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Phase der Renaissance

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VDZ-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Fürstner im Tagesspiegel-Interview über alte und neue Titel und die Kraft neuer Ideen

Während Nachrichtenwebsites ihre Klickzahlen im Zuge der dramatischen Ereignisse in Japan teilweise enorm steigern und Fernsehsender Marktanteilsrekorde aufstellen konnten, haben die Kioskverkäufe von Magazinen wie "Spiegel", "Stern" oder "Focus" nicht bedeutend angezogen. Warum profitieren Zeitschriften nicht von solchen aktuellen Ereignissen?

Aktuelle Ereignisse lassen aktuelle Magazine sicher nicht unberührt. Doch weil auf allen Medienkanälen, also nicht nur in Zeitschriften, sondern auch in Zeitungen, im Fernsehen, Radio und Internet berichtet wird und sich die Menschen auf all diesen Kanälen informieren, schlagen sich solche Ereignisse bei den Zeitschriften nicht immer in gesteigerten Verkaufsauflagen nieder. Für die Hochzeit des englischen Prinzen William wird dies für die einschlägigen People-Magazine vermutlich aber zu signifikanten Mehrverkäufen führen, weil hier nicht nur über eine spektakuläre Hochzeit berichtet wird. Hier werden Träume und Sehnsüchte angesprochen, die die Menschen in Zeitschriften über das flüchtige Bild hinaus nachvollziehen wollen. 

Sind Zeitschriften die Verlierer im Vergleich mit den anderen Medien?

Nein, ganz im Gegenteil denn Katastrophen oder große Ereignisse, die die Medien und die Menschen insgesamt bewegen, gibt es allenthalben und nicht jedes Ereignis muss sich bei den Magazinen in einer Auflagensteigerung niederschlagen. Aber wenn es wie bei der königlichen Hochzeit um die Kraft der Bilder geht, gilt das nicht. Viel wichtiger ist, dass sich der Zeitschriftenmarkt insgesamt in einer Phase der Renaissance befindet.

Inwiefern?

Das Krisenjahr 2009 war für unsere Branche ein Annus horribilis, wir mussten zweistellige Minusbeträge bei den Anzeigenerlösen verzeichnen. Im vergangenen Jahr haben wir dann eine deutliche Erholung erlebt, die nicht nur das Ergebnis einer positiven Entwicklung des Werbemarktes war, sondern auch eines rigiden Kostenmanagements in den Verlagen.

Setzt sich dieser Trend im laufenden Jahr fort?

Soweit wir sehen, ja. Schon im ersten Quartal wurde ein Anzeigenseitenplus von 11,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal erzielt, ein so deutliches Plus hatten wir lange nicht mehr. Deshalb blicken wir zuversichtlich in das laufende Jahr. Der Markt ist dabei, sich positiv und stark zu entwickeln.

Im ersten Quartal 2011 sind 1.994 Zeitschriften bei der IVW gemeldet. 1.134 sind dem Segment der Fachzeitschriften und 860 dem Segment der Publikumszeitschriften zuzuordnen. 

Gilt das nur für das Anzeigengeschäft oder auch für die Vielfalt und Qualität der Titel?

Das eine ist von dem anderen nicht zu trennen. Ein Titel, der keine Anzeigen hat, lässt sich am Markt kaum halten, denn nur wenige Titel können allein von Vertriebserlösen leben. Das Angebot an erfolgreichen Titeln hat sich deutlich vervielfältigt. Nehmen Sie neue Titel wie „in“, „OK“ oder „Grazia“, die aus einem mittelständischen Haus kommen, oder auch „Woman´s Health“ oder „Cover“. Eine Meisterleistung ist auch die Erneuerung traditioneller Magazin-Marken wie „Schöner Wohnen“ mit einem ganz herausragenden Erfolg. Nicht zu vergessen ist die Entwicklung einer ganz neuen Gattung von Zeitschriften, wie Landlust mit mehr als 800000 verkauften Heften, gefolgt von „Mein schöner Garten“ und „Mein schöner Land“. Diese Art von Zeitschriften bedient das kontemplative Bedürfnis der Menschen. So wie sich früher die ganze Familie vor dem Fernseher versammelte und heute Eltern und Kinder einen eigenen Fernseher haben, gibt es heute für alle möglichen Interessen spezielle Titel. Beispielsweise für Angler, die früher nur einen Titel zur Auswahl hatten und heute ein halbes Dutzend, von der Hochseeanglerei bis zur Fliegenfischerei.

