Pressefreiheit in wachsender Gefahr
Nie war die Arbeit von "Reporter ohne Grenzen" wichtiger als jetzt. Was sind die Gründe für den Rückfall in mehr Zensur, Unterdrückung und Ermordung von Journalisten?
Zum einen ist die Zahl der regionalen Konflikte gestiegen, die gleichzeitig ausgetragen werden und in denen Medien unterdrückt und Journalisten zur Zielscheibe werden: Beispiele dafür sind die Ukraine, Syrien oder der Irak. Hinzu kommt in sogenannten "zerfallenden Staaten" skrupellose Gewalt durch Terrorgruppen, Milizen oder Verbrecherkartelle. Nicht zuletzt werden Journalisten, Karikaturisten und Blogger auch im Namen von Religion zur Zielscheibe.
Sind nicht-klassische Journalisten und Blogger genauso davon betroffen oder haben sie Vorteile dadurch, dass Unrechtsregime sie nicht so schnell identifizieren und sanktionieren können?
Nein. Blogger oder Bürgerjournalisten sind auf Dauer mithilfe der modernen Überwachungssoftware leider fast immer identifizierbar. Oftmals sind sie sogar ungeschützter als ihre professionellen Kollegen. In Ländern wie China, Iran oder Russland werden kritische Blogger mit willkürlichen Anschuldigungen wie Drogenschmuggel oder mit Verleumdungsgesetzen hinter Gitter gebracht. In Bangladesch werden Internetaktivisten tätlich angegriffen, allein in diesem Jahr wurden dort zwei Blogger mit Macheten erschlagen. Andererseits sind in Ländern wie Syrien, in die sich ausländische Korrespondenten kaum noch wagen, Bürgerjournalisten zur oftmals letzten möglichen Quelle für Informationen geworden.
Rechtsfreie Räume
Hat das auch etwas mit einem neuen und anderen, unter Umständen aggressiveren Journalismus zu tun?
Ich glaube nicht. Jeder Journalismus spiegelt die Gesellschaft, in der er arbeitet. In vielen Ländern gibt es traditionell kaum so etwas wie unparteiischen Journalismus. Die Medien sind entweder in der Hand der Regierung, einer oppositionellen Gruppe oder auch im Besitz von konkurrierenden sogenannten Oligarchen, die dort ihre eigenen ökonomischen Interessen vertreten. Zunehmend physisch bedroht werden Journalisten und Blogger dort, wo entweder der Staat mit dieser Gewalt heimlich oder offen sympathisiert – gegenüber islamkritischen Bloggern zum Beispiel – oder Inhalt dort, wo der Staat keine Macht mehr hat. Wo sich nicht-staatliche Konfliktparteien überhaupt nicht mehr um die Menschenrechtscharta und um den Schutz der Zivilbevölkerung einschließlich Journalisten scheren, läuft das Völkerrecht ins Leere.
Was bedeutet das für Ihre Arbeit? Was ändert sich?
Unsere Appelle, Journalisten als zivile und unabhängige Beobachter zu behandeln, finden in solchen Konflikten keinen Ansprechpartner mehr, auf den internationaler Druck ausgeübt werden kann. Wir fordern besseren Schutz; die Regierung kann ihn nicht gewährleisten, weil sie keine Macht mehr hat. Wir fordern, Journalistenmorde effektiv zu verfolgen; die Regierung verhält sich passiv, weil sie mit den Tätern sympathisiert.
Zweite Folge: Immer mehr Journalisten müssen aus ihren Ländern fliehen. Die Zahl der Anfragen an Reporter ohne Grenzen steigt stetig an. Im vergangenen Jahr kamen die meisten Hilferufe aus Syrien, viele auch aus Aserbaidschan, Bangladesch und Afghanistan.
Kleine Lichtblicke
Stehen Sie manchmal davor zu resignieren? Was gibt Ihrer Arbeit Kraft, was motiviert Sie?
