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"Weitere politische Interventionen sind unerträglich"

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VDZ-Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer warnt in HORIZONT vor einem neuen Dirigismus – Redaktionen brauchen Ausnahmen vom Datenschutz

Bundesregierung und EU-Kommission planen weitere Werbebeschränkungen – für Finanzprodukte, für alkoholische Getränke, Kosmetika. Fürchten Sie ernste wirtschaftliche Folgen für die Medien?
Presse muss sich im publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb frei entfalten und das heißt auch, frei und staatsunabhängig finanzieren können. Dabei ist Werbung – neben dem Vertrieb – unverzichtbar für die gedruckte wie die digitale Presse. Weitere politische Interventionen gegen diese Finanzierungsquelle sind unerträglich.

Finden Sie für diese Position Unterstützung in der Politik?
Das ist seit Mitte des letzten Jahrzehnts auch die Position jeder Bundesregierung. Schon die letzte von SPD und CDU/CSU gebildete Regierung lehnte weitere Werbeverbote strikt ab. Die Bundeskanzlerin hat bereits 2009 erklärt, dass sie weitere Werbebeschränkungen ablehne – auch deshalb, weil sie ein massiver Angriff auf die Vielfalt und Qualität der Medien seien. In der heutigen Zeit muss seriöse Politik aber nicht nur den Status quo wahren, sondern, wie es die amtierende Koalition ausdrücklich verspricht, "die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen privatwirtschaftlicher Medienproduktion stärken". Würde die Bundesregierung dennoch neue Werbebeschränkungen einführen oder in Brüssel unterstützen, wäre das ein Rückfall in eine unaufgeklärte, dirigistische Verbraucher-, Wirtschafts- und Medienbevormundung.

Die Werbefinanzierung von Medien hat grundsätzliche Bedeutung für den Qualitätsjournalismus. Sehen Sie durch staatliche Eingriffe die Pressevielfalt gefährdet? Oder gar die Pressefreiheit?
Die weitere Beschneidung freier und staatsunabhängiger Pressefinanzierung wäre auch ein Angriff auf die Pressefreiheit und -vielfalt. Die Freiheit, sich in privatwirtschaftlicher Form im wirtschaftlichen Wettbewerb finanzieren zu können, ist essentieller Teil jeder freien gedruckten und digitalen Presse. Dabei kommt der Werbefreiheit eine herausragende und unverzichtbare Rolle zu.

Auch unter Datenschutz-Aspekten werden in Brüssel neue Regeln vorbereitet. Treiben die Verlage heute Missbrauch mit Konsumentendaten, etwa bei der Gewinnung neuer Abonnenten?
Sowohl der seit über 100 Jahren etablierte Frei- und Wechselversand der Fachpresse als auch die unverzichtbare Leserwerbung der Zeitungen und Zeitschriften ist auf die Adressverarbeitung auf der Grundlage einer Widerspruchslösung angewiesen. Beides sind legitime und für eine freie Presse unverzichtbare Kommunikationsmittel des Direktmarketings. SPD und CDU/CSU haben die datenschutzrechtliche Zulässigkeit dieses Direktmarketings ausdrücklich bekräftigt. Die EU-Kommission hat erkannt, dass derartige Leserwerbung wichtig ist. Das sollte der Ministerrat nicht anders beurteilen. Unverzichtbar ist auch die interessenbasierte Werbung in digitalen Angeboten der Verlagshäuser und anderer Unternehmen. Sie können – anders als Google, Facebook und andere Login-Giganten – schon aufgrund ihrer Geschäftsmodelle nicht vorab Millionen Einwilligungen potenzieller Kunden einholen.

Sehen Sie einen Konflikt zwichen Datenschutz und redaktioneller Freiheit?
Wir müssen in der Tat eine wachsende Gefahr für die redaktionelle Freiheit ansprechen. Die für die redaktionelle Datenverarbeitung von der Recherche bis zum Online-Archiv nötige Ausnahme vom Datenschutzrecht ist in den Entwürfen zur EU-Datenschutzverordnung in bedrohlicher Weise geschwächt. Gegen das einhellige Votum der deutschen und europäischen Verleger- und Journalistenverbände schlägt das EU-Parlament sogar eine Streichung des spezifischen Schutzes journalistischer Datenverarbeitung vor. Die Bundesregierung darf keiner Neuregelung des EU-Datenschutzes zustimmen, die den Schutz der redaktionellen Pressefreiheit schmälert.


Dieses Interview von Chefredakteur Dr. Uwe Vorkötter mit Stephan Scherzer ist Teil des am 28. August 2014 in HORIZONT 35/2014 erschienenen Beitrags "Plädoyers für die Freiheit".

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