Zwar gibt es mehr Titel, doch die Auflagen sinken. 

Je größer die Auswahl ist, desto mehr verteilen sich auch die Leser auf die einzelnen Titel.  Deshalb werden auch nur noch im Ausnahmefall Auflagen im Millionenbereich erzielt. Ein Titel aus dem General-Interest-Bereich ist heute ein gesunder Titel, wenn er 300 000 Exemplare verkauft. Denn im Vergleich zu den Special-Interest-Magazinen, die eine bestimmte Nische bedienen, konkurrieren sie verstärkt mit den anderen Medien, insbesondere dem Internet. Die Wundertüte "Stern", des Henry Nannen muss sich heute auch auf die gewandelten Informationsbedürfnisse der Menschen im Internetzeitalter 2011 einstellen, und sie tut es sehr erfolgreich. Angesichts dieser Konkurrenz müssen die Magazine sehr darauf bedacht sein, immer wieder neu und interessant für die Leser zu sein.

Die Verleger scheinen jedoch vorsichtig geworden zu sein. Neue Titel werden oft als einmalige Ausgabe am Markt getestet, statt sie wie die inzwischen eingestellte „Vanity Fair“ mit lautem Getöse einzuführen. Ist das eine kluge Strategie?

Ja, zumindest mit Blick auf die jüngste, wirtschaftlich schwierige Vergangenheit. In den gerade wieder erwachenden Märkten ist großes Getöse nicht angesagt. Testballons steigen zu lassen ist deshalb ein Zeichen von kaufmännischer Umsicht.

Echte Neueinführungen sind selten, im Trend liegen Line-Extensions wie es die "Gala" mit ihren Ablegern "Gala Style", "Gala Wedding", "Gala Men" und "Gala Kids" vormacht. Sind die Verlage nicht mehr innovativ genug?

Ich würde genau das Gegenteil daraus schließen. Solche Titel in Zeiten zu entwickeln, in denen der Zeitschriftenmarkt in vielen Bereichen mehr als gesättigt ist, bedeutet einen großen Erfolg und zeigt, dass die jeweilige Marke sehr stark ist. Der Zeitschriftenmarkt in Deutschland ist kerngesund. Aber so wie die Gesellschaft sich wandelt, müssen sich auch die Medien wandeln. Die Zeitschriften gehen mit bestem Beispiel voran.

Sorgenkind bleibt der Markt der Männermagazine, Hefte wie „Matador“ und „Max“ wurden eingestellt, die „FHM“ musste mehrmals den Besitzer wechseln, der „Playboy“ verliert Leser. Ist mit leicht bekleideten Frauen heute nicht mehr zu punkten?

Die Männermagazine unterliegen noch stärker dem Wettbewerb mit dem Internet als andere Zeitschriften-Segmente. Die Bewegtbilder aus dem Netz sind für sie eine enorme Konkurrenz. Die Magazine müssen deshalb selbst versuchen, mit ihren Marken im Internet und auf Spartenkanälen zu punkten. Dennoch liegt die Vermutung nahe, dass Männermagazine nicht out sind, sondern heute stärker nutzwertorientiert sind, Gesundheit, Sport und Vitalität stärker in den Mittelpunkt rücken. Ein Beispiel hierfür könnte der Erfolgreiche Titel „Men´s Health“ sein.

Alle Verleger wollen mit Inhalten im Netz endlich Geld verdienen und setzen dafür auf mobile Geräte wie iPhone und iPad. Doch noch gibt es im Magazinbereich nur wenige spannende Apps.  

Über 50 Prozent der Verlage, die beim VDZ vertreten sind, haben bereits Apps für die mobilen Geräte gestartet. Natürlich müssen manche Verlage in diesem Bereich noch ihre Erfahrungen sammeln und machen das auch sehr beherzt. Das meiste Geld aber wird nach wie vor mit dem klassischen Zeitschriftengeschäft verdient. Deshalb sind die Verlage gut beraten, wenn sie diesen Bereich nicht vernachlässigen. Sie müssen das eine tun, ohne das andere zu lassen.

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