Politik muss Printmedien digitale Perspektive ermöglichen
promedia: Herr Fürstner, Sie haben vor Kurzem dagegen protestiert, dass die ARD eine App der „Tagesschau“ plant. Es existieren auf dem iPhone inzwischen mehr als 100.000 Apps. Was macht eine „Tagesschau“-App so problematisch?
Fürstner: Unsere Kritik richtet sich gegen die öffentlich-rechtlichen Anstalten, die mit mehr als sieben Milliarden Euro allein aus Gebühreneinnahmen größer sind als die Zeitschriften-Verleger insgesamt an Umsatz machen. Der Expansionspolitik der gebührenfinanzierten Sender stehen die privatwirtschaftlichen Medien gegenüber, die in einer nie dagewesenen Umbruchsituation sind, weil sich bei diesen durch die Digitalisierung die klassischen Geschäftsmodelle radikal verändern. Alles, was gestern sehr erfolgreich war, nämlich hervorragende Zeitschriften und Zeitungen zu machen, diese mit Werbung und einem moderaten Copy-Preis zu finanzieren und zu vertreiben, funktioniert in dem wachsenden Bereich der digitalen Presse so nicht mehr. In diesem völlig veränderten Wettbewerbsszenario werden tagesschau. de und eine Tagesschau-App zum Symbol für eine nicht hinnehmbare Wettbewerbsverzerrung. Die Pressefreiheit ist ein zentrales, vom Grundgesetz geschütztes Gut, die Garant für Demokratie und Freiheit ist. Wenn in dieser Wettbewerbssituation die Bestands- und Entwicklungschancen der freien Presse in Bedrängnis geraten, ist eine ordnungspolitische Diskussion unverzichtbar.
promedia: Wie muss die Politik ordnungspolitisch eingreifen?
Fürstner: Wir müssen über die Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sehr viel offener reden als noch vor 20 Jahren. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist aus einer Frequenzknappheit entstanden. Nachkriegspolitiker waren der Auffassung, dass man eine Qualitätsgarantie bei den Massenmedien sicherstellen muss und daraus ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk entstanden. Wir haben heute keinen Mangel mehr an Medien. Dennoch ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk hervorragend mit Gebühren ausgestattet. Innerhalb von zehn Jahren haben sich die Gebühren verdoppelt. Mit der ungebremsten Expansion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in die Bereiche des Internet nehmen sie den privaten Medien die Luft zum Atmen. Wir sind nicht die Branche, die nach staatlichen Hilfen ruft, aber wir brauchen einen ordnungspolitischen Rahmen, der die Chancengleichheit zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Medien nachhaltig sicherstellt.
promedia: Die Politik hält ein solches Eingreifen gegenwärtig aber anscheinend nicht für erforderlich...
Fürstner: Wir wissen, dass die Politik in hohem Maße in die Strukturen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingebunden sind. Die Frage ist, ob sie überhaupt die Kraft zu einem ordnungspolitisch klaren Schritt haben. Ich glaube, dass die wechselseitigen Abhängigkeiten zu groß sind. Dass der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck jetzt eine Reduzierung der Werbung in den öffentlich-rechtlichen Anstalten vorschlägt, ist ein erstes positives Zeichen. Allerdings führen andere Länder wie Spanien oder England diese Diskussion viel offensiver als wir. In Deutschland ist es höchste Zeit, die Abgrenzung zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Medien klarer zu ziehen und auch sicherzustellen, dass Gesetze der Marktwirtschaft auch in den Medien ihre Berechtigung behalten und nicht durch den mit steuerähnlicher Finanzierung gesicherten öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgehebelt werden.
promedia: An welche Regulierungen denken Sie konkret?
Fürstner: Die Ministerpräsidenten der Länder müssen endlich klar entscheiden, inwieweit sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den Märkten entwickeln darf, die für die von der Umbruchsituation getroffenen Verlage überlebensnotwendig sind. Der Markt der digitalen Angebote ist in großer Gefahr, mit der ungebremsten Expansionspolitik der gebührenfinanzierten Medien “platt gemacht“ zu werden. Ein erster Schritt wäre – wie bei der englischen BBC – die kommerziellen Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Anstalten in einer eigenen Gesellschaft zu bündeln und zu privatisieren.
promedia: Das heißt Kürzen der Gebühren?
Fürstner: Die Gebühren sind für mich nicht das alleinige Kriterium. Für mich ist die Beschränkung der öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ihre Kernmärkte der entscheidende Punkt. Sie müssen sich auf Märkte konzentrieren, die nicht die Märkte der privaten Medien sind. Ein interessanter und heute durchaus denkbarer, allerdings radikaler aber ordnungspolitisch sauberer Ansatz wäre, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu privatisieren. Ich fürchte nur, dass die Politik die Kraft dazu nicht hat. Wir hören immer wieder, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk unverzichtbar ist. Ich habe Zweifel. Diese Diskussion hat nie ernsthaft stattgefunden. Aber ist diese Frage ein Tabu in Zeiten eines so vielfältigen Medienangebots? Wenn aber der öffentlich-rechtliche Rundfunk weiterhin am Markt agiert, muss es Regeln geben, die erlauben, dass beide Systeme in einem fairen Wettbewerb nebeneinander existieren können.
promedia: Sind aber die klassischen Märkte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks noch dessen alleiniger Kernmarkt, wenn die Verleger zunehmend ins Bewegtbildangebot einsteigen?
