„Wir haben Mut. Wir springen.“
MVFP impuls | Herr Heise, Ihr Großvater gründete 1949 den Verlag Heinz Heise, die heutige heise group. Welche Idee stand dahinter?
Ansgar Heise | Ursprünglich ging es um den Broterwerb in einer Zeit des Umbruchs nach der Währungsreform 1949. Der Legende nach war meine Großmutter die treibende Kraft hinter der Verlagsgründung. Sie soll meinen Großvater dazu animiert haben, Adressen zu verlegen. Das war eine kleinteilige Arbeit, aber die Nachfrage war vorhanden. Kommunikation und Austausch sind Grundbedürfnisse der Menschen, vor allem in einer freien Gesellschaft. Das zeichnete sich damals am Horizont ab, war aber noch nicht wirklich greifbar. Meine Großeltern waren starke Persönlichkeiten, die in Zeiten des Mangels kreative Lösungen finden mussten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Ihre Vorstellung von Freiheit ließ sie neue Wege gehen.
Welche Meilensteine in der Unternehmensgeschichte sind für Sie besonders wichtig und warum?
A. Heise | Die Erkrankung des Vaters Ende der 1990er-Jahre war für mich ein großer Einschnitt, musste ich doch früher als geplant im Unternehmen Verantwortung übernehmen. Ich hatte gerade mein Studium beendet und erste Erfahrungen in England gesammelt. Obwohl ich mehr oder weniger in das Unternehmen hineingestolpert bin, habe ich die Situation sehr ernst genommen und als Chance begriffen. Aus unternehmerischer Sicht waren mehrere Ereignisse von großer Bedeutung, besonders der Kauf von Geizhals, der uns finanziell sehr belastet hat. Auch der Umzug in das neue Firmengebäude war ein symbolischer Meilenstein. Es fühlte sich an, als würden wir eine alte Haut ablegen und in ein neues Haus schlüpfen, das es zu gestalten und zu erobern galt. Ein weiterer wichtiger Schritt war unser Erfolg im digitalen Bereich. Wir konnten an vielen Verlagen vorbeiziehen und uns zu einer guten Nummer 2 im deutschen Mittelstand entwickeln. Dies führte zu einer Marktkonsolidierung, in deren Verlauf wir viele Verzeichnisverlage übernommen haben. Wir sind also sowohl organisch als auch anorganisch gewachsen.
Die heise group ist ein Familienunternehmen in der dritten Generation. Mit dem Einstieg von Johanna Heise als Head of Brand & Culture steht die vierte Generation in den Startlöchern. Wann haben Sie sich entschieden, in den Verlag einzusteigen? Und warum jetzt?
Johanna Heise | Ich konnte mir schon immer vorstellen, im Unternehmen zu arbeiten, auch weil ich damit aufgewachsen bin. Bei Weihnachts- und Betriebsfeiern bin ich durch die Firma gelaufen, habe in der Versandabteilung mit den Paketen gespielt und einige »Schätze« mit nach Hause gebracht (lacht).
A. Heise | Da wiederholt sich die Geschichte. Wir haben früher Schlüsselbunde kopiert und viel Quatsch gemacht.J. Heise | Dass ich so früh bei heise einsteige, war nicht geplant. Während meines Masterstudiums habe ich als Werkstudentin angefangen. Weil ich in London lebte, einer für Studenten sehr teuren Stadt, ging es mir anfangs vor allem darum, Geld zu verdienen. Die Arbeit im Unternehmen war also eine Win-win-Situation. Dann kam das Thema Employer Branding auf, weil wir merkten, dass es immer schwieriger wurde, hoch qualifizierte Arbeitskräfte zu finden, und ich übernahm das Projekt. Im Laufe der Zeit wurde klar, dass wir zunächst unsere Werte und Mission definieren müssen, die uns als Unternehmen ausmachen, bevor wir damit an die Bewerberinnen und Bewerber herantreten. So entstand das Branding. Ich dachte, das Ganze würde etwa vier Monate dauern, aber ich arbeite weiterhin an der Markenbildung.
Welche neuen Perspektiven und Ideen bringen Sie als nächste Generation in das Unternehmen ein?
J. Heise | Es gibt zwei zentrale Aspekte, die ich einbringe: zum einen das Thema Start-ups. Während wir in der Vergangenheit bei Akquisitionen Mehrheitsbeteiligungen angestrebt haben, geht es bei Start-ups eher darum, kleine Unternehmensanteile zu erwerben oder in Venture-Capital-Fonds zu investieren. Ich habe heise venture gegründet und wir haben bereits in Venture-Capital-Fonds investiert. Auf der anderen Seite engagieren wir uns stark für Women-in-Tech-Aktivitäten und Frauenförderung. Wir wollen Frauen dazu inspirieren, eine Karriere in der Tech-Branche anzustreben, sowohl intern als auch extern. Zu diesem Zweck haben wir ein internes Frauennetzwerk aufgebaut und arbeiten derzeit daran, es durch ein Diversity-Programm auf die nächste Stufe zu heben.
