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Meedia, Verlegerrecht, Publishers Right

MEEDIA: „Besonders bemerkenswerter Manipulationsversuch"

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Stephan Scherzer im MEEDIA-Interview über das EU-Verlegerrecht und das Vorgehen der Unions-Politiker Dorothee Bär und Thomas Jarzombek | erschienen bei MEEDIA am 3. Juli 2018

Europas Verlage stehen vor einem bahnbrechenden Schritt, der ihre weitere finanzielle Zukunft mitbestimmen wird: Denn am Donnerstag entscheidet das EU-Parlament über ein EU-Leistungsschutzrecht. Doch die beiden Unionspolitiker, Dorothee Bär und Thomas Jarzombek, wollen dies verhindern. Im MEEDIA-Interview erklärt Stephan Scherzer, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), was dies für die Verlage und Journalisten bedeuten würde.

Herr Scherzer, am Donnerstag wird das EU-Parlament über das Verlegerrecht abstimmen. Der EU-Rechtsausschuss hat dem von den Medienunternehmen geforderten Leistungsschutzrecht bereits zugestimmt. Nun kommen die beiden Abgeordneten Dorothee Bär, Staatsministerin der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung (CSU), und Thomas Jarzombek, Bundeskoordinator für Luft- und Raumfahrt (CDU), in die Quere. Sie haben das EU-Parlament aufgefordert, gegen das Leistungsschutzrecht zu stimmen, da es nicht im Koalitionsvertrag befürwortet wurde. Kann sich das Blatt noch wenden?

Stephan Scherzer: Deutschland hat bei der gedruckten und digitalen Presse eine weltweit einmalige Vielfalt der unternehmerisch finanzierten Presse. Es ist ein besonders bemerkenswerter Manipulationsversuch, die EU-Parlamentarier auf der Grundlage unzutreffender Informationen zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten zu veranlassen. Beide haben übrigens den Vertrag mitverhandelt, der explizit eine Rechtsposition für die Verlage fordert. „Im Urheberrecht unterstützen wir nachdrücklich eine zeitnahe Regelung zur Verlegerbeteiligung bei den Verwertungsgesellschaften und stärken die Position der Verleger auf europäischer Ebene durch eine eigene Rechtsposition“, so steht es im Koalitionsvertrag. Die einseitige und unzutreffende Argumentation von Frau Bär und Herrn Jarzombek ist ein Schlag ins Gesicht der freien Presse und der gesamten Kulturwirtschaft. Die Tatsache, dass die Kulturschaffenden, Journalisten, Musiker, Autoren – inzwischen 72 Verbände – das Parlament in einem offenen Brief um Unterstützung des Kompromisses bitten, der neben dem Verlegerrecht bessere Möglichkeiten zur Rechtsdurchsetzung gegenüber Upload-Plattformen verschafft (Upload-Filter) zeigt noch einmal deutlich die Bedeutung der Reform.

Wird das EU-Parlament dem Votum des EU-Rechtsausschusses folgen?

Europa muss seine Kreativwirtschaft mit fairen Wettbewerbsbedingungen unterstützen. Dem Parlament liegt ein Kompromissvorschlag vor, der bereits durch viele Abstimmungsrunden gegangen ist und sowohl von der Kommission als auch den maßgebenden Ausschüssen getragen wird. Wer einen Blick auf die digitale Weltkarte wirft und die enorme Markt- und Gestaltungsmacht der globalen Digitalkonzerne sieht, kann nicht ernsthaft gegen diesen Vorschlag stimmen. Die gesamte europäische Kreativbranche wird im Wettbewerb gestärkt. Die Verleger wollen keine Sonderrolle, wie gerade suggeriert wird, sondern nur die gleichen Rahmenbedingungen, die für die Musik-, Film- und Softwarebranche schon lange gelten. Wir haben einen langen Atem, wenn es sein muss.

 

Sollte das EU-Parlament zustimmen, könnten die Verlage Upload-Filter installieren. Sie sollen Inhalte im Netz auf möglicherweise geschützte Werke prüfen. Wird damit aber nicht das freie Internet oder der Informationsfluss im Netz eingeschränkt?

Digitalstaatsministerin Bär und Herr Jarzombek arbeiten leider auch bei diesem Thema nicht sauber. Im Brief an die Abgeordneten bezieht sie sich auf den alten Kommissionsentwurf, der zu wenig für die Kommunikationsfreiheit getan hat. Die zur Abstimmung stehende Parlamentsfassung ist ausgewogen und vernünftig. Eine freie und unabhängige Presse braucht sowohl den Schutz des Urheberrechts, um finanziell unabhängig zu bleiben als auch inhaltliche Pressefreiheit, die durch eine zu weitgehende Haftung von Intermediären gefährdet wäre. Das verabschiedete Rechtepaket wahrt aus unserer Sicht notwendige Balance zwischen Meinungsfreiheit und Urheberrechtsschutz. Die Regelung betrifft niemanden, der sich selbst auf seiner Website äußert. Weder Blogger noch Bürger noch Medienunternehmen. Das ist essentiell. Auch Diskussionsforen etc. sollten von vornherein nicht erfasst werden, da es kein Hauptzweck von Diskussionsforen ist, urheberrechtlich geschützte Werke anzubieten.