Fürstner: Damit gefährden sie nicht das Fernsehen sondern adaptieren nur ein mediales Format, das als Ergänzung zu den klassischen Printmedien heute unverzichtbar ist. Aber lassen Sie mich die Frage noch einmal zuspitzen: Ist es erforderlich, einen gebührenfinanzierten Rundfunk zu haben, der den privatwirtschaftlich verfassten Medien, die ständig neu ihre Relevanz am Markt beweisen müssen, Wettbewerb macht. Ich kritisiere ja nicht die Intendanten dafür, dass sie unternehmerisch denken und versuchen, ihre Märkte auszudehnen. Aber wem gehören diese Märkte? Noch einmal: Hier muss die Politik für klare Regeln sorgen. Die Demokratie benötigt privatwirtschaftliche, kritische Medien, die diesen Staat kontrollieren, die informieren, unterhalten und Werte vermitteln. Das ist eine vom Grundgesetz geschützte Aufgabe und wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht mehr zuträglich sind, wird es immer weniger privatwirtschaftliche Medien, immer weniger Zeitungen und Zeitschriften geben, während gebührenfinanzierte Medien unbegrenzt wachsen können. Dafür trägt der Staat die Verantwortung, weil er die Rahmenbedingungen setzen muss.
promedia: Aber die Verleger haben doch dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, der auf der Vereinbarung zwischen der EU-Kommission und den Ländern basiert und die den öffentlich-rechtlichen Sendern den Zugang in die digitale Welt ermöglicht hat, zugestimmt. Ein Jahr später können Sie damit nicht mehr leben?
Fürstner: Nicht, wenn die Schranken des Staatsvertrages leerlaufen, weil die öffentlich-rechtlichen Anstalten sie in Freibriefe umdeuten und Rechtsaufsicht wie Medienpolitik das akzeptieren. Wir haben schon bei der Verabschiedung des Vertrages gewarnt, im bloßen Gesetz einen Selbstläufer zu sehen. Die nötige Umsetzung der Schranken bleibt bislang aus. Die Drei-Stufen-Tests scheinen mit großem Getöse ins Leere zu laufen. Und ARD und ZDF erklären ausführlich, wieso das Verbot sendungsunabhängiger presseähnlicher Angebote irrelevant sei. Es geht nicht nur um eine „Tagesschau“-App von tagesschau.de, sondern auch um Angebote wie ard-boerse.de und sportschau.de und es wäre naiv zu glauben, dass dies das Ende der Fahnenstange wäre. Das heißt, jedes Segment des Fernsehprogramms wird als eigene digitale Plattform angeboten und gerät damit automatisch in den Wettbewerb der klassischen Zeitschriften. Wie sollen sich private Online-Angebote von Sport-, Wirtschafts- oder Börsenzeitschriften refinanzieren, wenn sich dieser Inhalt auch gebührenfinanziert und frei neben den privatwirtschaftlich zu refinanzierenden Medien im Netz befinden?
promedia: Aber die Öffentlich-Rechtlichen dürfen zu ihren Fernsehprogrammen sendungsbezogene Inhalte online anbieten…
Fürstner: Dass sie nur das dürfen, ist eine unserer Forderungen. Sie erklären aber, dass praktisch ihre gesamten Online-Angebote ganz unabhängig von Fernsehsendungen zulässig seien. Nicht einmal die Pflicht zur Kennzeichnung des Sendungsbezugs soll greifen. Als Fazit meinen ARD und ZDF, redaktionell selbstständige pressemäßige Berichterstattung sei praktisch unbegrenzt zulässig und praktizieren das auch. Presseähnliche Angebote dürfen aber nicht zulässig sein, da sie der Presse in der digitalen Welt mit unfairen Mitteln Leser abspenstig machen und letztlich die Geschäftsmodelle der Presse erodieren.
promedia: Im Umfeld des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags hat Markus Schächter den Vorschlag unterbreitet, dass man sich mit den Verlegern sowie den öffentlich-rechtlichen und den privaten Sendern zusammensetzt um Konflikte auszuräumen, bevor sie eskalieren. Darauf haben die Verleger nicht reagiert. Warum?
