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„Man darf nicht in den Wahn der Überregulierung verfallen“

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VDZ-Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer im aktuellen promedia Interview über Datenschutz, Regulierung, neue Geschäftsmodelle und die Bedeutung von Kreativität

VDZ Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer

Seit dem 1. Januar 2012 ist Stephan Scherzer Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger, eines der wichtigsten deutschen Medienverbände. 400 Verlage mit 6000 Titeln, die zusammen auf über 80 Prozent des Umsatzes der deutschen Zeitschriftenbranche kommen, gehören dem VDZ an. In einem ausführlichen Interview mit promedia beschreibt der Zeitschriftenprofi die Herausforderungen für die Zeitschriftenverlage und die Tätigkeitsschwerpunkte des Verbandes.

So mahnt Scherzer notwendige politische Rahmenbedingungen wie ein Leistungsschutzrecht und einen fairen Wettbewerb zwischen neuen digitalen Plattformen und den Angeboten der Verlage an. Zugleich verweist der VDZ-Hauptgeschäftsführer auf die Notwendigkeit des Presse-Grosso auch in der digitalen Welt und die Gefahren durch die EU-Datenschutznovelle:„Sie setzt die redaktionelle Freiheit neuen Gefahren aus, bedroht den Pressevertrieb der Fachpresse sowie die Abo-Leserwerbung und könnte neue digitale Geschäftsmodelle abwürgen“, so Scherzer. 

promedia: Herr Scherzer, Sie haben sich als Chefredakteur und Verlagsmanager mit Informations - und Kommunikationstechnologie befasst. Sie waren der Zeit immer einen Schritt voraus. Was reizt Sie Printverbandes anscheinend wieder einen Schritt zurück zu gehen? 

Scherzer: Ich versuche eigentlich immer Schritte nach vorne zu machen – gelegentlich aber auch einmal locker zur Seite pendeln. Für mich ist der VDZ kein Printverband – die deutschen Verleger und diese Plattform sind viel breiter positioniert. Der Verband hat ein sehr relevantes, gesellschaftspolitisches Themenspektrum, ist extrem gut vernetzt, ein Powerhouse der Interessenvertretung für die deutschen Verlage, und nicht nur national sondern auch international gut positioniert. Der VDZ ist im Weltverband FIPP einer der stärksten nationalen Verbände mit einem hohen Renomee.

promedia: Wie weit sind die deutschen Verlage in der digitalen Welt schon angekommen?

Scherzer: Ich habe im vergangenen halben Jahr über 100 Gespräche mit Inhabern, Verlegern und Managern geführt: Es wird nirgendwo mehr diskutiert, ob digital oder nicht. Es geht um die strategische Entwicklung der digitalen Geschäftsfelder - also vor allem um das wie. Der VDZ unterstützt die Verlage dabei. So veranstalten wir seit sechs Jahren den englischsprachigen Digital Innovators`Summit in Berlin; eine der größten und erfolgreichsten Digitalkonferenzen weltweit – dieses Jahr mit 450 Teilnehmern aus 37 Nationen. Der VDZ hat sich schon intensiv mit digitalen Themen befasst, bevor die Piratenpartei den Berliner Landtag geentert hat. Digitale Kompetenz ist absolut kein Neuland und der VDZ kein Printverband - wie man es von Außen vielleicht gerne darstellt.

promedia: Man hat dennoch bei einigen Verlagen den Eindruck, dass sie die digitalen Veränderungen eher als eine Gefahr und Bedrohung denn als Chance empfinden…

Scherzer: Das ist wie in jedem Veränderungsprozess: Es gibt immer einen großen Teil, der sofort mitzieht, der die Chancen sieht. Da helfen Erfolgsbeispiele aus der Praxis, und damit kommen die Arbeitsgruppen und die zahlreichen Veranstaltungen des VDZ ins Spiel. Man hat aber auch immer ein paar Prozent, die den Wandel noch nicht wollen, denen das Tempo zu hoch ist oder deren Zielgruppen diesen nicht fordern. Das ist in jeder Branche so, auch bei den Verlagen.

promedia: Wie weit müssen sich die Verlage zu IT-Unternehmen wandeln?

