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"Paid Content wird zum Platin-Standard"

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Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer über Bezahlmodelle, Google und die Rolle der Politik | erschienen in HORIZONT am 11. Dezember | von Jürgen Scharrer

HORIZONT 50/2014 | 11. Dezember 2014 | S. 18/19

Es ist ein ständiger Balanceakt: Als VDZ-Chef muss man bei der Politik Alarm schlagen, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, sich aber gleichzeitig vom Krisengerede über die Verlagsbranche distanzieren. Man muss die Digitalisierung als famose Chance feiern und zugleich die Printfahne hochhalten. Stephan Scherzer, seit drei Jahren an der Spitze des Verbands, gelingt das ziemlich gut.

Herr Scherzer, lassen Sie uns über die digitale Enttäuschung im Verlagsgeschäft sprechen. Vor zehn Jahren lautete die Prognose: Print wird jedes Jahr verlieren, aber das ist nicht schlimm, weil gleichzeitig die digitalen Werbeerlöse stürmisch steigen. Teil 1 der Prognose traf ein, Teil 2 nicht. 2014 bezeichnet das Ende des Wachstums bei Display Ads, das einstmals erwartete Umsatzniveau wurde nie erreicht. Das ist eine deprimierende Bilanz.
Ich meine, das Glas ist mindestens halb voll. Print wirkt und Digital ist durchaus eine Erfolgsgeschichte. Die journalistischen Angebote der Verlage erreichen heute mehr Leser als jemals zuvor – die Markenreichweiten sind enorm. Jugendliche kommen häufig im Netz zum ersten Mal mit unseren Marken in Kontakt, auch das Abogeschäft profitiert von den digitalen Möglichkeiten, und vergessen Sie den E-Commerce nicht. Die Verlage können Digital! Aber es gibt es auch die andere Seite. Gatekeeper wie Google und Facebook ziehen fast 50 Prozent der globalen Werbeumsätze im Internet auf sich. Das konnte man sich vor zehn Jahren einfach nicht vorstellen. Dieser gewaltige Staubsaugereffekt hat auch Auswirkungen auf die Vermarktung.

Das Problem ist: Es ist keine Besserung in Sicht. Die Rechnung, dass dank ständig wachsender Reichweiten die Werbeumsätze irgendwann so groß sind, dass man Journalismus im Netz finanzieren kann, geht nicht auf.
Die Herausforderungen der Vermarktung werden für alle sogar noch größer. In spätestens fünf Jahren werden 70 bis 80 Prozent der Zugriffe über mobile Geräte laufen. Die Vermarktung der kleinen Screens ist noch einmal eine ganz neue Herausforderung. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, sich dem Thema Bezahlinhalte zu widmen. Die Verlage waren in der Geschichte immer auch deswegen wirtschaftlich erfolgreich, weil sie neben den Werbeumsätzen auch Vertriebserlöse hatten, die für größere Unabhängigkeit vom Anzeigenkunden und der Konjunktur sorgten. Die Amerikaner hatten diese stabilen Leserumsätze in diesem Umfang übrigens nie. Paid Content wird auch im Netz zum Platin-Standard werden – für Zeitungen und Zeitschriften geben die Deutschen jeden Monat über 270 Millionen Euro aus.

Droht bei Paid Content nicht die nächste Illusion, die platzen wird?
Die Steigerung der Leserumsätze ist ein wichtiger Baustein und ich sehe hier auch echte Chancen. Zum einen, weil die Verlage hervorragende Inhalte haben, für die die Menschen zu zahlen bereit sind, wie aktuelle Allensbach-Erhebungen zeigen. Zum anderen, weil es endlich einfache Zahlungssysteme gibt, bei denen man kein Handbuch braucht, um sie zu verstehen. Je anwenderfreundlicher der Bezahlvorgang im Netz wird, desto besser die Chancen für Paid Content. Dann kann ja nichts mehr schiefgehen. Ich mache zwei Einschränkungen. Erstens: Es gibt keine "One fits for all"-Lösung. Paid Content ist ein komplexes Geschäft, das auch von der Zielgruppe abhängt, bei dem man den Mut braucht, viele Dinge auszuprobieren. Die zweite Einschränkung ist, dass wir in Deutschland ein enorm starkes öffentlich-rechtliches Angebot im Netz haben. Es ist schwierig, eine harte Paid-Content-Strategie durchzusetzen, wenn Marken wie Heute Journal, Tagesschau oder Sportschau in einem solchen Umfang presseähnliche Angebote im Internet aufbauen und direkt mit den unternehmerischen Verlagsangeboten konkurrieren.

