„Keiner kann sich auch nur eine Minute ausruhen“
Knapp ein Jahr nach der Wahl seines neuen Präsidenten steht der Zeitschriftenverleger-Verband VDZ schon wieder vor Neuwahlen: Stephan Holthoff-Pförtner trat nach nur sieben Monaten im Amt zurück, um in der künftigen Landesregierung von Nordrhein-Westfalen Minister zu werden. ein Top-Kandidat für die Wahl am 5. November ist mit Rudolf Thiemann, Verleger der Liborius-Gruppe, jetzt gefunden. Doch VDZ-Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer hat noch weitere wichtige Themen auf seiner Agenda.
W&V | Herr Scherzer, es gibt einen Top-Kandidaten für das Amt des VDZ-Präsidenten: Rudolf Thiemann. Was erhoffen sich die VDZ-Landesverbände von ihm?
Stephan Scherzer | Deren Argumente sind, dass er in der Branche und ihrem Umfeld bestens vernetzt ist, die verlagswirtschaftlichen Herausforderungen und ihre medienpolitischen Themen kennt. Er verbindet diplomatisches Geschick mit der Glaubwürdigkeit eines mittelständischen Verlegers.
Aber war das nicht wieder eine dieser Hinterzimmer-Entscheidungen, wie sie dem VDZ schon bei der letzten Wahl vorgeworfen wurden?
Im Gegenteil. Diesem Vorschlag gehen seit Juli intensive Diskussionen in den Landes- und Fachverbänden voraus. Diese acht Gremien versammeln fast 100 Verlagsvertreter. Nun haben die Vorsitzenden der den VDZ tragenden Landesverbände, in denen alle VDZ-Mitglieder organisiert sind, unter anderem über mögliche Kandidaten zur Wahl des Präsidenten beraten. Auch die Fachverbände haben diskutiert und unterstützen die Kandidatur.
Klingt also, als wäre für den 5. November alles klar.
Es ist selbstverständlich möglich, weitere Vorschläge zu unterbreiten, über diese würde ebenso abgestimmt wie über die Bewerbung des Mitherausgebers des Magazins Clap, Peter Böhling.
Wer immer es auch wird – auf den neuen Präsidenten warten viele schwierige Themen. Eines davon ist die Forderung nach einer Corporate-Media-Responsibility, mit der Gruner + Jahr-CEO Julia Jäkel eine Diskussion ausgelöst hat.
Sie hat damit eine wichtige Diskussion verstärkt: die Relevanz von redaktionellen, seriösen Umfeldern für die Werbungtreibenden. Vor allem jetzt, wo sich die Werbegelder weiter verschieben. Der VDZ kommuniziert seit 2015 mit der Editorial-Media-Kampagne diese Positionierung. Dabei wird unterschieden, was journalistische Umfelder für den Werbemarkt im Vergleich zu Social Media oder zu funktionalen Umfeldern wie Search leisten. Die Verlage gehen nach vorne, sind aktiv und kämpferisch. sie sind in einem positiven Flow. Das sieht man auch daran, dass wir medienpolitisch ein starkes Jahr hatten.
Woran machen Sie das fest?
Dank der GWB-Novelle können Verlage außerhalb der Redaktionen endlich stärker kooperieren. und die Vertragsstrafe für den Marktmachtmissbrauch von Google in Europa, fast drei Milliarden Euro, ist eine starke Ansage. Auch bei der digitalen Mehrwertsteuer sind wir auf Europaebene vorangekommen. Nur noch eins von 28 Ländern, nämlich Tschechien, ist noch nicht an Bord. Das bekommt man hin – wenn die neue Regierung positiv auf Tschechien einwirkt.
Was erwarten Sie sonst noch von der neuen Regierung?
Ich erwarte in den nächsten Jahren massive Veränderungen aller Geschäftsfelder und -modelle durch die Digitalisierung. Das heißt, dass sich die Verlage weiter schnell bewegen werden, aber auch die Politik agiler werden muss. Ein gutes Signal wäre, wenn die neue Bundesregierung ein Digitalstaatsministerium aufbauen würde, das diese zentrale Themen koordiniert und die Umsetzungsgeschwindigkeit erhöht. Es wird zwar viel über Presse- und Meinungsfreiheit geredet. Aber die Regulierung großer Technikplattformen, die mit ihrer Wettbewerbsfeindlichkeit der freien Presse schaden, dauert beispielsweise viel zu lang.
