Mobilisierung gegen Angriffe auf die Demokratie
Bitte vollenden Sie den Satz: „Denk ich an Europa……“ heute und in fünf Jahren?
... fallen mir jede Menge großer Herausforderungen ein, die von allen gesellschaftlichen Kräften, die „pro-europäisch“ sind, angegangen werden müssen. Und ich denke daran, dass es sich lohnt, erheblichen Einsatz zu bringen. Es steht viel auf dem Spiel.
Was war Ihre Mission als Gründer von Pulse of Europe und ist diese erfüllt?
Als Missionar sehe ich mich und meine MitinitiatorInnen nicht. Uns ging es zu Beginn darum, ein Zeichen zu setzen. Wir wollten zeigen, dass ein auf gemeinsamen Grundwerten basierendes, vereintes Europa vielen am Herzen liegt. Dieser Teil der Mission ist vielleicht erfüllt. Da die Union heute aber womöglich noch gefährdeter ist als vor 1,5 Jahren, können wir die Hände nicht einfach in den Schoß legen.
Was hat Sie angetrieben, sich für Europa zu engagieren?
Brexitreferendum und Trumpwahl markierten für mich einen Wendepunkt in der Nachkriegsgeschichte. Sie sind Auswuchs völliger Verunsicherung und Manipulierbarkeit freier Gesellschaften und stehen für die Selbstzerstörung der westlichen Welt in ihrer bisherigen Prägung. Wenn die liberale Demokratie in Gefahr ist, müssen all diejenigen, denen diese Staatsform am Herzen liegt, ihrer Verantwortung gerecht werden und zu ihrer Verteidigung schreiten.
Sie erreichten eine hohe Mobilisierung, aber nicht nur das: Ihre „Demonstrationen“ waren „für“ etwas. Das ist in der „Demonstrationswirklichkeit“ selten genug bzw. singulär. Sie zeigten keine Wut oder Hass, sondern Konstruktivität. Lässt sich eine solch positive Ausrichtung auch auf andere politisch-gesellschaftliche Themen und „Artikulationen“ übertragen?
Ohne weiteres! Wie viel besser wäre die Welt, wenn wir uns trauen würden, statt zu motzen und unsere Bedürfnisse und Interessen klar zu äußeren? Natürlich muss man auch mal „Nein!“ und „Stopp“ sagen. Das schließt sich aber überhaupt nicht aus.
Sendeten Sie mit der Demonstration eigentlich nur Signale in Richtung Bürger für mehr Wertschätzung des scheinbar Selbstverständlichen? Oder auch in Richtung Europäischer Institutionen und EU-bürokratischer Denkweisen. Christian Lindner forderte zum Beispiel bei aller Stützung Europas eine Reduzierung auf 15 Kommissionen und ein Verlassen des Prinzips der Einstimmigkeit.
Wir agieren in alle Richtungen. Einerseits versuchen wir, einen Betrag zum Entstehen einer echten europäischen Zivilgesellschaft zu leisten. Die gibt es nämlich nur als Fragment, obwohl sie entscheidend für die Zukunft ist. Anderseits sind wir Diskussionsplattform für notwendige Reformen. Wir wollen zudem ein Brennglas auf lösungsbedürftige europäische Themen lenken und einen Diskurs dazu anfachen. Wir kritisieren Politik auch, versuchen dabei aber konstruktiv zu sein. Zukunftsgestaltung geht nur im Zusammenspiel zwischen Politik und Zivilgesellschaft.
Wie stark waren Sie und Ihre Mitstreiter Hate Speech und Fake News ausgesetzt, gar Cyber Mobbing? Und wenn ja, wie gingen Sie damit um?
Wer in den sozialen Medien unterwegs ist, weiß, wie gut organisiert die radikalen Kräfte dort sind. Es gab und gibt jede Menge Verschwörungstheorien von rechts und links außen, deren Ziel es ist, uns zu schwächen. Das geht im Moment aber allen Verteidigern der liberalen Demokratie so. Wenn man die Mechanismen verstanden hat, lernt man damit zu leben.