Scherzer: Das Verständnis für die Mechanik der digitalen Welt gehört unbedingt dazu. Verleger publizieren Inhalte. Je nach Zielgruppe und Anlass muss man über das Medium entscheiden, ob Print, in einer App, im freien Web, auf einem kleinen oder großen Screen oder auf einer Konferenz. Um mit diesem transmedialen Publishingverständnis erfolgreich zu sein, gehört Technologiekompetenz zum Rüstzeug. Ein Beispiel, wie technologiegetriebener Reichweitenaufbau funktioniert sieht man an Facebook, die mit knapp 4000 Mitarbeitern weltweit über 900 Millionen Menschen erreichen.

promedia: Waren aber nicht beim Smartphone und iPad der Treiber für Veränderungen die Verbreitungswege, die Technik?

Scherzer: Was erweckt Plattformen zum Leben? Hatte das Papier, das Gutenberg auf die Maschine legte, an sich schon einen Wert? Hat die Suchmaschine Google an sich einen Wert oder erst durch die Inhalte, die ausgespuckt werden? Die gleiche Frage stellt sich auch bei einem Tablet? Gewinnt es nicht erst dadurch an Relevanz, dass darauf Spiele, Filme und redaktionelle Inhalte konsumiert werden?

promedia: Wie schaffen die Zeitschriftenverleger die Transformation angesichts einer Konkurrenz von  Technologieunternehmen zu Inhalteanbietern wandeln?

Scherzer: Auch die digitalen Player wissen natürlich um den Wert guter Inhalte. Zur wichtigsten Kompetenz von Verlagen und ihren Machern gehört es, das Herz, im Businessbereich auch das Hirn – manchmal auch beides – der Zielgruppen mit redaktionellen Inhalten und Services zu treffen. Gleichzeitig haben Verlage mit der werbenden Wirtschaft einen zweiten Kunden, der Möglichkeiten sucht, Produkte und Botschaften zielgerichtet zu positionieren. Hier muss auch in Zukunft der Kampf um die Aufmerksamkeit und Budgets gewonnen werden. Die Verlage werden ihre Marken weiterentwickeln und dabei verstärkt digitale Plattformen nutzen, um ihre Marken in den Alltag der Zielgruppen einzubetten. Google und Facebook wissen, wie wertvoll gute Inhalte sind. Deshalb locken sie auch permanent mit neuen Services, innovativen Plattformen oder Readern für Inhalteanbieter. Als Publisher muss man diese Mechaniken verstehen, um zu wissen, wie man bewusst mit diesen Angeboten umgeht und wo die Vor- und Nachteile liegen.

promedia: Auf diese technischen Plattformen sind die Verleger aber anscheinend angewiesen. Das schränkt doch ihre Wettbewerbsmöglichkeit erheblich ein?

Scherzer: Erst einmal ist diese Entwicklung nicht negativ. Die neuen Plattformen eröffnen den Verlagen neue Möglichkeiten, Inhalte und Services zu transportieren. Wichtig sind die Rahmenbedingungen und der Wettbewerb. Einzelne Plattformen sind tatsächlich sehr dominant. Bei Google sehen wir diese Entwicklung mit Sorge und sind beim Thema „Fair Search“ auch beim Kartellamt in Brüssel aktiv. Gerade haben wir einen wichtigen Erfolg errungen. Google muss jetzt seine Geschäftspraktiken ändern, fordert Wettbewerbskommissar Almunia. Auch Apple hat mit dem iTunes Store oder dem iPad eine sehr starke Marktposition. Hier fängt aber der Wettbewerb an zu greifen. Amazon hat sich auf dem US-Tablett-Markt bereits stark zu Wort gemeldet. Auch Samsung wird sich noch mehr engagieren und wir werden neue Unternehmen sehen, die in den Tablett-Markt einsteigen. Wichtig ist für jeden Verlag, an den eigenen Stärken zu arbeiten und die Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln – unabhängige, hochwertige Inhalte, nutzwertige Services und die Stärken der Marken. Gut positionierte Marken sind im Übrigen auch nicht so stark von den digitalen Megaplattformen abhängig.

promedia: Dennoch ist die Abhängigkeit insgesamt sehr hoch. Das ist eine neue Situation in der Geschichte der Verlage. Sie waren bei der Distribution nie abhängig von Anderen…