Wie frustrierend ist es, diesen Missstand immer wieder zu beklagen und dann doch nichts ausrichten zu können? Oder wollen Sie Ihren Mitgliedern jetzt Hoffnungen machen, der VDZ werde hier in den nächsten ein, zwei Jahren etwas bewegen?
Der VDZ hat eine Bergsteiger-Mentalität. Wir gehen einen Schritt nach dem anderen. Die private Presse muss auch im Digitalen die Chance haben, wirtschaftlich zu arbeiten. Die Rolle des öffentlichrechtlichen Rundfunks bleibt für uns ein wichtiges Thema, bei dem wir nicht kleinbeigeben. Ohne ein Mindestmaß an Konsens unter den Verlagen wird Paid Content nicht funktionieren. Wir haben Konsens in der Branche, dass Leserumsatz wichtig ist. Darüber hinaus müsste auch das Kartellamt die Welt so wahrnehmen, wie sie tatsächlich ist. Die deutschen Verlage stehen für Vielfalt, Wettbewerb und Unternehmertum. Beim VDZ sind 450 Verlage Mitglied, das sind knapp 90 Prozent des Marktes. Im Wettbewerb gibt es zwei große Fernsehvermarkter, wenige Mediaagenturen, das öffentlich-rechtliche Fernsehen und Gatekeeper wie Google, die Post oder Facebook, an denen niemand vorbeikommt. Im Koalitionsvertrag steht, dass Kooperationen erleichtert werden sollen. Verlage wollen Wettbewerb – aber auf Augenhöhe.

Mal abgesehen von den rechtlichen Rahmenbedingungen: Gehen die deutschen Verlage beim Thema Paid Content schon beherzt genug zu Werke oder fehlt es nicht weit und breit an dem nötigen Mut?
In dem Thema ist richtig Bewegung drin. Ich glaube, es gibt kein Haus, das nicht im nächsten Jahr etwas probieren wird. Was hilft, ist, dass wir inzwischen über viele Erfahrungswerte verfügen. Schauen Sie sich allein die "New York Times" an, die seit 15 Jahren mit Paid Content experimentiert. Einiges hat gut funktioniert. Auch von diesen Erfahrungen profitieren deutsche Verlage.

Es gibt zwei Geschichten, die sich widersprechen. Die eine lautet: Die deutschen Verlage sind unglaublich vital, was man schon allein daran sieht, wie viele Printtitel jedes Jahr neu auf den Markt kommen. Deshalb sollte man auch endlich damit aufhören, von einer Krisenbranche zu sprechen. Die andere Geschichte geht so: Wenn die Politik nicht aufpasst und nicht für faire Rahmenbedingungen sorgt, droht der freiheitlichen Presse in Deutschland eine Katastrophe. Was stimmt denn nun?
Die deutschen Verlage schlagen sich unternehmerisch gut, gerade wenn man sich das Wettbewerbsumfeld ansieht. Das gilt für Print wie Digital. Wir bieten unglaublich viele und gute Inhalte. Die deutschen Verlage haben die mediale Transformation verinnerlicht und verfügen über große Expertise. Ich sehe das auch an unseren Veranstaltungen, etwa am Digital Innovators Summit oder dem Direct Marketing Summit. Früher ging es um das Ob, jetzt um das Wie. All das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir sinkende Umsätze im Anzeigengeschäft kompensieren müssen. Die Verlage packen unternehmerisch an. Zusätzlich benötigen sie faire politische Rahmenbedingungen, um in einer zunehmend digitalen Welt erfolgreich sein zu können. Alles, was die Politik tun kann, um die Rahmenbedingungen der Presse im Wettbewerb zu verbessern, muss sie tun. Anders werden wir die großartige Vielfalt von hunderten mittelständischer Verlage nicht erhalten können.

Ein zentraler Punkt auf Ihrer Agenda ist Google.
Google ist ein gewachsener Monopolist und muss als solcher behandelt werden. Für mich war der entscheidende strategische Wendepunkt 2007, als Google Doubleclick übernommen hat. Die Verbindung von einer Dominanz bei Search und digitalem Werbegeschäft war gewissermaßen der Urknall der Entwicklung – auch damals hat keine Wettbewerbsbehörde die Tragweite erkannt. Der VDZ ist in dieser Sache seit 2009 in Brüssel aktiv. Dass Google eine Monopolstellung innehat und sein Suchmonopol missbraucht, ist ja überhaupt nicht mehr strittig. Dennoch ist in den vier Jahren so gut wie nichts passiert. Gleichzeitig hat Google mit Android in dieser Zeit einen neuen Gatekeeper geschaffen, der bei Smartphones inzwischen einen Marktanteil von 85 Prozent hat – dazu kommen noch Youtube, Chrome, Gmail, um nur die Größten zu nennen. Es kann auch nicht sein, dass weltweit keine Wettbewerbsbehörde zuckt, wenn Facebook en passant für 19 Milliarden Dollar Whatsapp vom Markt kauft.

Das Erstaunliche ist, dass vor allem die SPD mit Sigmar Gabriel an der Spitze verstanden hat, wie der Silicon-Valley-Kapitalismus funktioniert. Von der CDU kann man das nicht behaupten.
Gabriel sitzt als Wirtschaftsminister an einer ganz entscheidenden Schaltstelle, SPD hin oder her. In den Regierungsparteien gibt es Politiker, die die Themen erkennen, denken Sie an Thomas de Maizière, der in diesem Jahr beim Publishers Summit die Datenschutznovelle mit großem Verständnis adressiert hat. Die Kanzlerin hat schon 2009 deutlich angemerkt, dass es mit ihr keine weiteren Werbeverbote geben wird. Die Regierung muss unbedingt noch deutlicher in Brüssel auftreten, gerade bei den Themen Datenschutz, Werbeverbote, Google und Steuerpolitik. Das Justizministerium sieht sich Google ebenfalls genau an.

