m&k | Medien & Demokratie - ein Kommentar von Anina Veigel
Medien und Demokratie
Social-Media-Infos sind unterhaltsam und aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken – aber trotzdem: Eine Welt ohne verlässliche Verlagsinhalte mag man sich nicht einmal im (Alp-)Traum vorstellen.
von Anina Veigel
Ein kurzes Antippen auf dem Handy und Instagram öffnet sich – ein Tor zur Welt. Ein schneller Blick am Morgen, sehen, wie es den Freunden geht. Zwischen Strandfotos und Selfies erfährt man, was in der Welt passiert ist. Oder passiert sein könnte? Woher wissen wir, dass das, was wir lesen, tatsächlich so geschehen ist? Verlieren wir womöglich sogar unsere kritische Distanz, wenn wir über eine Begebenheit mehrfach lesen? Und können wir wirklich beurteilen, woher die Informationen stammen? Vieles, was auf Social Media gepostet wird, ist spannend, inspirierend und nicht mehr wegzudenken – aber was passiert, wenn unabhängige und verlässliche Verlagsinhalte verdrängt werden und es keine freie Presse mehr gibt, der wir vertrauen können? Man will sich das nicht vorstellen.
Fundamentale Kräfte versus filigranes System
Derzeit wirken fundamentale Kräfte auf unser fein austariertes Mediensystem ein – eine Mixtur aus den dominierenden Interessen von Tech-Giganten, den Mechanismen von Social Media und den Entwicklungen der künstlichen Intelligenz hat das Potenzial, alles Bisherige zu verändern. Unsere Demokratie basiert darauf, dass die Menschen sich aus einer grossen Vielfalt an Medien informieren und sich dadurch eine eigene Meinung bilden können. Das ist wiederum Grundlage für die persönliche Entscheidung an der Wahlurne und für die Akzeptanz anderer Sichtweisen. Aus dieser täglich erlebten Medien- und Meinungsvielfalt erwächst hoffentlich die Erkenntnis, dass man selbst zu einem Schluss kommen kann, während andere Menschen zu anderen Entscheidungen gelangen.
Politik entsteht idealerweise in einem Austausch von Wissen und einer Art Tauziehen um die besten Argumente. Und selbst wenn man sich nach diesem Tauziehen nicht der Mehrheitsmeinung anschliessen kann, so kann man dennoch darauf vertrauen, dass sich die Meinung durchsetzt, die viele Menschen für vernünftig halten. Medienvielfalt ist konstituierend für die Demokratie – und daher ist auch die besondere und schützenswerte Rolle der freien Presse im Grundgesetz festgeschrieben. Nicht ohne Grund versuchen diktatorische Strukturen immer als Erstes, Medien einzugrenzen und zu kontrollieren.
Nicht nur für eine robuste Demokratie, sondern auch für eine starke Gesellschaft und Gemeinschaft sind freie Medien essenziell. Denn diese berichten, was sich wie zugetragen hat, was wahr und wichtig ist – für viele Menschen, nicht nur für die eigene Peergroup. Und was wäre die Wirtschaft ohne den Wissenstransfer von Fachmagazinen? Der freien Presse schenkt man Vertrauen und sie schafft einen geteilten Standard, ein gemeinsames Verständnis von Wahrheit und Wissen. Sie erzeugt Verbindung und «Kitt» von Menschen untereinander. Aber die freie Presse ist bedroht und damit der Zusammenhalt der Menschen und unsere Demokratie.
Warum ist die freie Presse bedroht?
Es ist gemeinhin bekannt, dass sich die freie Presse von jeher auch durch Werbegelder finanziert. Diese werden jedoch von den großen Tech-Giganten abgezogen. Das britische Forschungsinstitut WARC prognostiziert, dass der globale Werbemarkt 2024 auf über eine Billion US-Dollar wachsen wird – mehr als die Hälfte dieses Marktes wird jedoch an die fünf Technologiekonzerne Alphabet, Meta, Amazon, ByteDance und Alibaba gehen (wer die Zahlen selbst nachlesen möchte, findet im Netz alles frei zugänglich – «Global advertising to top $1 trillion in 2024, as big five attract most spending» ist die Headline, die via Google direkt zum Artikel führt – und ja, es ist etwas ironisch, in diesem Kontext auf Google verweisen zu müssen!). Die «Login-Giganten» verdienen gut an uns und unseren Inhalten, ohne jemals Journalist:innen einzustellen, einen Verlag zu managen und Verantwortung zu übernehmen. Sie stellen nach eigenen Angaben lediglich eine technische Infrastruktur zur Verfügung.
Infrastruktur? Gatekeeping!
Diese technischen Infrastrukturen sind längst zu Gatekeepern geworden. Sie allein bestimmen mit ihren Blackbox-Algorithmen, was der Masse gezeigt wird und was nicht. Die Erkenntnis, dass rein wirtschaftliche Interessen hinter diesen Marktzugängen liegen, ist keine Raketenwissenschaft. Es liegt in Natur der Sache. Liegt es dann nicht an uns, daran etwas zu ändern?
