Wichtige Hintergrundinformationen zum Wegfall des Vorsteuerabzugs für Seminaranbieter
Ausgangslage
Die Frage, ob Bildungsangebote von der Umsatzsteuer befreit sind, war auch bisher in § 4 Nr. 21 ff. Umsatzsteuergesetz (UStG) durch ein so genanntes Bescheinigungsverfahren geregelt, das im Ergebnis auf eine Optionsregelung hinauslief. Die Bescheinigung wurde von der zuständigen Landesbehörde - nicht vom Finanzamt - ausgestellt. Im Einzelfall konnte aber auch die Finanzverwaltung solche Anträge stellen. Nicht zuletzt diese Zuständigkeitsdopplung und der damit verbundene bürokratische Aufwand werden neben der angeblichen Notwendigkeit die Mehrwertsteuersystemrichtlinie aus dem Jahr 2006 umzusetzen angeführt, um die jetzt vorgeschlagene Lösung der generellen Umsatzsteuerbefreiung zu propagieren. Hinzu tritt das populäre Argument, umsatzsteuerbefreite Bildungsangebote seien günstig für den Bürger, was von der Politik deutlich in den Vordergrund gestellt wird.
Erste Komplikationen haben sich allerdings schon bei Musik-, Ballet- und Tanzschulen ergeben, da sie auch der Freizeitgestaltung dienen können und deshalb anders als bisher nicht umsatzsteuerfrei anbieten sollen.
Nach dem geplanten Gesetzeswortlaut sollen umsatzsteuerfrei sein:
„Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung (Bildungsleistungen) und damit eng verbundene Lieferungen und sonstige Leistungen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, Ersatzschulen, die gemäß Artikel 7 Absatz 4 des Grundgesetzes staatlich genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt sind, und andere Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung sowie Bildungsleistungen von Privatlehrern. Eine vergleichbare Zielsetzung ist gegeben, wenn die Leistungen der Einrichtung geeignet sind, dem Teilnehmer spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Nicht befreit sind Leistungen, die der reinen Freizeitgestaltung dienen. Erbringt eine andere Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung Leistungen im Sinne des Satzes 1, die auch der Freizeitgestaltung dienen können, sind diese nur dann befreit, wenn die Einrichtung keine systematische Gewinnerzielung anstrebt und etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, nicht entnommen, sondern zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden.“
Dabei ist der Begriff Bildungsleistung weit auszulegen wie sich aus der Begründung zum Regierungsentwurf Seite 119 ff. ergibt.
http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/
DE/Publikationen/Aktuelle_Gesetze/Gesetzentwuerfe_Arbeitsfassungen/2012-05-23-jahressteuergesetz-2013-anl.pdf?__blob=publicationFile&v=4
Somit ist nach derzeitiger Erkenntnis jedes Seminar und jeder Kongress eines Verlages oder Verbandes erfasst.
Rechtliche Würdigung
Unterstützt durch mehr als 20 Fachverlage und Seminaranbieter hat der VDZ bei Professor Kaminski von der Helmut Schmidt Universität in Hamburg ein Gutachten in Auftrag gegeben, das der Frage nachgehen sollte, ob dieses Gesetz mit dem EU-Recht vereinbar ist.
Professor Kaminski kommt zu dem Ergebnis, dass die Regelung in der derzeitigen Fassung gegen Europarecht verstößt. Die generelle Befreiung von Weiterbildungsangeboten unabhängig von der Art des Anbieters oder dem Kreis der Abnehmer oder den vermittelten Inhalten sei nicht von der Mehrwertsteuersystemrichtlinie gedeckt. Die Richtlinie gehe von dem Fortbestand umsatzsteuerbarer Umsätze aus. Sie spricht an mehreren Stellen die „der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen“ an. Die deshalb notwendige Differenzierung unterlasse der geplante § 4 Nr. 21 UStG. In einem vergleichbaren Fall sei der Deutsche Gesetzgeber vor dem EuGH unterlegen.
Auswirkungen
Die geplante Umsatzsteuerbefreiung für Bildungsleistungen würde die Kosten auf Anbieterseite um ca. 10 bis 15 Prozent erhöhen, weil den gewerblichen Seminaranbietern hierdurch der Vorsteuerabzug auf die Eingangsleistung verwehrt wird.
Besonders gravierend würde sich die Gesetzesänderung, die am 1.1. 2013 in Kraft treten soll, auf Investitionen in Immobilien auswirken, weil hier eine Korrektur des Vorsteuerabzuges nach § 15 a UStG rückwirkend für 10 Jahre erforderlich würde.
Soweit man es im Moment beurteilen kann, werden Referenten ebenso verpflichtet, ihre Leistung umsatzsteuerfrei anzubieten, da auch natürliche Personen „Einrichtungen“ im Sinne der Vorschrift seien. Hierdurch würden sich die Einbußen der Anbieter ggfs. etwas reduzieren. Auf jeden Fall entfällt die Möglichkeit des Vorsteuerabzuges beispielsweise für die Marketingausgaben, die Versandkosten, für die Kosten der Tagungsräume und des Rahmenprogramms. Die theoretische Möglichkeit der Kostenaufteilung in der Seminarrechnung ist eher realitätsfern.
Forderung an das Parlament: Differenzierung der gesetzlichen Vorgaben
Der VDZ fordert vom Deutschen Bundestag die Korrektur des Gesetzes.
„Die Folgen für deutsche Fachverlage und andere Seminaranbieter wären verheerend“, erklärte VDZ-Justitiar Dirk Platte. Für 2013 seien bereits die meisten Seminare und Kongresse fertig kalkuliert. Tagungspreise ohne Mehrwertsteuer machten die Seminare defizitär. Noch gravierender seien die Folgen für langfristige Investitionen der Vergangenheit zum Beispiel in Schulungsgebäude. Hier müssten die Anbieter 10 Jahre rückwirkend den Vorsteuerabzug korrigieren, was sich existenziell auswirken könnte.
„Völlig negiert wurde in der bisherigen Diskussion, dass die Abschaffung des Vorsteuerabzugs erhebliche Auswirkungen für die deutsche Wirtschaft hat“, so Platte. „Denn am Ende bleibt den Anbietern keine andere Wahl als die Seminargebühren zu erhöhen oder in die Nachbarländer etwa in die Niederlande auszuweichen, die die Richtlinie ihren Zweck entsprechend differenziert umgesetzt haben.“
Allen Interessen würde gedient, wenn man die Umsatzsteuerbefreiung beispielsweise davon abhängig macht, ob ein Anbieter von Weiterbildungsangeboten sich überwiegend an nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Abnehmer richtet. Hierdurch wäre vor allem dem politischen Ziel, Bildung für den Bürger preisgünstig zu halten, Rechnung getragen. Und auf der anderen Seite bliebe es im gewerblichen Bereich bei der Neutralität die Umsatzsteuer auf allen Stufen.
Wenigstens muss das Inkrafttreten der Neuregelung verschoben werden - möglichst um ein Jahr.
Denkbar wäre auch, es einstweilen bei der bisherigen Regelung zu belassen.
Zeitplan des Gesetzgebungsverfahrens
26. September: Anhörung Finanzausschuss Bundestag
26. Oktober: 2./.3. Lesung Bundestag
8. November: Finanzausschuss Bundesrat
23. November: Beschluss Bundesrat [Anrufung des Vermittlungsausschusses in anderem Zusammenhang nicht ausgeschlossen]
1. Januar 2013: Inkrafttreten