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"Es gibt kein Gattungsschicksal"

VDZ-Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer im Interview mit Roland Karle für absatzwirtschaft, dem Monatsmagazin für Marketing

Stephan Scherzer: "Es gibt kein Gattungsschicksal"

VDZ-Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer wehrt sich gegen Pauschalkritik an Print und fordert bessere Beratung durch Mediaagenturen.

Roland Karle, Autor: Sie haben Mediaagenturen "Print-Blindheit" vorgeworfen. Wollen Sie ihnen den "Schwarzen Peter" anhängen?

Stephan Scherzer: Überhaupt nicht. Es geht darum, dass Werbungtreibende
optimal beraten werden. Printbudgets undifferenziert zu kürzen und mit angeblich sinkenden Leistungsdaten zu begründen halte ich im Sinne der
Kunden für nicht zielführend. Die These vom rasanten Bedeutungsverlust der
Printmedien ist nicht haltbar - es gibt kein Gattungsschicksal.

Zur Erinnerung: Auflage und Reichweite der Printmedien sinken, für die junge Generation spielen sie eine Nebenrolle, die Werbewirkung ist schwer zu belegen. Dass Werbegelder wegströmen, ist doch eine logische Folge. Finden Sie nicht, dass Ihre Kritik an Mediaagenturen wie billiger Lobbyismus klingt?

SCHERZER: Moment! Es gibt viele überzeugende Gründe, warum es sich für Unternehmen lohnt, auf Zeitschriften als Partner für Markenbildung zu setzen. Die Zeit von Titeln mit hoher siebenstelliger Auflage ist vorbei, das bestreitet niemand. Aber das hat nichts mit fehlender Akzeptanz oder Qualität zu tun - im Gegenteil. Seit Jahren wächst die Zahl der Titel, die ihre Zielgruppen erfolgreich ansprechen, und die Gesamtauflage ist stabil. Gründungen sind zunehmend auf bestimmte Interessen und Themen zugeschnitten. So können Werbekunden mit Printmedien sehr spitze Zielgruppen erreichen und durch die Verlängerung der Kampagnen im Web und Mobile mehr Menschen ansprechen als je zuvor. Ein weiterer Aspekt ist die Rezeptionsleistung.

Und da sehen Sie Print im Vorteil?

SCHERZER: Wenn es um das Lesen von Texten, die Merkfähigkeit des Gelesenen oder auch Motive wie Spaß und Entspannung geht, liegt Print nachweislich klar vor Digital oder Fernsehen. Online ist zwar ein schnelles, aber auch sehr flüchtiges Medium. Noch offensichtlicher wird der große Stellenwert von Print bei Aspekten wie Vertrauenswürdigkeit, Themenkompetenz und journalistischer Qualität - hier steht Print mit deutlichem Abstand vor den anderen Mediengattungen. Diese Wertschätzung
hat auch große Strahlkraft auf die jeweiligen Werbebotschaften.

Digitale Werbung bringt sekundenschnell Angebot und Nachfrage zusammen,
misst Kontakte und Transaktionen
unmittelbar, reduziert Streuverluste. Da
kann Print nicht mithalten.

SCHERZER: In meinen vier Jahren bei IDG im Silicon Valley habe ich die Vor- und Nachteile der digitalen Medien erlebt - deshalb habe ich auch einen differenzierten Blick. Die moderne Medienlandschaft funktioniert eben nicht in Schwarz-Weiß-Schemata. Es geht am Markt und den Kunden vorbei, einem Kanal grundsätzlich grünes Licht zu geben und den anderen auszubremsen. Jede Mediengattung hat ihre spezifischen Stärken. Ziel muss sein, diese klug miteinander zu verknüpfen. Ergebnisse von AIM zeigen: Reichweite generieren die Unternehmen mit ihren Kampagnen branchenübergreifend vor allem mit TV. Doch die größte Kontakteffizienz bei der gestützten Werbeerinnerung weisen die Publikumszeitschriften auf. Mediaagenturen haben zum Teil erheblich in Onlinetechnologie investiert.

Entsteht da ein neuer Geschäftszweig für sie, der durch Übervorteilung von
digitalen Werbeträgern finanziert wird?

SCHERZER: Kein Unternehmen kann auf Investitionen verzichten. Natürlich
stellt sich die Frage der Refinanzierung. Die Agenturen sind durch neue Wettbewerber, deren Geschäft der daten- und technologiegesteuerte Kundendialog ist, selbst erheblich unter Druck. Dabei sollte aber das berechtigte Interesse des Kunden im Mittelpunkt stehen.

Haben sich viele Medienmanager mit den Verhältnissen abgefunden?

SCHERZER: Ganz und gar nicht. Verlage entwickeln neue Produkte, optimieren bestehende Angebote und führen den Wettstreit mit anderen Gattungen immer öfter gemeinsam, wie strategische Vermarktungs- und Gattungsbündnisse zeigen, zum Beispiel Best4Planning und das Prime-Site-Siegel.

Werden die Medien zwischen den Interessen von Werbungtreibenden und
Agenturen zerrieben?

SCHERZER: Natürlich ist es herausfordernd, dass aufseiten der Mediaagenturen oder bei den TV-Vermarktern nur noch zwei, drei Große den Markt bestimmen. Die Frage ist: Welche Rolle sollten die Mittler spielen? Werbungtreibende wie auch Medien sind gefordert, genauer hinzusehen und mehr Beratung und Leistung der Mediaagenturen einzufordern. Diese sollten bei allem verständlichen "number crunching" und Optimieren die langfristige Perspektive gemeinsam mit den Gattungen sehen. Digitale Megaplayer aus USA und bald auch China versuchen, jedes Geschäft selbst zu machen, nach dem Motto "cut out the middle men". Da tragen Agenturen auch indirekt Verantwortung für die Medienlandschaft und die Vielfalt einer freien Presse.

 

Dieser Beitrag ist in der absatzwirtschaft vom 29.11.2013 erschienen.

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