Scherzer: Das sehe ich anders. Die digitalen Plattformen benötigen dringend gute Inhalte. Ohne Inhalt sind sie genauso leer wie ein weißes Blatt Papier - und vergessen Sie Print nicht. Hier haben die Verlage mit dem Grosso und den über 100.000 Verkaufsstellen eine sehr konsumentenorientierte und weltweit einmalige Infrastruktur. Immerhin geben Leser jeden Monat 280 Millionen Euro für Print aus. Das ist Paid Content in bestem Sinne. Auf diese Vertriebsschiene haben weder Apple, noch Google, Facebook oder das Fernsehen Zugriff. Das ist eine starke Basis, auf der man sich weiter entwickeln kann. Wenn man die neuen Plattformen klug nutzt und weiß, wie man sie bespielt, dann bieten sie den Verlagen mehr Vor- als Nachteile in der Distribution der Inhalte.

Promedia: Was halten Sie von einem digitalen Grosso in Deutschland? Das Print-Grosso soll jetzt sogar gesetzlich geschützt werden. Dann wäre das doch der nächste Schritt?

Scherzer: Der gesetzliche Rahmen für das Grosso ist wichtig und richtig, weil es die Vielfalt der Titel im Sinne der Käufer ermöglicht und nicht nur für große Häusern sondern auch für kleine und mittelständische Verlage ein freier und neutraler Vertriebsweg ist. Es ist wichtig, sich auch über die digitalen Modelle im Sinne der Leser zu unterhalten. Amazon hat eine hochfunktionale Plattform mit großem Aufwand entwickelt und bindet Kunden auf intelligente Art. Ein digitales Grosso- bzw. Kiosksystem muss sich daran messen lassen. Es gibt erste Versuche und Plattformen – einen durchschlagenden Erfolg sehe ich aber bisher weder in Europa noch den USA.

promedia: Warum ist das ein Problem?

Scherzer: Weil Amazon und die anderen digitalen Megaplayer bald mehr Ingenieure und Entwickler haben als die deutsche Verlagsbranche Mitarbeiter. Das ist durchaus ein Knowhow und Ressourcenthema. Außerdem: Ist es Kernkompetenz der Verlage, solche Plattformen zu bauen oder gibt es Drittanbieter, die das viel besser können?

promedia: Das bestehende Presse- Grosso wurde ja von den Verlagen geschaffen, und die Frage nach der Kompetenz nicht gestellt. Müssen sich die Verlage nicht auch hier darum selbst kümmern?

Scherzer: Selbstverständlich gehört die Digitalkompetenz zur Kernkompetenz dazu, nicht nur bei den Verlagen sondern auch bei den Dienstleistern der Verlage. Auch das Grosso könnte sich Gedanken darüber machen, wie eine digitale Variante aussehen könnte. Oder große Konzerne, die in dem Bereich ein Geschäft sehen

Promedia: Sie sprachen die Probleme mit Google und das Kartellverfahren in Brüssel an. Wo sehen Sie insgesamt die wichtigsten politischen Aufgaben für den VDZ?  

Scherzer: Das ist zum Einen der Schutz des Grosso, das wir brauchen, um die Pressevielfalt zu erhalten. Ich habe in den USA und England erlebt, dass die dortigen Systeme nicht in der Lage sind, das für Verlage, egal welcher Größe, Vielfalt zu gewährleisten. Dann haben wir die EU-Datenschutznovelle. Sie setzt die redaktionelle Freiheit neuen Gefahren aus, bedroht den Pressevertrieb der Fachpresse sowie die Abo-Leserwerbung und könnte neue digitale Geschäftsmodelle abwürgen. Man sieht in diesem Kontext wieder einmal, dass klassischer wie digitaler Pressevertrieb vielfach Direktmarketing ist. Ein weiteres Thema ist das Urheberrecht. Und als aktuelles Thema das Leistungsschutzrecht. Als letzten Punkt sehe ich das Google-Kartellverfahren in Brüssel, wo wir ermutigende Signale bekommen haben. Nicht ganz zu vergessen ist auch die Diskussion rund um den Auftrag des öffentlichrechtlichen Fernsehens. Das sind entscheidende Themen für dieses Jahr.

promedia: Einerseits brauchen Sie für effektives Marketing Zugang zu Daten und einen fairen Umgang mit Daten. Andererseits vertreten die Medien die Position der Verbraucher. Entsteht da nicht ein Widerspruch?