Der digitale Umbruch nimmt in der KI-Ära noch stärker Fahrt auf als bisher. Welche Rolle spielt es in diesen bewegten Zeiten, dass heise ein Familienunternehmen ist?
J. Heise | Wir haben intern Werte für uns definiert, u. a. Zuverlässigkeit und Unabhängigkeit. Beide Werte sind in Zeiten von KI vor allem im journalistischen Bereich wichtig. Als Familienunternehmen sind wir nicht vom Aktienkurs getrieben und können langfristige Strategien entwickeln. Gleichzeitig sind wir agil und konnten schnell verschiedene KI-Methoden integrieren, die uns effizienter machen und neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Unsere flachen Hierarchien und kurzen Entscheidungswege sind dabei ein großer Vorteil.
A. Heise | KI ist für uns Herausforderung und Chance zugleich. Wir konzentrieren uns stark auf die Chancen, denn mit den Risiken müssen wir uns ohnehin auseinandersetzen. Wir haben uns intensiv damit beschäftigt, wie wir KI als Werkzeug nutzen und neue Geschäftsfelder erschließen können. Ein Beispiel ist unsere Beteiligung an Deep Content, die mit DC I/O eine SaaS-Lösung entwickelt hat, die u. a. Social-Media-Plattformen automatisiert und personalisiert bespielt. Außerdem haben wir Mut. Wir springen. Die Bereitschaft, sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen, ist ein zentrales Element unserer Unternehmensstrategie.
Was ist die langfristige Vision der heise group und wie stellen Sie sicher, dass sich das Unternehmen in diese Richtung entwickelt?
A. Heise | Wir wollen weiter wachsen und unsere Marktposition stärken. Größe ist in der Medienwelt entscheidend, und aktuell sind wir noch zu klein. Wir legen Wert darauf, dass unser Unternehmen nach Umsatz und Marktbedürfnissen und nicht nach Kosten geführt wird. Unser Ziel ist nachhaltiger Erfolg durch effiziente Prozesse und Investitionen. Die finanzielle Unabhängigkeit von externen Gläubigern gibt uns die Freiheit, uns weiterzuentwickeln und neue Chancen zu nutzen. Dabei steht immer im Vordergrund, was wir am Markt anbieten können. Das muss uns für Nutzer, Werbetreibende und Kunden so interessant machen, dass sie bereit sind, dafür Geld zu bezahlen. Alles andere ergibt sich daraus.
J. Heise | Unsere Vision, die sich im Claim »Eine Antwort weiter« widerspiegelt, zielt darauf ab, Antworten für alle zugänglich zu machen und dies langfristig auch im Umsatz abzubilden. Wir wollen durch unsere Werte und unser Engagement sicherstellen, dass wir allen Stakeholdern wertvolle Antworten und Bildungsressourcen bieten können.
Seit Neuestem sind Sie Hauptsponsor des Fußballklubs Hannover 96. Was versprechen Sie sich von diesem Engagement? Gibt es bereits erste Effekte?
J. Heise | Mit dem Sponsoring wollen wir unsere Sichtbarkeit erhöhen und heise stärker in der Öffentlichkeit etablieren. Wir sind noch immer ein Hidden Champion und möchten auch außerhalb unserer Fachkreise bekannter werden bzw. neue Zielgruppen erreichen. Damit wollen wir auch neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen und unser Netzwerk in der Region und darüber hinaus weiter ausbauen. Es ist unglaublich, wie gut die Plattform Fußball angenommen wird. Die ersten Reaktionen waren sehr positiv. Am Tag der Bekanntgabe waren unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr euphorisch. In Zahlen ausgedrückt: Wir haben eine 300-prozentige Steigerung der Google-Analytics-Daten und bis zu 50.000 Impressionen auf LinkedIn. Auch die Klicks auf unsere Banner auf der Fanseite von Hannover 96 während des Fan-Festivals waren bemerkenswert. Wir sind gespannt auf die weitere Entwicklung im Laufe der Saison.
A. Heise | Wir werden oft gefragt, wie das Sponsoring eines Sportvereins mit einem Medienunternehmen zusammenpasst. Das ist typisch heise. Wir probieren einfach immer wieder etwas Neues aus. Viele sagen, das ist toll, was wir machen, und freuen sich, dass wir Flagge zeigen für unsere Stadt Hannover. Wir kommen von hier, hier ist unser Hauptsitz. Das hat einen hohen Stellenwert. Die positive Resonanz aus der Region und die breite Zustimmung bestätigen uns auf unserem Weg. Außerdem ist es spannend, dass wir als lokaler Sponsor auch neue regionale Partnerschaften eingehen können.
Frau Heise, welche Ziele haben Sie als Head of Brand & Culture und was möchten Sie in den nächsten Jahren erreichen?
