produktinnovatoren, kennen ihre Branchen gagenau. Die Kompetenzbereiche Daten, Workflow Solutions, Marktforschung, Marktintelligenz und IT gehören inzwischen genauso zum Portfolio von Fachmedien wie Plattformen zum Face-to-Face-Austausch und zum Bilden von Communities.
Gibt es Best-Practice-Beispiele mit einer positiven Bilanz? Was machen diese Redaktionen und Verlage anders und besser als andere?
Scherzer: Es gibt viele Wege und Herangehensweisen. Wichtig ist es vor allem, seine Zielgruppe gut zu kennen, maßgeschneiderte hochwertige Inhalte auf verschiedenen Plattformen zu steuern, die Leser mit verschiedensten Angeboten an die Marke zu binden – dies können viele Titel mit ihren Spezial-Themen sehr gut. Wichtig ist auch der Austausch mit neuen, jungen Geschäftsmodellen und deren Machern, ein Stück schöpferische Zerstörung zuzulassen und zugleich Neues aufzubauen.
Was sind aus Ihrer Sicht die nächsten Entwicklungsschritte der Umwälzung?
Scherzer: Die Entwicklung wird rasant zunehmen, wird alle Bereiche der Industrie und vor allem der Dienstleistung treffen. Die gesamte europäische Volkswirtschaft steht heute vor einer Aufgabe, der sich unsere Branche schon vor Jahren gestellt hat: die Gestaltung der Zukunft in veränderten, digitalen Realitäten.
Wie sehen Sie die Entwicklung von gedruckten Fachmedien? Print wird ja schon seit Jahren totgesagt.
Scherzer: Fachmedien haben in einer Branche die höchstmögliche Marktdurchdringung. Das macht sie zu attraktiven Businesspartnern für kooperative Projekte. Sie steuern die richtigen Zielgruppen in einem Markt an, via Print, digital oder in der Live-Begegnung. Mit anderen Worten: Fachmedien haben viel mehr zu bieten als reinen Content. Sie nehmen eine marktbegleitende Rolle ein, eng vereint mit den Professionals in ihren Märkten sowie – das wird immer wichtiger – im branchenübergreifenden Knowhow-Transfer. Der alte Wettbewerb zwischen Verlagen ist längst dem Kampf gegen die digitalen Giganten und disruptiven Businessmodelle gewichen. Nur durch engere Kooperationen untereinander, zum Beispiel in Form von Multiplattformen sowie mit branchenfernen Akteuren können Fachmedien dem entgegen wirken. Ein zeitgemäßer Weg zu neuen Geschäftsmodellen, Produkten und Partnern sind Startup-Aktivitäten. Das Investment von Venture Capital kann strategisch Branchen-Know-how und neue Geschäftsmodelle aufbauen.
Insgesamt ist das große Zeitschriftensterben ja bisher in Deutschland ausgeblieben.
Scherzer: Die Verlage haben sichgut behauptet, haben mit Titelvielfalt und Innovationen reagiert. Vor allem: Es werden immer mehr neue Titel und Verlage gegründet.
Wie hoch ist der digitale Erlösanteil?
Scherzer: Rund 20 Prozent
Ihr Berufsweg führte Sie vom Verlag IDG in Deutschland, der die Computerwoche und Macwelt herausgab, in die Chefetage nach San Francisco, wo Sie auch für Online- und Mobilstrategien zuständig waren. Welche Ideen können Sie auf Deutschland übertragen?
Scherzer: Die positive Grundhaltung: Es ist in Zeiten stetigen Wandels besser, wenn man das Glas als halbvoll ansieht. Dazu agiles Projektmanagement und das Aufbrechen von Unbeweglichkeiten.
Welche Befürchtungen haben sich nicht erfüllt?
Scherzer: Die Inhalte der Verlagshäuser sind auf allen Plattformen begehrter denn je, die Reichweite größer und die Relevanz stärker.
Wie lautet ihr Ausblick?
Scherzer: Wir werden viele spannende neue Entwicklungen in den Verlagshäusern sehen – an neue Ufer kommen getreu dem Motto von Odysseus (das gern auch Hubert Burda zitiert): "Never arrive".