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Laudatio von Bundesminister a. D. Hans-Dietrich Genscher für Shimon Peres

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Herr Botschafter des Staates Israel, meine sehr verehrten Damen, meine Herren,

die Lebensleistung Shimon Peres zu würdigen, bedeutet, die Geschichte des Staates Israel zu beschreiben. Er ist untrennbar mit der Entwicklung Israels seit der Staatsgründung verbunden.

In Israel lebt der am 2. August 1923 in Polen - heute Belarus - Geborene seit dem Jahre 1934. 1959 wurde er zum ersten Mal Abgeordneter in der Knesset. Es folgten verschiedene Kabinettsposten. Nach dem Tode von Yitzhak Rabin wurde Shimon Peres Ministerpräsident Israels. Der Friedensnobelpreis, den er zusammen mit Yitzhak Rabin und Yassir Arafat 1994 erhielt, war die verdiente Anerkennung seiner Verdienste im Oslo-Friedensprozess und seiner steten Bemühungen um eine einvernehmliche Regelung mit den Palästinensern und mit den Nachbarstaaten Israels.

Seit dem 15. Juli 2007 ist Shimon Peres Israelischer Staatspräsident – für sieben Jahre gewählt. Diese nüchternen Daten lassen erkennen, Shimon Peres gehört zu den großen und gestaltenden Persönlichkeiten des Staates Israel.

Wer ihm begegnet, kann sich dem Charisma dieser starken Persönlichkeit nicht entziehen. Wenn wir heute sein Lebenswerk würdigen, dann lohnt es sich, den Grundüberzeugungen dieses großen israelischen Staatsmannes nachzuspüren. Ich bin ihm immer wieder begegnet. Unvergessen aber bleibt für mich der 27. Januar 2010, der Tag des Gedächtnisses an die Opfer des Nationalsozialismus, der Tag, an dem er vor dem Deutschen Bundestag sprach. Die Rede des Staatspräsidenten Israels an diesem Gedenktag hatte besonderes Gewicht. Shimon Peres gab diesem Tag die dem Anlass geschuldete Würde. Keine der Reden herausragender ausländischer Persönlichkeiten vor dem Deutschen Bundestag hat mich so berührt und so aufgewühlt wie die von Shimon Peres.

Ich empfand diese Rede als Vermächtnis, nicht nur als politisches, sondern als moralisches Vermächtnis eines ganz Großen unserer Zeit. Das galt schon für den Einstand: "Ich stehe heute vor Ihnen als Präsident des Staates Israel, der Heimstätte des jüdischen Volkes. Und während es mein Herz zerreißt, wenn ich an die Gräueltaten der Vergangenheit denke, blicken meine Augen auf die gemeinsame Zukunft einer Welt von jungen Menschen, in der es keinen Platz für Hass gibt. Eine Welt, in der die Worte "Krieg" und "Antisemitismus" nicht mehr existieren." Danach wendet er sich an seine deutschen Zuhörer: "Meine Freunde, Gesandte des deutschen Volkes und dessen Vertreter". Und es bricht aus ihm heraus: "Im Staat Israel und überall auf der Welt weilen immer weniger Überlebende der Shoa unter uns. Ihre Zahl nimmt täglich ab. Gleichzeitig leben auf deutschem Boden, in Europa und anderswo auf der Welt noch immer Menschen, die damals dieses schrecklichste Ziel verfolgten – den Völkermord. Ich bitte Sie: Tun Sie alles, um diesen Verbrechern ihre gerechte Strafe zu erteilen. In unseren Augen handelt es sich nicht um Rache. Es geht um Erziehung. Es sollte eine Stunde der Gnade für die jüngere Generation sein. Die Jugend muss sich erinnern; sie darf nicht vergessen und muss wissen, was geschehen ist. Sie darf niemals, wirklich niemals etwas anderes glauben, sich andere Ziele setzen als Frieden, Versöhnung und Liebe." Was für ein Vermächtnis!

