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Von Chancen und Schnappatmung

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Julia Jäkel, Geschäftsführerin der G+J Verlagsgruppe Exclusive & Living, über schwierige Märkte und verkannte Möglichkeiten

Julia Jäkel, Geschäftsführerin der G+J Verlagsgruppe Exclusive & Living

Print ist tot, die Zukunft liegt im Internet, lautet eine der häufigsten Thesen auf Branchentreffen. Und tatsächlich lassen viele Indizien diese Entwicklung plausibel erscheinen. Doch Fakt ist auch, dass sich mit starken Titeln und guter Qualität auch in Zeiten der Digitalisierung hohe Auflagen und positive Ergebnisse erzielen lassen. Eines der besten Beispiele dafür ist die Zeitschrift Schöner Wohnen aus dem Verlag Gruner+Jahr, die 2010 ihr fünfzigjähriges Bestehen feierte.

Seit Julia Jäkel vor zweieinhalb Jahren die Geschäftsführung der G+J Verlagsgruppe Exclusive & Living* übernahm, stieg die Auflage von Schöner Wohnen kontinuierlich. Durchschnittlich nahm der Einzelverkauf in den letzten vier Quartalen um fast 40 Prozent zu – trotz einer Preiserhöhung von 4,00 Euro auf 4,30 Euro. Und auch im Anzeigengeschäft konnte Schöner Wohnen zulegen, mit einem Vorjahresplus von über 50 Prozent im Umsatz wurde der Titel zum Anzeigengewinner des Jahres. 2010 war für das Magazin das wirtschaftlich beste Jahr seiner Geschichte.

VDZ: Frau Jäkel, wie erklären Sie den Erfolg von Schöner Wohnen in einem Jahr, in dem viele Zeitschriften und Magazine Auflage und Anzeigen verloren haben?

JULIA JÄKEL: Im Grunde fängt alles an mit einer Grundüberzeugung, die uns leitet und weit über Schöner Wohnen hinaus gilt: Print hat viele Chancen, wenn wir uns auf das besinnen, was uns in der Vergangenheit stark gemacht hat: Exzellentes Handwerk, hochwertiger Service, lustvolle Aufbereitung, also ein Gesamtkunstwerk, das Menschen in Herz und Bauch berührt.

VDZ: Hilft das auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten, in denen die Menschen weniger Geld übrig haben für Zeitschriften?

JÄKEL: In den letzten Jahren wurden die Ursachen vieler Fehlentwicklungen bei Zeitschriften überlagert durch die Diskussion um Krise und Strukturwandel. Das macht die Logik einfach: Die Auflagen gingen runter, und die widrigen Umstände da draußen sind schuld. Doch das ist manchmal zu einfach. Natürlich gibt es strukturelle Veränderungen, darauf muss ich mich einstellen und Kosten signifikant senken. Aber dabei darf ich das Wichtigste nicht vergessen: Ist mein Heft, sind meine Inhalte wirklich so herausragend, wie wir meinen, so dass wir uns damit zufrieden geben können?

VDZ: Haben sich viele Blattmacher diese Frage nicht gestellt?

JÄKEL: Diese Frage ist anstrengend. Sie verletzt verdiente Kollegen, die sich jahrelang bemüht haben, attraktive Hefte zu machen. Aber uns hat diese Anstrengung weiter gebracht. Wir wussten, dass Schöner Wohnen eine superstarke Marke ist, die unsere Vorgänger über 50 Jahre aufgebaut hatten. Aber wir spürten auch, dass wir uns in der jüngsten Vergangenheit zu sehr auf unseren Lorbeeren als Marktführer ausgeruht haben. Diese mühsame Selbstreflexion kann jedem Verlag nützen.

VDZ: Welche Konsequenzen haben Sie aus dieser Erkenntnis gezogen?

JÄKEL: Zunächst haben wir Stephan Schäfer als Chefredakteur an Bord geholt. Mir war wichtig, einen Top-Blattmacher zu haben, der Dinge spürt, sie fühlt und entschieden handelt. Und wir haben uns völlig neu organisiert, die Kosten gesenkt, um dann kräftig in das Heft zu investieren. In Papierqualität, in Umfänge, in Extras, eben in journalistische Inhalte. Unser Atelier, in dem wir jahrelang Wohnsituationen im großen Stil nachgebaut haben, haben wir geschlossen. Nun gehen wir zu spannenden Menschen nach Hause, zeigen, wie sie wirklich leben. Die Erfolgsgeschichte von Schöner Wohnen ist also auch eine Geschichte von radikal veränderten Strukturen, Rückbesinnung auf die Tugenden des guten Journalismus. Ganz neue Anzeigenkunden haben zu uns gefunden, Beauty, Mode und sogar Uhrenhersteller wie Rolex. Das Bemerkenswerte ist, dass wir durch die fundamentalen Neuerungen keine Leser verloren, sondern eben nur gewonnen haben. Die Menschen freuen sich einfach über Schönes.

VDZ: Gehen Sie bei dem ebenfalls zu Ihrer Verlagsgruppe gehörenden Magazin Essen & Trinken nach dem gleichen Schema wie bei Schöner Wohnen vor?

JÄKEL: Beim Begriff „Schema“ bekomme ich Schnappatmung. Es gibt kein Patentrezept, das beliebig duplizierbar ist. Aber wenn Sie damit meinen: Spüren, dass wir einen Schatz einer superstarken Marke in der Hand haben, die aber noch mehr kann, dann dürfen Sie mir den Begriff gern in den Mund legen. Essen & Trinken kennt jeder und ist Synonym für ein ganzes Genre. Genussvolles Essen und Trinken gehört heute zu gutem Leben. Welche Chance für uns! Wir leisten uns für Essen & Trinken eine große Versuchsküche mit acht Köchen, die ständig neue Rezepte entwickeln. Wer hat das schon! Und mit deren Kunst wollen wir im Heft richtig klotzen.

VDZ: Sticht beim Thema Kochen nicht das Internet die Printmagazine aus?

JÄKEL: Zu meiner Gruppe gehört ja auch chefkoch.de, inzwischen die 18.-größte Site Deutschlands. Hochprofitabel, stark wachsend. Trotzdem ist die Existenzberechtigung für gut gemachte Printmagazine im Food-Segment mindestens so hoch wie früher. Im Web suche ich nach schnellen Antworten fürs Kochen, in der Zeitschrift finde ich inspirierende Geschichten, wie ich meinen Freunden mit einer Einladung Freude mache. Ich genieße auf dem Sofa vor und muss bei der Lektüre massiven Appetit bekommen. Durch opulente Optiken und Themen, mit denen unsere Leser im Alltag etwas anfangen können. Das ist etwas, was unsere Branche erkennen muss. Ich bin sicher, dass wir auch mit Essen & Trinken noch Auflagenpotenzial haben.

VDZ: Glauben Sie wirklich, dass der gesamte Printbereich so zuversichtlich sein kann?

JÄKEL: Wachstum mit klassischen Magazinen ist auch in unserer veränderten Medienwelt möglich, vielleicht nicht in allen Märkten und überall, aber genügend. Nur diesen Gedanken musst Du wieder zulassen, dann kommen auch die Chancen. Und die musst Du ergreifen.

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