Zwischen Werbeblockern, Internetriesen und Feinden der Pressefreiheit
Die Zeitschriftenverleger haben das Thema Pressefreiheit stark in den Mittelpunkt gerückt. Die Wirtschaftsvertreter müssten sich beim Thema dagegen stärker engagieren, sagt der Chef des Branchenverbandes VDZ, Stephan Scherzer, im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Über Adblock-Anbieter hat er eine entschiedene Meinung.
dpa: Herr Scherzer, 2015 war für die Pressefreiheit ein miserables Jahr - Attentate in Paris, Verhaftungen in der Türkei, Repressionen in Saudi-Arabien, Gewalt auf Pegida-Demos. Die Verleger haben sich zuletzt mit Kampagnen massiv für die Pressefreiheit eingesetzt. Erhalten Sie genügend Unterstützung in Politik und Wirtschaft?
Stephan Scherzer: Die Resonanz auf unsere Kampagne zur Pressefreiheit ist motivierend – die Anzeigen gehören zu den am meisten geschalteten Motiven 2015. Pressefreiheit hat weiterhin Bestand, wenn viele Schultern sie tragen und das nicht wenigen Mutigen überlassen wird. Deshalb muss sich auch die Wirtschaft noch stärker für eine freie, unabhängige Presse weltweit engagieren. Wo Pressefreiheit unterdrückt wird, mangelt es auch an persönlicher und wirtschaftlicher Freiheit, gibt es keine Rechtssicherheit, unternehmerischen Wettbewerb und Vielfalt. Es regieren Korruption und Intransparenz statt Chancengleichheit und Fairness.
Chancengleichheit war auch für Sie oft ein Thema. Fürchten Sie Google, Apple, Facebook & Co als journalistische Konkurrenz?
Die börsennotierten Megaplayer wissen um den Wert von Content - sie lassen sich die Rosinen – möglichst frei Haus - liefern und gehen nicht das unternehmerische Risiko ein, in Content zu investieren. Distributed Media ist das zentrale Stichwort. Soziale Netzwerke sind Inhalte-Portale, die global orchestriert werden, um Aufmerksamkeit und Werbebudgets zu binden. Inhalte sind dabei Mittel zum Zweck. Über 20 000 Journalisten arbeiten bei deutschen Verlagen - die größte Ressource für professionelle und unabhängig gewonnene Inhalte. Der offensiven Nutzung der Inhalte durch neue technische Plattformen muss nun auch eine stärkere und systematischer angelegte Monetarisierung derjenigen folgen, die die Inhalte entwickeln.
Auch analog gibt es Umbrüche. Immer mehr Menschen kaufen ihre Zeitschriften im Supermarkt. Was bedeutet das für die Branche?
Zeitschriften müssen dort liegen, wo Menschen hingehen. Fast die Hälfte des Einzelverkaufs entfällt auf Discounter und Supermärkte. Für den Vertrieb sind sie damit natürlich ein zentraler Partner - für den Lebensmitteleinzelhandel ist Presse ein profitables Geschäft bei einer ausgesprochen guten Flächenproduktivität. Als Branche beschäftigen wir uns mit den Präsentationsformen im Lebensmittel-Einzelhandel. Die Zeitschriftenregale müssen so kundenfreundlich wie möglich sein. In diesem Zusammenhang haben wir gerade die Kampagne "Presse verkauft" gestartet.
Und die Auswahl wird immer größer. 2015 kamen sehr viele neue Titel, meist in Nischen, auf den Markt. Wird das so weitergehen?
Ja, Verlage sind innovativ. Über 40 Prozent des Umsatzes machen Titel, die jünger als zehn Jahre sind. Dabei gibt es Formate, die gleich als anspruchsvolles, hochauflagiges Print-Produkt starten, andere die zunächst als digitales Angebot dann im Sinne eines "Reverse Publishing" einen Magazin-Ableger bekommen. Ein Trend sind "Specials" und "Sonderausgaben". Etwa beim Sport - WM, EM -, in der Motorpresse - zu Fahrzeugjubiläen - oder anlässlich des Gedenkens an bedeutende Persönlichkeiten, etwa bei Helmut Schmidt. 2015 sind rund 150 neue Titel nur im Segment der Publikumszeitschriften erschienen; auf nun über 1600 – 50 Prozent mehr als vor rund zehn Jahren.
Ein Blick in die Zukunft: Wie lange wird es noch Zeitschriften aus Papier geben?
Wie lange werden wir noch Luft zum Atmen brauchen? Zeitschriften sind im Mediamix der Menschen ein zentraler Bestandteil – über 90 Prozent der Deutschen lesen Magazine. Lean Back, Konzentration auf das Wesentliche und Entschleunigung liefern Zeitschriften in bester Weise. Sie bieten Orientierung und Kontext in unserer komplexen Welt, sie behandeln Themen, die Aufmerksamkeit und Ruhe erfordern.
Welche Bedeutung bekommen digitale Angebote als Ergänzung zur klassischen Zeitschrift aus Sicht des VDZ in naher Zukunft?
360-Grad-Angebote, also Print, Web, Mobile, Social, sind längst Standard. Digital erreichen die Marken neue Zielgruppen und bauen zusätzliche Communities auf. Zusammen mit den digitalen Plattformen erreichen die Inhalte der Zeitschriftenmarken zusammen mehr Menschen als jemals zuvor - 97 Prozent der Bevölkerung konsumieren die redaktionellen Inhalte der Publikumspresse kanalübergreifend. Die Reichweiten sind hervorragend, die Inhalte werden gerne gelesen und weitergegeben. Deshalb ist die größte Herausforderung in den kommenden Jahren die Monetarisierung der kombinierten Reichweiten.
Wie schätzen Sie die Auseinandersetzung um Adblocker ein?
Adblock-Anbieter sind erpresserische Geschäftemacher, die unter dem Deckmäntelchen des Verbraucherschutzes auf dem Rücken der Inhalteanbieter Profit machen. Sie liegen damit im Trend. Seit Jahren werden die Urheberrechte geschwächt, Content soll frei und umsonst und in bester Qualität verfügbar sein. Das Geschäft der Adblock-Anbieter beeinträchtigen die Möglichkeiten der Finanzierung privater digitaler Presse. Sie nehmen durch Ausfiltern der Werbung den Publikationen jede Chance, die journalistischen Inhalte durch Werbung zu finanzieren. Neben juristischen Schritten, wird vor allem Zeit und Geld in die Information der Nutzer, technische Lösungen und in neue Werbeformate investiert.
Das Gespräch führten Christof Bock und Andreas Heimann, dpa