Und dann sein Appell an unser Gewissen: "Meine verehrten Anwesenden, die Shoa wirft schwierige Fragen zur tiefsten Seele des Menschen auf. Wie böse kann der Mensch sein? Wie gelähmt ein ganzes Volk? Ein kulturelles Volk, das auch die Philosophie respektierte. Zu welchen Gräueltaten ist der Mensch fähig? Wie kann er seinen moralischen Kompass abstellen?" Heute frage ich Sie hier, liebe deutsche Mitbürger: Hat nicht jeder von uns sich schon diese Frage gestellt und immer wieder neu und doch ohne eine wirkliche Antwort? Heute – da unsere Gedanken nach Jerusalem gehen – werden sie begleitet von unserem Bekenntnis, alles, aber auch alles zu tun, damit der Ungeist nie wieder Boden gewinnt, aus dem heraus das Unrecht geschah. Shimon Peres hat sein Leben dem Staat der Juden gewidmet, wohl wissend, dass Frieden und Sicherheit für Israel auch bedeutet, den Frieden zu suchen mit dem palästinensischen Volke und mit den anderen Nachbarstaaten Israels. Der Aufruf, nicht zu vergessen, was geschehen ist, ist ein Aufruf zuallererst an uns Deutsche.

Wenn hier in Deutschland Shimon Peres gewürdigt wird, dann soll er wissen, dass nichts vergessen werden wird, weil sich niemals wiederholen darf, was in den dunkelsten Jahres der deutschen Geschichte von Deutschen geschehen ist. Das gehört zu unserer Antwort auf die Einmaligkeit des Völkermordes am jüdischen Volk. Das hat wohl auch dem ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss vor Augen gestanden, als er am 12. September 1949 unmittelbar nach seiner Wahl zum Staatsoberhaupt auf dem Marktplatz in Bonn dem deutschen Volk zurief: Gerechtigkeit erhöhet ein Volk. Es drückt aus, was Artikel 1 unserer Verfassung postuliert: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Das bedeutet, die Würde jedes Menschen, nicht nur die des deutschen. Wenn wir heute mit dieser Auszeichnung den großen israelischen Staatsmann Shimon Peres ehren, so verbinden wir damit das Versprechen, dass in unserem Land Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus und Herrschaftsansprüche gegenüber anderen Völkern niemals mehr eine Heimstatt haben werden.

Wenn Thomas Mann unser Land, als das europäische Deutschland bezeichnet, als Absage an das unheilvolle Ziel, aus Europa ein deutsches Europa zu machen, dann bringt er damit zum Ausdruck, dass Deutschlands Einbettung in Europa die eindeutige und endgültige Absage ist an den Nationalismus und Chauvinismus der Vergangenheit.

Um es ganz klar zu sagen: Die deutsche Entscheidung für Europa und für die europäische Demokratiegemeinschaft ist mehr als eine politische oder gar nur ökonomische Entscheidung. Sie ist eine zutiefst wertbezogene moralische Entscheidung für Menschenwürde und für Menschenrechte. Hier liegt der Kern der europäischen Verantwortung der Deutschen. Mit Israel sind wir Deutschen als Lehre aus der Shoa in einzigartiger Weise verbunden. Shimon Peres gehört zu den großen Staatsmännern, die das frühzeitig erkannt und ganz konsequent nach dieser Einsicht gehandelt haben. Das hat den Weg geebnet für ein neues Verhältnis von Juden und Deutschen. Es ist ein untrennbares geworden. Es hat seine Wurzeln in dem Bewusstsein, dass wir uns stets der Verantwortung gegenüber Israel bewusst sein werden. Dass dieses deutsche Bekenntnis in Israel aufgenommen und angenommen wurde, ist auch das Werk des großen Mannes, den wir heute ehren, und dem wir so viel zu verdanken haben. Ihm gelten heute unsere guten Wünsche und unsere guten Gedanken.

Danke, Shimon Peres.

 

Es gilt das gesprochene Wort!

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