Leser:innen machen den Unterschied
Zunächst machen Leser:innen den Unterschied. Informationsangebote, die vermeintlich kostenlos sind, bezahlen sie vielfach mit Daten, Zeit und Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit für Inhalte, die möglicherweise nicht wahr sind? Finde den Fehler! Nach einer repräsentativen Allensbach-Studie sagen 91 Prozent der deutschen Bürger, dass unabhängiger Journalismus relevant für das Funktionieren der Demokratie ist (auch hier sei noch einmal auf das Netz verwiesen: Sie finden besagte Umfrage via die Headline «Grosse Mehrheit empfindet Gesellschaft als gespalten – und Journalismus als wichtig für eine funktionierende Demokratie»). Guter Journalismus aber, der sich dem Pressekodex verpflichtet, kostet Geld. Mit dem Kauf von Zeitschriften, Zeitungen oder Fachmagazinen am Kiosk oder im Abo entscheiden sich die Menschen nicht nur für einen einzelnen Titel, sondern auch für ein ganzes System, das sie relevant finden.
Gezielt in freie Presse investieren
Werbetreibende können ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen, indem sie ihre Werbegelder gezielt der freien Presse zukommen lassen. Das ist nicht nur ein Investment in unser gesellschaftliches und politisches Gefüge, sondern auch in die eigene Zukunft, denn ein freier Handel und Verkauf von Waren und auch ein freier Wissensaustausch können nur in einer freien Welt stattfinden.
Und die Politik? Diese muss immer und immer wieder faire Rahmenbedingungen schaffen, damit die freie Presse diskriminierungsfreie Marktzugänge erhält und sich im freien Wettbewerb wirtschaftlich tragen kann. Als Medienverband der freien Presse sind wir dazu im stetigen Austausch mit der Politik in Deutschland und Europa. Es ist unsere Aufgabe, die Interessen unserer rund 350 Mitgliedsverlage mit knapp 7000 Zeitschriften- und Medienangeboten zu vertreten. Wir setzen uns für den Fortbestand der freien Presse, die Freiheit und Vielfalt der Meinungen und die Zukunft des marktwirtschaftlich finanzierten Journalismus ein – als Garant für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Eines unserer wichtigsten Themen ist derzeit die künstliche Intelligenz (KI).
KI stellt alles in den Schatten
Unsere Verlage sind seit drei Jahrzehnten aktiv an der digitalen Transformation beteiligt. Die Veränderungen jedoch, die durch den Einsatz von KI auf uns zukommen, übertreffen alles bisher Dagewesene. Im Sommer 2023 war der MVFP der erste Medienverband in Europa, der eine KI-Erklärung veröffentlichte – abgestimmt mit den Mitgliedsverlagen. Darin ist festgehalten, dass KI unser Leben grundlegend verändert und die Verlage im Kern ihrer verlegerischen Wertschöpfung getroffen werden. Diese Entwicklung eröffnet spannende Perspektiven für die Verlage, sowohl journalistisch als auch unternehmerisch, bringt jedoch auch ethische und wirtschaftliche Herausforderungen mit sich.
Drei zentrale Forderungen
In diesem Zusammenhang stellt der Verband drei zentrale, medienpolitische Forderungen auf, um das Überleben des Pressesystems in seiner jetzigen Form zu sichern: Erstens benötigen wir ein Verfügungsrecht, um auch im KI-Zeitalter die Kontrolle über die Verwertung unserer Inhalte zu behalten. Zu einfach können ansonsten Konkurrenzprodukte kostenfrei und gegen unseren Willen entstehen. Zweitens muss eine angemessene Vergütung sichergestellt werden, denn wenn generative KI unsere Inhalte nutzt, müssen wir dafür fair entlohnt werden. Ohne Lizenzen und Transparenz bei der Nutzung für Trainingszwecke oder die Erstellung «eigener» Inhalte durch KI-Anbieter ist die Zukunft der freien Presse ernsthaft gefährdet. Drittens darf die Nachweispflicht für die Verwendung von Inhalten aus unseren Medienangeboten nicht bei den Rechteinhabern verortet werden. Vielmehr muss die Beweislast auf die KI-Anbieter verlagert werden, da nur sie wissen, welche Inhalte ihre Systeme verwendet haben und welche nicht. Derweil entwickelt sich die KI in exponentieller Geschwindigkeit weiter und es wird immer schwieriger, den Output von Maschinen und Menschen auf den ersten Blick zu unterscheiden. Der Informatikprofessor Yoshua Bengio schrieb kürzlich in einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung», dass Menschen zu Selbstzweifeln fähig sind und ihre Position infrage stellen können. Künstliche Intelligenz wird wiederum immer wieder darauf bestehen, recht zu haben, auch wenn sie es nicht hat. Unabhängiger Journalismus ist immer zweifelnd. Und das ist gut so. Wir alle – Politik, Verlage, Werbetreibende, Mediennutzer:innen – können mit unserem Verhalten und unseren Entscheidungen einen Unterschied machen – und zwar, wie und von wem wir auch künftig informiert werden möchten. Wer geht diesen Weg mit?
Erschien zuerst in der September-Ausgabe von m&k - Das Magazin für Markt und Kommunikation“