Was fordern Sie konkret?
Dass die neue Bundesregierung sich massiv dafür einsetzt, den reduzierten Mehrwertsteuersatz in Europa umzusetzen, weil die digitalen Geschäftsmodelle und deren Monetarisierung für die Verlage immer wichtiger werden. Die redaktionelle Datenverarbeitung darf nicht ausgehebelt werden – hier ist der deutsche Gesetzgeber gefragt. Google und Facebook haben mit ihren Logins unterschriebene AGBs, dass sie fast alles mit den Daten machen können. Die Verlage dürfen in ihren Geschäftsfeldern durch die E-Privacy-Verordnung nicht noch weiter benachteiligt werden. Weitere Werbeverbote müssen verhindert werden.
Wie sehen Sie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz?
Ansatz und Idee sind richtig. Man muss die globalen Konzerne dazu bringen, mehr Verantwortung zu tragen. Das Resultat ist aber hochproblematisch. Was ist denn Hate-Speech oder Satire? Bei uns verbringen Gerichte manchmal Monate damit, zu entscheiden, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit liegen. Die Entscheidung, was durch die Meinungsfreiheit abgedeckt ist und was nicht in die Hände eines monopolartigen Silicon-Valley-Unternehmens zu geben ist, halten wir für verantwortungslos. Es wird immer über Fact-Checking geredet. Bei den Verlagen machen das Journalisten. Dieser Dialog führt auch dazu, dass man sich Gedanken um die Werbeumfelder macht und die Sensibilität zunimmt.
Tun das die Unternehmen zu wenig?
Nicht nur die Werbungtreibenden, die nach Effizienz streben, auch die Mediaagenturen brauchen eine balanciertere Sicht. Ein Big-Data-Ansatz, bei dem man nachweisen kann, wie viele Faktoren in eine Kaufentscheidung einfließen, täte der Branche gut. Wenn jemand im Auto fährt, sieht er zwei City-Lights und hört eine Radiowerbung. Vorher hat er am Flughafen eine Zeitung oder ein Magazin gelesen. Am Ende bestellt er und klickt dazu auf ein Banner. Das gesamte Business wird dann dem Banner zugeschrieben. Das entspricht aber nicht dem wesentlichen Anteil, den klassische Medien an diesem Geschäft haben.
Spricht sich das auch bei den Werbekunden herum? Wie ist die Lage im Zeitschriftenmarkt?
Wir sehen zwar eine Verschiebung vom klassischen Werbegeschäft ins Digitale. Wenn Verlagshäuser 20 bis 25 Prozent Digitalerlös erzielen, dann sind das schon signifikante Größen. Best4Planning liefert für das Zeitschriftengeschäft starke Zahlen, die die Leistungsfähigkeit von Print untermauern. Zeitschriftenmarken sind auf allen Plattformen stark.
Das heißt, die Verlage kommen bei der digitalen Transformation voran?
Noch vor fünf Jahren hätten wir als VDZ keinen Tech-Summit für die Technikverantwortlichen der Verlage veranstalten können. Seit zwei Jahren gibt es ihn, mit mittlerweile 180 Teilnehmern. Die Branche ist gut vorangekommen. Aber keiner, auch nicht der Verband, kann sich auch nur eine Minute ausruhen. Google, Facebook und neue Unternehmen, die wir noch gar nicht auf dem Schirm haben, werden noch aggressiver und schneller. Darauf müssen wir uns einstellen.
Nur: wie?
Print hat noch immer eine hohe Relevanz. Uneingeschränkte Aufmerksamkeit, starke Bildsprache, Entschleunigung. Aus dieser Stärke heraus lassen sich weitere Geschäfte ableiten. Printtitel sind die haptischen, profitablen Anker, um die Marken auf allen Kanälen zu positionieren. Apple hat nicht umsonst Apple Stores, Amazon eröffnet Läden. Weil sie die Menschen binden wollen. Zeitschriften haben diesen direkten Draht in der echten Welt.