Das ist auch SPD-geführt.
Für mich ist entscheidend, dass wir uns in Politik und Gesellschaft nicht einfach damit abfinden, dass globale Netzwerkeffekte zu Monopolen im Internet führen. Dass wir in vielen Bereichen keinen echten Wettbewerb mehr haben, ist ein Zustand, der uns alle alarmieren muss! Deshalb: Rumsitzen und Rumreden hilft nicht. Gabriel und die Bundesregierung haben in Brüssel jetzt sehr viele Punkte adressiert. Nun muss aber auch konkret etwas passieren.

Und, wird etwas passieren?
Ich bin überzeugt: Da geht was. Es reicht in vielen Fällen ja schon, wenn das aktuell handhabbare Instrumentarium, das es ja gibt, angewendet wird. Es gibt viele Mittel im geltenden Wettbewerbsrecht. Im Übrigen muss man nicht immer nach Europa zeigen. Natürlich ist die EU-Kommission jetzt gefordert, die Google-Kartellklage europarechtlich zu regeln. Aber auch wenn das nicht passiert, hat die Bundesregierung alle Möglichkeiten, nationale Gesetze zu verabschieden, um ein deutliches Zeichen zu setzen.

An welchen anderen Themen lassen Sie sich im nächsten Jahr messen?
Wir sind absolut kämpferisch beim Thema Werbebeschränkungen. Hier können wir auf gar keinen Fall weitere Restriktionen hinnehmen. Ein weiteres zentrales Thema ist für mich die EU-Datenschutznovelle. Wir werden alles dafür tun, dass die Geschäftsmodelle der Verlage nicht ruiniert und die freie Berichterstattung nicht eingeschränkt werden. Und dann haben wir noch diesen fast epischen Kampf für eine technologieneutrale Presse. Es kann nicht sein, dass die digitale Presse anders reguliert wird als Print. Und selbstverständlich muss deshalb auch die Mehrwertsteuer plattformunabhängig 7 Prozent betragen. Garantien gibt es nicht – sondern nur harte Arbeit.

Was war Ihr wichtigster Erfolg in diesem Jahr?
Es gibt Bewegung in wichtigen Bereichen. Wir sind gesellschaftlich und politisch in der Debatte um Monopole, digitale Plattformen, um den Wert der freien Presse und um Urheberschutz weiter gekommen, nicht zuletzt auch ein Verdienst des von uns erkämpften Leistungsschutzrechtes. Das ist ein starkes Signal, bei aller Kritik und bei allen Einwänden, es sei zu schmal ausgefallen. In einer globalen Ökonomie, die dabei ist, im großen Stil Urheberrechte zurückzudrängen, ist das ein riesiger Erfolg. 

Kein Widerspruch, das Leistungsschutzrecht ist wichtig. Nur leider ist es bisher nicht viel mehr als ein Signal ohne konkrete Folgen.
An Ihrer Bemerkung sieht man, wie ungeduldig wir alle sind. Die Erwartungshaltung im digitalen Zeitalter ist: Man launcht ein Start-up und ist in drei Jahren Multimillionär. Es ist naiv, zu glauben, man könne mit einem neuen Gesetz die Verhältnisse mal eben so auf den Kopf stellen. Das Leistungsschutzrecht ist ein erster ganz wichtiger Anker, es ist ein erster Schritt, dem weitere folgen müssen. Und die werden auch folgen. Der entscheidende Punkt ist, den Wert des geistigen Eigentums zu stärken.

Man sagt ja immer, alle Unternehmen müssten sich ständig neu erfinden. Gilt das auch für den VDZ?
Wir sind ein Unternehmerverband und unternehmen etwas. Wir sind in den vergangenen drei Jahren noch effizienter geworden. Wir haben zum Beispiel agiles Projektmanagement eingeführt und legen großen Wert darauf, die Gremienarbeit effizient zu gestalten. Es gibt nur noch ganz wenige Sitzungen, die über zwei Tage laufen, weil Verlagsmanager heute einfach weniger Zeit haben als früher und natürlich Ergebnisse erwarten. Und dann ist es unser Anspruch, bei allen wichtigen Themen auf Augenhöhe mit Verlegern, Managern und der Politik zu sein. Ich erwarte vom Team, die Herausforderungen unserer Mitglieder substanziell zu verstehen und in gute Aktionen umzusetzen.

Das klingt nach einem ziemlich stressigen Chef.
(lacht) Ich glaube, ich bin ein spannender Chef. Was ich erwarte, ist die Extrameile für die Branche. Ach ja, und zum Schluss habe ich noch einen Tipp für Sie und alle Leser: Schauen Sie sich mal den Film "12 Dinge, die Sie über Zeitschriften wissen sollten" an.

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