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Frank Schirrmacher: „Erfindungs- und Unternehmergeist wider Defätismus und Selbstaufgabe“

Nachrichten Medienpolitik Print & Digital

Zum 10. Todestag des Journalisten und F.A.Z.-Herausgebers Frank Schirrmacher: Sein Gastbeitrag aus dem VDZ-Jahrbuch von 2014, der kaum aktueller sein könnte: „Ein Plädoyer dafür, sich vor der Eroberung weiterer Lebensbereiche die Technologien in Europa selbst zu Eigen zu machen.“

Gastbeitrag von Frank Schirrmacher im VDZ-Jahrbuch 2014

Es gibt eine Kurzgeschichte von Franz Kafka. In meiner Lesart beschreibt sie, was passiert, wenn man heute in Europa Experten nach dem Weg zu einer europäischen Internetökonomie fragt: „Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, dass es schon viel später war, als ich geglaubt hatte; ich musste mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: ‚Von mir willst Du den Weg erfahren?‘ ‚Ja‘, sagte ich ‚da ich ihn selbst nicht finden kann.‘ ‚Gibs auf, gibs auf‘, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.“

„Gibs auf!“ – das ist es, was wir hören, seit wir vor einigen Jahren mit der Debatte begonnen haben, wie wir einen souveränen und zukunftsweisenden Weg in einer Welt finden können, die von zwei oder drei Giganten beherrscht und geprägt wird. Eine europäische Suchmaschine? Gibs auf! Auf Open Source basierende Soziale Netzwerke? Dito. Oder, noch viel bescheidener: ein Standard für Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, der wenigstens ein gemeinsames Log-In ermöglichen würde? Gib´s auf!

Nichts befremdlicher, als wenn gerade diejenigen, die ständig von Risiken, „disruption“, „out-of-the-box-thinking“ reden, sich vom Normativen des Faktischen gängeln lassen. Ausgemacht scheint in manchen dieser Kreise, dass wir in Europa außer Apps nicht viel zu gewinnen haben. Apps sind die Zulieferindustrie der Digital-Industrie. Selbst Journalisten haben sich mit der Abhängigkeit von digitalen Mega-Industrien, die teilweise in Inhalte eingreifen, wie kein Verleger es sich je leisten dürfte, nicht nur arrangiert: Mit der Miene des Modernitätsverstehers halten sie diese auch für geboten. 

Erst in der Anfangsphase der Digitalisierung
Kurzfristiger kann man über eine Epochenwende nicht reden. Wir befinden uns erst in der Anfangsphase der Digitalisierung. Das Internet der Dinge, der Siegeszug der „wearables“ und die Implementierung von Big Data werden massive Auswirkungen auf soziales und kommunikatives Verhalten haben, d.h. Wissens- und Medienmärkte ein weiteres Mal revolutionieren. Wo jede Kaffeemaschine und jede elektrische Zahnbürste potentiell eine digitale Werbeplattform wird, erweitert sich die Macht der großen Aggregatoren ins Exponentielle – die jüngsten Milliardenzukäufe etwa von Google im Bereich der Haushaltselektronik oder die Verschmelzung der Automobilindustrie mit den größten Spielern des Silicon Valley, machen traditionelle Medien technologisch zur Miniatur, obgleich sie inhaltlich immer noch den Betriebsstoff dieser neuen Ökonomie bieten. Sie haben nur nichts davon, weil sie sich aus einer überholten Vorstellung von Reichweite dazu entschlossen haben, ihre Rohstoffe kostenlos anzubieten.

Die Vorstellung, Europa könnte endlich aufwachen und zumindest in einigen Bereichen eine technologische Konkurrenz anbieten, stößt mittlerweile auf weniger Spott als noch vor wenigen Jahren – Edward Snowden und die AGBs der Giganten haben hier Aufklärungsarbeit geleistet. Und dennoch gibt es diesen merkwürdigen Defätismus des „zu spät“. Zugegeben, er wird auch geschürt von denjenigen, die etwas zu verlieren haben. Und zugegeben: Er ist auch erkennbar absurd. Wenn irgendetwas wahr ist an den Hypes um die staunenswerten Zukunftsleistungen des Digitalen, dann doch wohl, dass morgen groß sein kann, wer heute in einer Garage bastelt.

