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Umbruch und Aufbruch: In Berlin diskutiert die Zeitschriftenbranche über Chancen und Risiken der digitalen Revolution

Auf dem Publishers’ Summit, zu dem sich am 8. und 9. November 2012 führende Verleger, Politiker, Wissenschaftler und Wirtschaftsexperten versammelt haben, blickt die Zeitschriftenbranche optimistisch nach vorn – trotz oder gerade wegen des fundamentalen Wandels, der sie erfasst hat: Print wirkt, sind sich die Verleger einig.

Die Menschen in Deutschland lieben Zeitschriften, erläutert VDZ-Präsident Prof. Dr. Hubert Burda den über 800 Kongressgästen. »Wir haben allen Grund, positiv in die Zukunft zu sehen.« Doch längst lautet die Devise auch: Print allein reicht uns nicht mehr. Wie wir in Zukunft Zeitschriften lesen? Axel-Springer-Chef Dr. Mathias Döpfner hat bereits eine Idee: Er hebt ein weißes Blatt hoch, faltet es, biegt es. »Vielleicht sieht in einigen Jahren ein Lesegerät wie ein Stück Papier aus«, sagt er. »Oder ganz anders.« Letztlich sei das egal. Die Ausgabekanäle würden vielfältiger und damit irrelevanter. Entscheidend sei, wie der Inhalt sein wird, und für den gelte auch weiterhin: »Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte – ist eine gute Geschichte«, sagt Döpfner. »Qualität wird ausschlaggebend sein.« 

Offenes Terrain für neue Formate

  »Wir sind auf allen Plattformen zu Hause. Das ist unsere Branche«, sagt Stephan Scherzer, VDZ-Geschäftsführer. Und darin liege aktuell eine große Chance für die Medienhäuser. Denn die crossmediale Vernetzung mit den digitalen Kanälen steigert die Reichweite der Zeitschriftenmarken. Nie zuvor war ihre Relevanz so groß.

Das digitale Geschäft ist inzwischen ein wichtiger Markt und Umsatztreiber für die deutschen Verlagshäuser. Damit durchlaufen die Medienhäuser eine fundamentale Neuausrichtung. »Die Zeitschriften befinden sich in einem Start-up-Modus«, so nennt es Scherzer. Was das bedeutet? Offenes Terrain für Kreativität, neue Formate und innovative Geschäftsmodelle.

Aber auch: Beschleunigung, Diversifizierung und Komplexität, das wird während der jährlichen Zusammenkunft der Medienmacher klar. In über 20 Vorträgen und acht Sessions werden die Branchentrends erörtert. Dazu präsentiert der VDZ Studien in den Bereichen Internationalisierung, Paid-Content-Angebote, modernes Employer Branding und veränderte Media Spendings. In Summe ergeben sie ein Mosaik, das zeigt, vor welchen Herausforderungen die Medienbranche steht, aber auch, welche Möglichkeiten sich ihr bieten. 

Ein Tsunami digitaler Entwicklungen 

Fragt man Nicholas Coleridge, Vorstandsvorsitzender von Condé Nast International, nach seiner Einschätzung, so scheint er in der digitalen Revolution zunächst einen enormen Markt an Möglichkeiten zu erkennen: »Ich bin beschämend optimistisch«, sagt der Verlagschef. Sein Medienhaus habe bereits 160 mobile Apps entwickelt und in den vergangenen elf Jahren 65 neue Magazine gelauncht, berichtet Coleridge.

Doch er macht auch die Herausforderungen deutlich: »In den letzten Jahren haben wir einen Tsunami digitaler Entwicklungen erlebt«, sagt Coleridge. Scheinbar unaufhaltsam spülen die großen Elektronikkonzerne neue Smartphones, Tablet-Computer und E-Book-Reader auf den Markt. Und mit dramatischer Geschwindigkeit verschieben sie den Medienkonsum hin zu mobilen Endgeräten. Das Angebot muss daher entsprechend angepasst, die Inhalte für kleine Bildschirme ganz neu aufbereitet werden. Die Einszu- eins-Übertragung aus der Online-Print-Welt wird nicht reichen. Und dabei ist eine Frage noch völlig ungeklärt: Wie werden sich die neuen Formate rechnen? Für Informationen im Internet zu zahlen, ist für die meisten Internetnutzer nämlich bisher eher ein fremder Gedanke.

Sollte es dabei bleiben, könnte das schwerwiegende Folgen haben. Denn der Erfolg oder Misserfolg von Paid Content entscheidet mit über die langfristige Zukunft des Journalismus, ist der Unternehmensberater Andreas von Buchwald von OC&C überzeugt. Tendenziell ist die Bereitschaft bei Tablet-Computern größer. Allerdings werden Apps bisher überwiegend von Apple-Nutzern bezahlt, kaum jedoch in der Android-Welt. Und die wird nach aktuellen Prognosen künftig die wichtigere Plattform sein. 