Auch dann noch, wenn im Journalismus zunehmend künstliche Intelligenz genutzt wird? Was heißt das für journalistische Marken?
Man muss seine Marke noch besser beim Kunden verankern. Wie vermittle ich dem Leser, dass Texte in Zusammenarbeit von Mensch und Maschine entstanden sind? Was bedeutet das für Vertrauen und Glaubwürdigkeit? In einigen Jahren wird man nicht mehr merken, wer einen Text geschrieben hat. Darauf müssen sich alle einstellen, Journalisten und Verlage. Die Digitalisierung bewegt uns ja auch zu immer mehr Output auf möglichst vielen Kanälen. Da wird gut organisierte Mensch-Maschine-Kollaboration eine zentrale Rolle spielen.
Finden Sie das gut oder schlecht?
Es ist unausweichlich. Ein Beispiel: Die Kombination aus Maschine und Mensch hat das Spiel Go, das die Menschen seit 4000 Jahren spielen, in eine andere Dimension katapultiert. Es werden Züge gespielt, die als unmöglich galten. Diese Kombination wird auch andere Lebensbereiche auf ein neues Niveau bringen. Man ist dann schnell bei Themen wie Maschinenethik, Wertschöpfung, Arbeitsplätze. Was heißt das für Marken, wenn die Menschen künftig einfach Siri oder Alexa nach den zehn wichtigsten Nachrichten fragen? Was heißt das für Markenartikler, wenn es kein Markenbewusstsein mehr gibt, weil Alexa einfach Empfehlungen ausspricht? Was bedeutet das für Zeitschriften? Damit muss sich aber nicht nur unsere Branche befassen, sondern die gesamte Gesellschaft.
"NYT" und "Washington Post" haben seit Trump erhebliche Abozuwächse – ist ein solcher Effekt auch in Deutschland spürbar?
Bei den politisch Interessierten steigt das Bewusstsein. Die Welt ist komplex – den Brexit kann ich nicht in einem Tweet erklären. Man braucht Einordnung, Zeitschriften, denen man vertraut. Und dafür braucht es journalistische Inhalte. Vor lauter Technikbesoffenheit wurde lange übersehen, dass der Wein mehr wert ist als die Flasche, die ihn transportiert. Wir haben viel zu lange ausschließlich über die Flaschen geredet.
Viel geredet wird über Native Advertising, das floriert. Gut oder gefährlich?
Das ist eine positive Entwicklung mit gutem Umsatzpotenzial. Man muss Leser dabei nur ernst nehmen. Es ist wichtig, die Grenze zwischen unabhängiger Redaktion und dem werblichen Teil auch weiterhin deutlich zu machen. Sonst sägt man am eigenen Ast, an der Glaubwürdigkeit und am Vertrauen.
Viele Adblocker filtern Native Advertising ja auch schon heraus…
Adblocker sind mafiöse Geschäftsmodelle. Da stellt sich ein Türsteher vor die Tür, hinter der die Party stattfindet, die ein anderer bezahlt hat, und kassiert Eintritt. Das ist absurd. Dieser Kampf wird weitergehen. In drei Jahren werden die großen Silicon-Valley- Konzerne 80 Prozent der digitalen Erlöse weltweit auf sich ziehen, wenn die werbende Wirtschaft diesen Trend mitmacht. Google kauft sich pikanterweise bei den Adblockern frei.
Gibt es denn auch Unternehmen, die es Ihrer Ansicht nach richtig machen?
Die gibt es in vielen Branchen. Wir zeichnen jedes Jahr auf der Publishers’ Night einen Unternehmer des Jahres aus. In diesem Jahr wird das übrigens Edeka-Manager Markus Mosa sein.
Mit welcher Begründung?
Uns gefällt, dass es sich um ein "Unternehmen im Unternehmen-Modell" handelt, das in einem extrem wettbewerbsintensiven Markt mit großer Kundenorientierung erfolgreich ist. Und in den Supermärkten findet mittlerweile viel statt, was mit Medien zu tun hat. Kunden, die wegen Zeitschriften in den Supermarkt gehen, kaufen auch viele andere Produkte.//
Das Interview führten Dr. Jochen Kalka und Manuela Pauker.