Fürstner: Die Verleger haben reagiert; es gab Gespräche, und es wird weitere Gespräche geben. Allerdings erklären uns dort ARD und ZDF bislang vor allem, wieso sie meinen, dass die Beschränkungen der gebührenfinanzierten Online-Presse im Rundfunkstaatsvertrag eigentlich doch gar keine Beschränkungen seien. Wir sind nach wie vor zu jeder Konfliktbeseitigung bereit, wenn sichergestellt ist, dass es keine Hidden Agenda der öffentlich-rechtlichen Anstalten gibt – das heißt, wenn sie bereit zu einer nachhaltigen Selbstbeschränkung sind. Dagmar Kerssenbrock, die Vorsitzende des NDR-Rundfunkrates, hat empört darauf reagiert, dass wir interne Papiere kommentieren. Ist es erst erlaubt, dass Zeitungen und Zeitschriften sich damit kritisch auseinandersetzen, wenn das digitale Expansionskonzept umgesetzt ist? Wir sind gern bereit, uns mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten an einen Tisch zu setzen, um über eine Aufgabenteilung zu reden.
promedia: Geht es Ihnen im Kern darum, die Regelungen des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags zu annullieren?
Fürstner: Der geltende Vertrag kann und muss so verstanden werden, dass er eine reale Beschränkung für ARD- und ZDF-Online darstellt. Wenn das weiterhin nicht geschieht, ist die Politik aufgefordert, die zugesagten, aber von ARD und ZDF weggedeuteten Schranken klarzustellen. Dann muss der Staatsvertrag insoweit klarstellend ergänzt werden.
promedia: Es handelt sich bei Apple auch um ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Ist es nicht normal, dass jemand, der eine solche Plattform betreibt, auch darüber entscheidet, was sich auf seiner Plattform abspielt? Warum haben Sie so empört reagiert, als Apple einige Apps „aussortiert“ hat?
Fürstner: Wir haben von dieser unerwarteten und willkürlichen Entfernung von mehr als 5.000 Apps mit der Begründung erfahren, sie seien zu erotisch. Ich habe Verständnis dafür, dass zum Beispiel ein amerikanisches Unternehmen eine andere Unternehmenspolitik betreibt als ein deutsches, dass es ein unterschiedliches Verständnis für kulturelle, ethische, religiöse oder sonstige Rahmenbedingungen gibt. Wenn wir aber als Verleger Medieninhalte anbieten und diese als App geschaltet werden, dann müssen diese Plattformen frei von Willkür sein. Das heißt, wir müssen mit Apple darüber sprechen können, unter welchen Voraussetzungen bestimmte Apps nicht geschaltet werden. Wenn wir aber die Auswahl nicht nachvollziehen können, führt das zu Willkür und damit ist der Gefahr einer Pressezensur das Tor geöffnet. Heute ist es eine Einschränkung beim Zeigen nackter Haut und morgen sind es politische Auffassungen oder die Darstellung von allen möglichen gesellschaftlichen Entwicklungen, die einem bestimmten Unternehmer nicht passen. Wir haben Apple vorgeschlagen, über Lösungen nachzudenken, die es erlauben, nationale und regionale Unterschiede in der Bewertung solcher Apps zuzulassen. Was in Deutschland gilt und in Amerika nicht, muss nicht dazu führen, dass der amerikanische Maßstab auch für den deutschen Markt gültig ist.
promedia: Müssen sich die Verleger nicht aktiver um eigene digitale Verbreitungswege kümmern, um unabhängiger von anderen Vertriebsplattformen zu werden?
Fürstner: Wir sind doch dabei, eigene Plattformen aufzubauen. Aber wir müssen neben dem klassischen Verlagsgeschäft die Transformation in die digitale Welt bewältigen und darüber hinaus die Vertriebsplattformen aufbauen. Das, was im deutschen Pressevertriebssystem der Großhandel erledigt oder die Deutsche Post im Abonnement, müssen jetzt die Verlage für sich entwickeln und dabei Erfahrungen sammeln. Der digitale Kiosk, der von einigen Unternehmen gestaltet wird, steht offen für andere Verlage und Medienunternehmen. Interessant ist, dass die Deutsche Telekom ein Angebot gemacht hat, das in die gleiche Richtung weist, mit dem Ansatz, dass das Bezahlsystem über die Telefonrechnung erfolgt. Das sind Perspektiven, die den Verlagen erlauben, ihre Endkunden-Beziehungen weiter zu pflegen. Ein Verlag, der nicht seine Leser und Anzeigenkunden identifizieren kann, vergibt wesentliche Elemente seines Geschäfts. Deswegen ist es von strategischer Bedeutung, nicht auf Dauer von Plattformen abhängig zu sein, die Einfluss auf Inhalte nehmen, uns die Preise diktieren und uns keinen direkten Kundenkontakt ermöglichen. Aber, und da schließt sich der Kreis, da das auch mit erheblichen Investitionen für die Verlage verbunden ist, benötigen wir eine Medienordnung, die den Printmedien eine wirtschaftliche Perspektive auch in der digitalen Welt ermöglicht.