J. Heise | Mein großes Ziel ist es, heise zu einer ikonischen, unverwechselbaren Marke zu entwickeln, die so stark ist, dass eine einzelne Facette ausreicht, um das gesamte Unternehmen zu verstehen. Gerade in der Medien- und IT-Branche, in der heise als verlässlicher und unabhängiger Partner bekannt ist, wird die Markenidentität immer wichtiger. Diesen guten Ruf möchte ich weiter stärken.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit der verschiedenen Generationen im Unternehmen und welche Herausforderungen und Vorteile sehen Sie beide?
A. Heise | Mit der eigenen Tochter zusammenzuarbeiten, ist eine sehr bereichernde Erfahrung. Zu sehen, wie sich das Unternehmen dadurch weiterentwickelt, wie Ideen aufgegriffen werden. Der Sinn, warum man das eigentlich macht, bekommt noch einmal eine ganz andere Qualität. Jede Generation hatte bei uns die Möglichkeit, eigene Akzente zu setzen. Ich möchte, dass das so bleibt. Deswegen finde ich die Zusammenarbeit wunderbar. Vor allem sieht man sich viel öfter. Und ich kann mich mit einer engen Vertrauten über sämtliche Dinge austauschen und sie aus anderen Perspektiven beurteilen lassen.
J. Heise | Die Zusammenarbeit mit meinem Vater ermöglicht es mir, viele neue Themen zu besetzen und Stärken auszuspielen, die vorher vielleicht nicht im Fokus gestanden hätten, wie z. B. Women in Tech.
A. Heise | Darauf wäre ich alleine nicht gekommen (lacht).
J. Heise | Es ist großartig, in einem Umfeld zu arbeiten, das mir die Freiheit gibt, neue Ideen einzubringen und umzusetzen. Die größte Herausforderung ist es, die anderen Mitarbeiter von meinen Ideen zu überzeugen, aber das gelingt mir bisher gut, denn bei heise gibt es viele motivierte Menschen.
A. Heise | Da wir unterschiedliche Aufgabenbereiche haben, ist das Konfliktpotenzial weitestgehend ausgeschlossen. Natürlich sind wir auch mal unterschiedlicher Meinung und setzen uns kritisch auseinander. Aber das gehört in jeder Familie dazu. Nur Harmonie wäre furchtbar langweilig. Ein bisschen Salz in der Suppe muss sein, damit sie schmeckt.
Sie engagieren sich als Verlag mit Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ehrenamtlich im MVFP, in der Landesvertretung Nord sowie in der Deutschen Fachpresse. Warum ist Ihnen das wichtig?
J. Heise | Es ist der Austausch. Als transparentes Unternehmen wollen wir andere Perspektiven kennenlernen und neue Ideen von außen aufnehmen. Diese Offenheit und der Austausch mit anderen Unternehmen sind wertvoll für unsere eigene Arbeit und für die Weiterentwicklung der heise group.
A. Heise | Hinter der freien Presse steht die Pressefreiheit. Unser Engagement im MVFP und in der Deutschen Fachpresse ist uns besonders wichtig, um die Pressefreiheit zu unterstützen und zu bewahren. Nur in einer Gemeinschaft, die die Pressefreiheit respektiert, können wir unsere Arbeit tun. Deshalb ist uns der MVFP wichtig. Er setzt sich dafür ein und für die Frage, wie es mit den großen Tech-Playern, wie es mit der Regulierung weitergeht. Das klingt im ersten Moment wie ein Widerspruch, aber wenn wir monopolistische Tendenzen haben, gerade im Bereich der großen Ökosysteme, dann ist es wichtig, dass der Verband auch über die politischen Schienen darauf aufmerksam macht – für eine freie Presse und freie Kommunikation. Das ist uns sehr wichtig.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
J. Heise | Ich kenne deine Antwort (lacht).
A. Heise | Und ich deine: eine Antwort weiter zu sein (lacht auch).
Sie können die Frage auch für den jeweils anderen beantworten.
A. Heise | Das ist gut! Für Johanna ist es wichtig, sich weiter in das Unternehmen einzuarbeiten und den bestehenden Rückhalt weiter zu festigen. Sie hat bereits Unterstützung, aber das Wachstum und die Verankerung in den Strukturen sind entscheidend für sie.
J. Heise | Mein Vater wünscht sich eine Milliarde Euro Umsatz (beide lachen).
A. Heise | Das ist kein Scherz. Ich sage meinen Mitarbeitern immer: »Leute, wir müssen was tun, wir wollen doch die Milliarde erreichen.« Das ist hier ein geflügelter Spruch, den ich immer wieder bringe.
J. Heise | Danach ist aber auch noch nicht Schluss.
Ansgar Heise ist seit 1999 Geschäftsführer der heise group. Johanna Heise ist seit 2023 Gesellschafterin und Head of Brand & Culture im Familienunternehmen.