Suchmaschinen auf dem Weg zu Verteilungsmaschinen für das ganze Leben
Wer über eine Idee einer europäischen Suchmaschine lächelt, akzeptiert dass die Evaluation, Hierarchisierung und auch die Preisfindung buchstäblich sämtlicher Formen sozialen Lebens in der Hand einer einzigen Aktiengesellschaft liegen. Relevanter noch für die Medien: Da Suchmaschinen Verteilungsmaschinen sind, akzeptiert er, dass ihm praktisch alles außer der Produktion der Informationsware selbst aus der Hand genommen wird. Das mag im Jahre 2014 noch für manche ein notwendiger Kollateralschaden sein; sei’s drum, Hauptsache, wir werden algorithmisch verbreitet, geklickt und gelesen.

Wie aber sieht das angesichts der vollständigen Verschmelzung fast aller Lebensbereiche in zehn Jahren aus? Was geschieht, wenn, wie jetzt schon zu beobachten, Websites, die auf den sozialen Netzwerken der Aggregatoren gehostet werden und die im Augenblick so etwas wie bessere PR sind, von den Suchalgorithmen bevorzugt gefunden werden? Verdämmern dann schließlich auch die Sites der Verlage angesichts der normativen Ökologie der Internet-Giganten?

Es geht nicht um den Ausstieg, es geht um den Versuch der Teilhabe an digitalen Strukturen
Zu erkennen ist deshalb, dass wir keine technologische Debatte führen, sondern eine über die Autonomie und Unabhängigkeit von Medien im 21. Jahrhundert. Will man sie, müssen Antworten gefunden werden. Es kann durchaus sein, dass, was heute noch „Suchmaschine“ heißt, in diesem evolutionären Prozess etwas anderes wird, womöglich ein hochspezifisches Instrument für Medieninhalte oder Spezialinteressen. Das immerhin wäre ein Anfang.

Aber der Defätismus des „zu spät“, das Gift einer schleichenden Entmutigung, muss bekämpft und therapiert werden. Noch führt man in Deutschland die muffige Debatte, ob die einen für und die anderen gegen Digitalisierung sind; und man führt sie mit allen Vokabeln der PR-Welt des zwanzigsten Jahrhunderts. Aber kein Mensch vertritt in Wahrheit die Forderung nach einem Ausstieg aus den digitalen Technologien. Es geht vielmehr um die Frage, ob wir uns diese Technologien in Europa selbst auf neue Weise zu eigen machen müssen.

Angesichts der verlegerischen Kleinstaaterei nicht nur in Europa, sondern auch in Deutschland stehen die Chancen im Augenblick nicht besonders gut. Doch der Schmerz wird aufklärerisch wirken. Ein erster Schritt wäre, es zu versuchen: ein erster Schritt wäre es, die zum Teil hochbegabten und extrem gut ausgebildeten Start-Up-Intelligenzen für ein solches Projekt zu gewinnen. Viele von ihnen leiden unter den Monopolstrukturen des digitalen Lebens genauso wie die Verlage. Viele habe begriffen, dass auch das Silicon Valley das Produkt einer fast siebzig Jahre alten staatlichen und privatwirtschaftlichen Symbiose ist, was keinPlädoyer für Subventionen, wohl aber eines für das Engagement der Politik bedeutet.

Europa hat seine Rolle noch nicht einmal zu spielen begonnen. Seine Geschichte, seine Geschichte von Irrtümern und Katstrophen, aber auch seine Geschichte von Erfindung und Unternehmergeist prädestiniert diesen Kontinent geradezu dazu, ein eigenes Angebot zu schaffen. Was heute „Medien“ heißt, war ein geniales Instrument der Aufklärung. Warum sollte es gerade jetzt den Geist aufgeben? 

Erschienen im VDZ-Jahrbuch 2014.

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