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Jheronimus Bosch und Virtual Reality

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Mut und Neugier im Journalismus // Beitrag von Dr. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender Axel Springer SE | erschienen im Kompendium 'VDZ 2016'

Wenn man auf iTunes die App »Bosch VR« öffnet, dann taucht man aus der Perspektive eines Fisches ein in eine Welt, in der ein rosafarbener Brunnen wie ein pflanzenförmiges Zuckerbäckerornament aus einem runden Teich emporragt, durch den Teich schwimmt ein Einhorn, schwarze Vögel schießen vom Horizont in die Bildmitte, links frisst eine Giraffe mit Geweihkrone Baumblätter, und wenn man sich ganz umdreht, sieht man wie Gott Adam und Eva einander vorstellt, die beiden liegen nackt auf leuchtend grünem Gras, wobei Eva eine eher abwehrende Bewegung mit ihrer weißhäutigen zarten Hand macht. Ein Smartphone, eine dieser Pappbrillen und die Virtual Reality App genügen, um eine dreidimensionale bewegte Welt zu erleben, die vor einem halben Jahrtausend gemalt und vor kurzem zum virtuellen Erlebnis codiert wurde. Der linke Flügel des Triptychons ist gratis zu besuchen, der mittlere und rechte kosten Eintritt. »Der Garten der Lüste« von Jheronismus Bosch als ikonografischer Beweis für die Faszinationskraft des neuen Mega-Trends aus dem Silicon Valley.

Virtual Reality – was steckt dahinter? Zunächst eine große Versprechung. Mit der ursprünglich mittels Crowdfunding finanzierten Entwicklerversion einer VR-Brille hatte Oculus schon 2012 Aufsehen erregt. Die Übernahme des Unternehmens durch Facebook im Frühjahr 2014 gegen 400 Millionen US-Dollar in bar und weiteren 1,6 Milliarden US-Dollar in Facebook-Aktien hat den Trend weiter befeuert. Die Auslieferung an die Endkunden beginnt im Frühjahr 2016. Heute wetteifern mehrere Konkurrenten um den Massenmarktdurchbruch und das größte Stück am entstehenden Kuchen.

Auch bei Virtual Reality kommt es auf die Inhalte an

Die Begeisterung wächst. Vor kurzem sickerte durch, dass die heißersehnte VR-Brille für die Playstation 4 im Herbst 2016 endlich erscheinen wird. Samsung setzt ebenfalls auf Virtual Reality. Der koreanische Technologiegigant plant, zusätzlich zum bisherigen Smartphone-basierten Gear VR ein eigenständiges Headset einzuführen. Natürlich fehlt auch Google nicht im Reigen. Nachdem das Unternehmen 2014 mit seiner günstigen Pappbrille die Preisschwelle zum VR-Genuss niedergerissen und die Technologieerfahrung erstmals praktisch jedem Smartphone-Nutzer ermöglicht hat, soll ein neues Google VR-Headset Gerüchten zufolge rechtzeitig vor Weihnachten 2016 in den Regalen stehen.

Bei aller Euphorie: Was hat diese glitzernde Technologie-Welt mit den Verlagen zu tun? Auf den ersten Blick wenig – Technologiebegeisterung hin oder her. Doch wer genauer schaut, der erkennt: Brillen und Kameras allein locken niemanden hinter dem Ofen hervor. Was zählt, sind Inhalte. Und das sind neben Filmen, Spielen und Software gerade auch journalistische Texte, Videos, Reportagen. In der neuen Technologie liegen große publizistische Chancen. Was schon heute möglich ist, hat Bild.de Anfang des Jahres in einer in dieser Form neuartigen 360°-Virtual-Reality-Videoreportage von der irakischen Front in Sindschar unter Beweis gestellt. Die New York Times hat vor wenigen Monaten mehr als eine Million Pappbrillen an ihre Abonnenten verschickt und anschließend »Displaced« veröffentlicht, eine bewegende Multimedia-Reise mit Text, Foto und Virtual Reality. Diese zeichnet das Schicksal von drei der 30 Millionen Kinder nach, die durch Kriege aus ihrer Heimat vertrieben wurden. VR schafft eine emotionale Verbindung zu Menschen, die am anderen Ende der Welt leben, weckt Empathie. Auch Sports Illustrated setzt erstmals auf die Technologie. Für die legendäre Swimsuit-Ausgabe wähnen sich die Leser unmittelbar an tropischen Stränden und erhaschen neue Perspektiven. 

Neue Technologien bieten Chancen für neue journalistische Erzählformen

Noch längst sind nicht alle technischen Fragen gelöst. Und auch journalistisch gibt es Fallstricke und Herausforderungen. Wie gewährleistet man bei 360°-VRArbeiten trotz Kameraungetümen mit vielen Linsen die Natürlichkeit der Aufnahme, wie gelingt es dem Dokumentarfilmer, keine gestellten Szenen zu provozieren? Wie viel Retusche ist zulässig, wenn Computer die von den Kameras aufgenommenen Bilder für das menschliche Auge unmerklich zusammenschneiden? 

Selbst wenn einige Arbeit vor den Journalisten liegt, um sich die VR-Technik anzueignen und Wege zu entdecken, sie bestmöglich zu nutzen: Es wird sich auch wirtschaftlich auszahlen. Der Markt für Virtual-Reality-Produkte soll sich laut Schätzungen von Statista von 2,3 Milliarden US-Dollar im vergangenen Jahr auf 5,2 Milliarden US-Dollar bis 2018 mehr als verdoppeln. Viel Wachstum, um journalistische Inhalte für neu entstehende Kanäle und Formate zu entwickeln. 

Das Beispiel VR zeigt: Es geht auch im Journalismus immer wieder darum, neue Geschäftsmodelle auf neuen Technologien aufzubauen – wie im Falle der »Bosch VR«-App, die als innovatives Beispiel für Paid Content herhält. Mut und Neugier sind dafür zwingend. Darin können wir uns vielleicht bei Jheronimus Bosch eine Scheibe abschneiden. //

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