Warum sollen wir resignieren, wenn in diesen Ländern so viele Journalistinnen und Bürgerjournalisten trotz schwierigster Arbeitsbedingungen sich nicht entmutigen lassen? Es wird nicht alles "immer nur schlimmer". Diktatoren stürzen auch, in Tunesien entwickelt sich eine zivile Gesellschaft, und manche Konflikte werden ganz allmählich befriedet, wie im ehemaligen Jugoslawien.
Und dann gibt es auch Erfolge im Kleinen: Wenn Journalisten oder Blogger aus Gefängnishaft freikommen und dann sagen, wie wichtig es war, dass wir immer wieder auf sie und ihren Fall hingewiesen haben. Und nicht wenigen, die vor Krieg und Verfolgung ziehen, zum Beispiel aus Syrien, konnten wir helfen, in Deutschland Zuflucht zu finden.
Welche Botschaften können Sie Verlegern in Deutschland mitgeben, welche der Politik?
Immer mehr feste Korrespondentenstellen im Ausland werden abgebaut, um Kosten einzusparen. In Krisensituationen fehlt dann bisweilen das nötige Know-how vor Ort, gerade auch in Fragen der Sicherheit. Die größte Sorge haben wir um Freelancer, die sich ohne Sicherheitstraining oder Versicherung, schlecht ausgerüstet und mit wenig Geld in Kriegsgebiete aufmachen. Sie sind dann für Redaktionen zwar preiswerte Lieferanten von Reportagen oder Videos. Aber das darf nicht sein. Wir fordern die Medienhäuser auf, für freie Journalisten, die sie beschäftigen, prinzipiell die gleiche Verantwortung zu übernehmen wie für entsendete Redakteure. An die Politik appellieren wir, die Empfehlungen von Reporter ohne Grenzen zum Schutz von Journalisten in Friedens- wie in Konfliktzeiten umzusetzen. Wir verurteilen illegale oder willkürliche Überwachung ihrer Kommunikation. Und wir brauchen auch in Deutschland mehr Notruf- und Evakuierungsprogramme sowie Zufluchtsorte für akut gefährdete Journalisten aus aller Welt.
Haben Sie eigentlich noch Lust zu lesen? Was lesen Sie? Welche Medien?
Tatsächlich lese ich nicht mehr morgens fünf Zeitungen wie in meiner Zeit als Tageszeitungsredakteur. Heute ist es natürlich eine Mischung aus Internet und Twitter für die schnelle Information, Pressespiegel und Newsletter für den Überblick – und, eher dann zuhause am Abend, Printmedien mit den längeren Stücken, die dann die eigentliche Leselust und vor allem das Nachdenken bringen.
Begründung des Bundespräsidenten:
Dr. Michael Rediske - Verdienstkreuz am Bande
Pressefreiheit, Menschenrechte und Demokratie sind für Michael Rediske untrennbar miteinander verbunden. Sie zu schützen ist Maxime seines gesellschaftspolitischen Engagements. Als junger Journalist und Korrespondent erlebte er in Lateinamerika unmittelbar die Folgen von Angriffen auf die Pressefreiheit. Seither kämpft er beharrlich dafür, dass Pressefreiheit nicht nur deklariert wird, sondern auch tatsächlich existiert. Im Jahr 1994 hat Michael Rediske die deutsche Sektion der Organisation Reporter ohne Grenzen mitgegründet und ehrenamtlich das Amt des Vorstandssprechers übernommen, das er bis heute ausübt. Reporter ohne Grenzen fordert weltweit Pressefreiheit, setzt sich gegen Zensur ein und unterstützt verfolgte Journalistinnen und Journalisten und ihre Familien. Michael Rediske ist in der Bundesrepublik eine wichtige Stimme für denjenigen Grundsatz unseres Demokratieverständnisses, der auch das Motto von Reporter ohne Grenzen ist: "Keine Freiheit ohne Pressefreiheit".