Mehr E-Books als gedruckte Bücher 

Renate Köcher, Chefin des Instituts für Demoskopie Allensbach, präsentiert jedoch auch Zahlen, die Hoffnung machen dürften: Die Bezahlbereitschaft für journalistische Angebote im Internet ist gegenüber dem Vorjahr um ein Drittel gestiegen. Ähnlich schätzt auch Economist-CEO Andrew Rashbass die Entwicklung ein. Er setzt darauf, dass jene Menschen, die heute bereits für den Download von Musik und Büchern Geld ausgeben, künftig auch digitale Zeitschriften kaufen werden. »Schon jetzt verkauft Amazon mehr E-Books als gedruckte Bücher«, berichtet er.

Gedanken macht sich Rashbass eher über ein anderes Thema: »Noch ist nicht klar, wie sich der Werbemarkt auf den Tablets, den Lesegeräten der Zukunft, entwickelt.« Sein Ziel sei es, durch den konsequenten Ausbau der digitalen Angebote in den neuen Kanälen Werbeeinnahmen zu generieren, die im Print ausfallen. »Verlage müssen Earned-, Paid- und Owned-Kanäle bedienen, um erfolgreich zu sein«, ist Rashbass überzeugt.

Grundsätzlich kann das Anzeigengeschäft von der Digitalisierung profitieren, das zeigt die Studie »Veränderte Medienlandschaft – veränderte Media Spendings« von VDZ und McKinsey. Ihr Ergebnis: Allein mit der richtigen Werbestrategie könnten die Verlagshäuser weitere Einnahmequellen von bis zu 500 Millionen Euro pro Jahr erschließen. Denn über die unterschiedlichen Kanäle steigern die Verlage ihre Reichweite – vorausgesetzt, die sogenannten Touchpoints (Berührungspunkte) werden auf den verschiedenen Endgeräten zu einem Ganzen zusammengefügt, erläutert Adam Bird, Direktor bei McKinsey.

Darüber hinaus stecke großes Potenzial in der Auswertung von Nutzerdaten. Riesige Datenmengen sind bisher ungenutzt. Durch ihre Analyse könnte Werbung passgenau platziert werden. Nur welche Folgen hat es für den Journalismus, wenn Leser gläsern werden? 

Das Zeitalter der Katze ist angebrochen 

Schon jetzt machen Klicks und »Likes« die Leser durchsichtiger. Gleichzeitig treten aber auch sie stärker in Erscheinung: Auf Facebook und Twitter empfehlen und verlinken immer mehr Menschen Artikel, in Foren diskutieren sie Beiträge und von den Journalisten erwarten sie mittlerweile, stärker eingebunden zu werden. Das verändert die Arbeit in den Redaktionen. »Der Journalismus wird kommunikativer und diskursiver «, erklärt Roland Tichy, Chefredakteur der »WirtschaftsWoche«, in der Podiumsdiskussion mit den Chefredakteuren von SPIEGEL, »Architectural Digest« und »The European«.

Daher müsse sich auch die Grundhaltung der Journalisten ändern. Sie laute: Achte deinen Leser! Nicht: Belehre ihn. »Das Zeitalter des Hundes ist vorbei. Die Leserbindung hat nachgelassen«, sagt Tichy. »Das Zeitalter der Katze ist angebrochen. Wir müssen den Leser stärker anlocken.«  

Ein neues Wettbewerbsumfeld

Tatsächlich scheinen Chancen und Risiken in der digitalen Revolution oft nah beieinanderzuliegen. Das gilt auch für die globalisierten Märkte. Einerseits vergrößern sie die Absatzchancen der Verleger: Schon heute machen 58 Prozent der Medienhäuser im Ausland mit Print- und Digitalangeboten lukrative Geschäfte. Und die aufstrebenden Märkte in China, Russland, Indien und der Türkei versprechen auch künftig wachsende Umsätze.

Andererseits verschieben Globalisierung und Digitalisierung das Wettbewerbsumfeld, das macht VDZ-Präsident Prof. Dr. Hubert Burda auf dem Kongress deutlich. Die EU-Politik – vertreten durch EU-Kommissar Günther Oettinger – fordert Burda auf, endlich die rechtliche Schieflage gegenüber US-Herausforderern wie Google, Apple und Amazon zu beseitigen. Denn Medienberichten zufolge bedienen sich diese verschiedener Techniken, um ihre Steuerlast gering zu halten. »Wir fürchten die Konkurrenz nicht«, sagt der VDZ-Präsident, aber in der zunehmend digitalisierten Welt müssten für alle die gleichen Spielregeln gelten – insbesondere bei Steuersätzen und Datenschutzgesetzen.

Der Appell ist angekommen. In seiner Anschlussrede ruft EU-Kommissar Günther Oettinger zur Einigkeit unter den Europäern auf: Wenn die Standards und Normen in der Medienpolitik im Ausland Beachtung finden sollen, sei das nur über den Binnenmarkt in Europa möglich. Und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz betont: Der Bau einer Medienordnung des 21. Jahrhunderts mit neuen intelligenten Governance- Strukturen sei nötig. Die Politik müsse beherzt handeln.

Mutiger Einsatz ist gefragt, das gelte auch für die Verleger, betont der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit: »Wir haben die Chance, neue Entwicklungen zu gestalten, wenn Risiken eingegangen werden.« Und augenzwinkernd ergänzt er: »Was sind schon so kleine Probleme mit Entrauchungsanlagen gegenüber den Herausforderungen, die Sie zu bewältigen haben?«    

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