Scherzer: Nein. In der digitalen Gesellschaft führt fast jede private und unternehmerische Kommunikation auch zu einer Datenverarbeitung. Deshalb muss das Recht nicht nur den Datenschutz berücksichtigen, sondern auch die wichtigen Interessen, die ein Recht zur Datenverarbeitung fordern. Pressefreiheit ist als Berichterstattung über Personen ebenso Datenverarbeitung wie der seit über einhundert Jahren etablierte Freiund Wechselversand der Fachpresse oder die für den Erhalt der Leserschaft unverzichtbare Leserwerbung mittels Werbebriefen. Diese unproblematischen selbstverständlichen Freiheiten auch in der digitalen Gesellschaft zu verankern, muss ein eindeutiges Anliegen jedes angemessenen Datenschutzes sein. Man darf in keinen Überregulierungswahn verfallen. Man muss den Bürger nicht vor sich selbst schützen. Ich glaube an das denkende Individuum.

promedia: Die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht für Verlage kam vor drei Jahren auf. Inzwischen entwickeln sich Geschäftsmodelle. Benötigen die Verlage das Leistungsschutzrecht noch? Trägt es nicht dazu bei, eher Gräben aufzureißen?

Scherzer: Wir tragen gerade eine grundlegenden Wertediskussion aus: sind digitale Plattformen ein Wert an sich, sind Filme, Musikstücke oder Artikel die auf einer Idee des Urhebers beruhen, nur weil sie in digitaler Form verfügbar sind und weil es Tauschbörsen gibt, nichts wert und gehören allen? Von ideeller Anerkennung kann niemand leben. Die Kreativen und Werkmittler wie Plattenlabel oder Verlage investieren viel Zeit, Arbeitskraft und Geld. In diesem Zusammenhang muss man auch das Leistungsschutzrecht sehen. Momentan werden die Verlage, die für Pressefreiheit und -vielfalt stehen, als Wertmittler zweiter Klasse behandelt. Andere Branchen verfügen längst über ein solches Recht. Deshalb erstaunt mich die Diskussion geradezu. Jeder Urheber kann sich doch entscheiden, ob er mit einem Werkmittler wie einem Verlag zusammenarbeitet oder nicht. Pressefreiheit, -vielfalt und Kreativität gibt es nicht umsonst – egal auf welchem Vertriebsweg.

promedia: Welcher unmittelbare Nutzen erwächst den Verlagen aus dem Leistungsschutzrecht für ihr Geschäftsmodell?

Scherzer: Manchmal reicht es schon, ein Recht zu haben, ohne es zu exekutieren zu müssen und insgesamt ein anderes Bewusstsein von Werten von Inhalten zu etablieren. Ich schicke auch nicht bei jedem Streit Anwälte los, sondern ich rufe den Kollegen auf der anderen Seite an. Wenn man zu einer rechtlich fundierten Basis kommt hat das eine andere Wirkung als wenn man im luftleeren Raum agiert. Müssen sich die Verleger für etwas entschuldigen, das völlig normal ist und im Übrigen auch nicht die Kreativität und Vielfalt hemmt?

promedia: In welchen Fällen könnte man das neue Recht nutzen?

Scherzer: Ich habe in den USA sehr viele Start-ups gesehen, deren Geschäftsmodell darin besteht, Inhalte von anderen zu aggregieren, neu zu kombinieren, dann Userdaten zu sammeln und Werbung laufen zu lassen, schnell Reichweite aufzubauen und dann möglichst rasch, einen finanziell attraktiven Exit hinzulegen. Mit Unternehmen, deren Produkte, ohne die Verlage und Autoren zu fragen, mit deren Inhalten missbräuchlich Gewinn ziehen, kann man dann auf einer rechtlich fundierten Basis reden.

promedia: Sie sind zusammen mit dem BDZV der Content Allianz beigetreten. Welche Erwartungen haben Sie an die Content Allianz?

Scherzer: Unser Betritt am Tag des Geistigen Eigentums ist ein wichtiges Zeichen. Wir wollen Signale für die Kreativindustrie setzen, dass die Partner dieser Allianz, gemeinsam Position beziehen. Da sind wir bei einigen Themen sehr dicht zusammen. Das werden wir auch nutzen. Bei anderen Themen wird die Content Allianz für uns keine Rolle spielen. Es geht uns vor allem um die Themen Urheberrechte, Copyright und Schutz des Geistigen Eigentums. Dazu gehört natürlich auch das Thema Leistungsschutzrecht. (HH)

 

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