Was ist Ihre Antwort darauf? Mehr Regulierung, mehr Aufklärung und Bildung, mehr „unfaked news“?
Aufklärung und Bildung sind wichtig. Persönliches Engagement ist unerlässlich. Wir alle müssen aber scheinbar erst noch lernen, uns in der sich verändernden Welt richtig zu bewegen. Der technische Fortschritt überrollt uns gerade etwas. Auch die Rolle der Medien muss neu gedacht werden. Sie sind als „4. Gewalt“ in einer freien Demokratie unerlässlich, werden aber gerade von verschiedenen Seiten zielgerichtet in ihrer Glaubwürdigkeit diskreditiert. Auch darin steckt ein systematischer Angriff auf die Demokratie.
Sehen Sie auch die Gefahr, dass die Bedrohung von Freiheit eben durch dann politische Einschränkung der Freiheit gerade beantwortet wird? Dafür stehen Begriffe wie Netzwerkdurchsetzungsgesetz, journalistischer Datenschutz und eine neue EU-Initiative (High Level Benchmarking Group der Kommission) zur qualitativen Beurteilung von Presse-Artikeln
Alle Maßnahmen müssen wohlüberlegt sein. Die Antwort auf die Bedrohungen kann nicht die massive Einschränkung von Freiheit von der Seite sein. Andererseits muss Demokratie auch wehrhaft sein. Wer es mit Feinden zu tun hat, muss das benennen und sich dagegen wappnen. Wie gesagt: Wir sind gerade in einem Lernprozess im Umgang mit neuen Phänomenen. Wenn wir das so begreifen, kann man untaugliche Eingriffe ohne Gesichtsverlust auch wieder rückgängig machen.
Wie nehmen Sie die Medienbranche, insbesondere die freie Presse der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage wahr? Angenommen Sie wären Personalchef eines großen Medienhauses, was würden Sie hier als Erstes anpacken? Wie gesagt, deren Rolle ist zentral für unser Gemeinwesen! Ohne Qualitätsjournalismus hat es die Demokratie schwer. Wenn Geld keine Rolle spielen würde, würde ich als Personalchef Mitarbeiter ohne Ende einstellen, die Tag und Nacht daran arbeiten, dem gesteuerten Angriff auf Tatsachen Paroli zu bieten. Leider ist das irreal, da die Branche seit Jahren auch wirtschaftlich unter erheblichen Druck geraten ist. Vielleicht bieten sich künftig innovative Kooperationsmodelle mit zivilgesellschaftlichen Organisationen an.
Welche Eindrücke, Erinnerungen etc. haben Sie als Preisträger der Goldenen Victoria mitgenommen?
Wir bei Pulse of Europe haben uns sehr über den Preis und die damit verbundene Wertschätzung gefreut. Die Veranstaltung mit rotem Teppich und Glamour hat schon etwas von Oscar-Feeling. Die Goldene Victoria selbst ist sehr gewichtig und formvollendet. Ich habe mich sehr gefreut, dass Roland Jahn die Laudatio gehalten hat. Ich habe hohen Respekt vor Menschen, die sich in Diktaturen wie der DDR unter Inkaufnahme persönlicher Repressalien für ein besseres Leben in Freiheit einsetzen.
Wie informieren Sie sich, wie unterhalten Sie sich (medial)?
Mit einem bunten Mix aus Online- und Printmedien, Radio, Fernsehen, Filmen und Büchern. Was mir tatsächlich fehlt, ist dabei die europäische Perspektive. Es ist gar nicht leicht, sich gezielt über Geschehnisse in anderen Ländern zu informieren. Berichterstattung findet aus der nationalen Brille statt. Das Europa der Zukunft braucht auch eine europäische Medienlandschaft.