 

Mit dem Leistungsschutzrecht wird den Verlegern das Recht eingeräumt, von News-Aggregatoren beziehungsweise Suchmaschinen für die Nutzung von urheberrechtlich nicht erfassten kleinsten Textausschnitten (Schnipsel) Lizenzgebühren zu verlangen. Müssen Google & Co., wenn das Parlament dem Verlegerrecht zustimmt, dann europaweit eine einheitliche Lizenzgebühr zahlen?

Nein – es handelt sich um eine europäische Richtlinie. Die Umsetzung erfolgt marktbezogen in den einzelnen Mitgliedsländern. Die Höhe der Lizenzgebühr richtet sich auch nach der Ausgestaltung der Richtlinie in den Gesetzen der jeweiligen Staaten.

 

Werden private Nutzer zur Kasse gebeten, wenn Sie Presseartikel verlinken?

Die freie Verlinkung bleibt unantastbar. Jeder wird weiterhin kostenlos Links setzen und teilen dürfen. Auch die private Nutzung bleibt ausdrücklich weiter möglich. Dieses Anliegen vieler Internet-Aktivisten ist gar kein Streitpunkt. Das hat der europäische Gesetzgeber von Anfang an so kommuniziert. Es ist im Interesse der Presse, dass Leser ihre Inhalte weiterempfehlen und mit Freunden und Bekannten teilen. Daher haben Zeitungen und Zeitschriften Share- und Like-Button unter ihren Artikeln auf den Webseiten. Das Publishers Right wird daran nichts ändern. Darüber hinaus werden sämtliche bestehende Schrankenregelungen, wie etwa das Zitatrecht sowie die Erlaubnis zur Illustration, Forschung und Privatkopie, in vollem Umfang bestehen bleiben und nicht durch das geplante EU-Publishers Right angetastet.

 

Die Verlage profitieren von Google & Co., weil sie hierüber auf ihre Presseerzeugnisse durch höhere Klickraten aufmerksam machen und dadurch mehr Werbeeinnahmen erzielen. Werden durch das neue EU-Verlegerrecht nicht die Vermarktungseinnahmen sinken?

Die Zeitungen und Zeitschriften fordern nur, dass sie endlich als Rechteinhaber im Rahmen des EU-Urheberrechtes anerkannt werden. Der Anteil von Google und Facebook an der Digitalwerbung liegt global bereits bei rund 80 Prozent. Von fairem Wettbewerb kann aufgrund der Datenmonopole schon längst nicht mehr die Rede sein. Mit dem EU-Verlegerrecht hätten sie dann einen Anspruch, zu entscheiden, wie und wo ihre Inhalte zugänglich gemacht werden. Jeder Presseverlag kann dann jederzeit die Verwertung ohne Entgelt erlauben oder das Recht individuell oder kollektiv wahrzunehmen. Keinem Unternehmen wird durch das Gesetz vorgeschrieben, wie es sich zu verhalten hat. Das sind unternehmerische Entscheidungen. Dass die Verlage erstmals europaweit eine Rechtsposition haben, um in eine Verhandlung zu gehen, ist dringend notwendig.

 

Wenn sich das EU-Parlament nicht dem EU-Rechtsausschuss anschließt, wie hoch schätzen Sie den finanziellen Schaden für die deutsche Presse?

Es ist kaum möglich einen europaweiten Schaden zu beziffern. Untersuchungen der EU-Kommission haben ergeben, dass fast 50 Prozent aller Internetnutzer nur die Ausschnitte lesen, die Online-Dienste aus Presseveröffentlichungen auf ihren Seiten anzeigen und nicht den Artikel im Presseerzeugnis. Damit geht die Hälfte der potenziellen Leser nicht auf die Webseite, und dort läuft ja erst die Werbung. Eine “Win-Win-Situation” gibt es eindeutig nicht. Das hat die Kommission in ihrem umfassenden Impact Assessment ausführlich beschrieben. Stattdessen führt der geltende Rechtszustand zu einem eklatanten Marktversagen zu Lasten der Presse.

 

Wenn die Verlage für Artikelschnipsel Lizenzgebühren verlangen können, profitieren davon auch die Autoren direkt – im Rahmen einer Zweitverwertung?

Das neue Recht soll sicherstellen, dass die digitalen Marktbeherrscher für die Nutzung von Verlagsinhalten einen fairen Preis bezahlen. Das modernisierte EU-Urheberrecht wird für faire Verhältnisse im Internet sorgen. Journalisten und Autoren werden einen angemessenen Anteil an den Erlösen erhalten. Der Vorschlag der EU-Kommission selbst stellt in Artikel 11 Abs. 2 fest, dass das Publishers Right die Rechtsposition der Journalisten nicht berührt. Zusätzlich ist im gerade vom Rechtsausschuss verabschiedeten Text eine Beteiligung der Journalisten an den durch das EU-Publishers Right neu entstehenden Erlösen vorgesehen. Nur so ist unabhängiger Journalismus langfristig finanzierbar. Wir brauchen endlich faire Wettbewerbsbedingungen für Editorial Media, unabhängigen Journalismus auf allen Plattformen.

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