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„Zeitschriften sind ein Medium der Entschleunigung“

Startseite Erstellt von Eva-Anabelle v.d. Schulenburg

VDZ-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Fürstner im Interview mit promedia.

 

 

promedia: Herr Fürstner, aus einer Umfrage Ihres Verbandes geht hervor, dass die Mehrzahl der Verlage auch künftig vor allem Verlage bleiben werden. Warum verabschiedet man sich anscheinend von der Philosophie des Medienhauses?

Fürstner: Davon kann keine Rede sein, aber: Für die Verlage spielt weiterhin die gedruckte Zeitschrift eine Schlüsselrolle. Die Zeitschrift ist das Medium, das dazu beiträgt, die Erkenntnisse der globalisierten Welt zu erklären, zu erläutern, zu hinterfragen, einzuordnen und den Menschen Hilfestellung dafür zu geben, diese Informationen in ihr eigenes Wertesystem einordnen zu können. Es ist aber Teil der Entwicklungsphilosophie der Verlage, neue Vertriebskanäle, die Informationen und Inhalte transportieren, zu nutzen, weil Mehrkanaligkeit zu einer signifikant höheren Wahrnehmung von Informationen und damit Reichweite führt. Wir wissen nicht nur aus der Werbung, dass mehrkanalige Informationen die größte Lernintensität haben. Wenn Zeitschriften digitale Kanäle immer stärker bedienen, nutzt das der Marke des Mediums. Es nützt aber auch dem Leser, weil er die Informationen besser verarbeiten und verstehen kann. Es ist ein wesentlicher Beitrag zu einer nachhaltigen Kommunikation. Das ist die Aufgabe der Zeitschriftenverlage.

promedia: Wo sehen Sie den Platz der Zeitschriften in der künftigen Medienwelt?

Fürstner: Die Zeitschriften sind heute aus ihrem Grundverständnis ein Medium der Entschleunigung, das komplementäre Medium. Wir würden mit dem Versuch scheitern, mit dem Fernsehen oder Internet bei der Geschwindigkeit des Transports von Nachrichten in Konkurrenz zu treten. Da werden gedruckte Medien heute immer verlieren. Daher ist es eine ganz natürliche Sache, dass die schnelle Information, die Nachricht dann von den Journalisten der Zeitschriftenverlage eingeordnet, bewertet, hinterfragt und in einen Gesamtzusammenhang gebracht wird, um sie zu einer nachhaltigen Information zu machen.

promedia: Das heißt, Sie können damit leben, dass selbst in der digitalen Welt Informationen und Inhalte von Zeitschriftenverlegern möglicherweise nicht die ersten sind?

Fürstner: Natürlich kann ein Zeitschriftenverlag Kompetenz zeigen, wenn er beide Kanäle zu bedienen versteht: Nämlich schnell Informationen zu transportieren und parallel dazu das entschleunigte Medium mit auf den Markt zu bringen, um dem Leser das, was er gesehen oder gehört hat, zu erklären. Die Medien sind so differenziert wie das Leben. Es gibt völlig zu Recht Verlage, die die Philosophie vertreten, schnell in der ersten Information zu sein und langsam in der erklärenden Information oder Unterhaltung. Aber jedes Medienangebot steht unter dem Gebot, sich refinanzieren zu können. Nachrichten sind heute an jeder Ecke kostenlos oder wohlfeil zu erhalten. Aus einer solchen Nachricht ein Geschäftsmodell zu machen, bedarf starker unternehmerischer Ideen. Ob das gelingt, ist eine offene Frage. Das muss jedes Haus für sich entscheiden. Aber die Mehrzahl der Verlage wird diesen Weg im Zweifel nicht gehen, weil offenkundig ist, dass es Wettbewerbsvorteile bestimmter Medienkanäle gegenüber anderen gibt.

promedia: Wo sehen Sie inhaltlich die Aufgabe der Zeitschriften in der Zukunft?

Fürstner: Das Fernsehen ist ein emotionales Medium, das den Menschen unmittelbar ansprechen kann. Aber es ist auch ein sehr flüchtiges Medium. Die Zeitschrift versetzt den Leser in die Lage, es zeitversetzt durchzublättern, es erneut zu lesen, wieder aufzunehmen, 100fach zu erleben, das den Leser nachdenklich macht und ihm Dinge erklären kann. Damit hat es eine nachhaltige und prägende Wirkung. An diesen beiden Medienkanälen wird sehr schnell deutlich, wo die Unterschiede liegen.

promedia: Doch die digitale Medienwelt verändert die Mediennutzung. Wie verändert sie die Zeitschriftenlandschaft?

Fürstner: Die Zeitschriftenverlage publizieren zunehmend stärker zielgruppenorientierte Medien. Interessant ist, dass es häufig mittelständische Verlage sind, die ganz nah an diesen Bedürfnissen sind, die ganz klar definierten Zielgruppen mustergültig erreichen und damit einen erquicklichen Erfolg erreicht haben. Ein Beispiel dafür ist die neu entstandene Gattung der Landzeitschriften.

promedia: So werden trotz des Internets auch die Fachzeitschriften an den Kiosken nicht weniger...

Fürstner: Ja, früher gab es eine Anglerzeitschrift. Heute gibt es den „Hochseefischer“, den „Fliegenfischer“, den „Bachfischer“ usw. Die Gesellschaft hat sich in Interessengruppen differenziert. Die Zielgruppen werden immer kleiner und immer präziser. Mit unterschiedlichen Zeitschriften bedient man diese Zielgruppen sehr genau. Damit erfüllen die Verlage Grundbedürfnisse auf den Punkt. Das kann man mit anderen Medien so nur schwerlich erreichen.

promedia: Wo sehen Sie im Printbereich noch Wachstumsmöglichkeiten?

Fürstner: Es wird immer wieder beklagt, dass die Regale der Kioske viel zu voll seien. Doch das Wunderbare daran ist, dass es Menschen gibt, die sich für diese Zeitschriften interessieren. Es gibt immer wieder neue Bedürfnisse, die die Verleger bedienen müssen. Die jüngsten Erfolge von Verlegern beweisen, dass es nur der Phantasie, des Hinhorchens und -Hinschauens bedarf, um diese Bedürfnisse zu erkennen und zu bedienen. Nehmen wir die Kinderzeitschriften: Plötzlich ist das eine neue Gattung, die dazu beiträgt, nachhaltigere Informationen zu vermitteln, pädagogische Aufgaben zu erfüllen, was vielleicht in einer arbeitsteiligen Familie so nicht mehr auf den Punkt geleistet wird.

promedia: Wird es so bleiben, dass eine erste Idee zu einem solchen Produkt zunächst in Print statt Online entsteht? Hat Print nach wie vor das Primat?

Fürstner: Das ist überwiegend der Fall, weil das Neue seine Zeit braucht, um sich in den Köpfen der Mediennutzer festzusetzen. Eine Zeitschrift, die für mich als Mitglied der Zielgruppe gedacht ist, nehme ich mir für eine ruhige Stunde vor. Das kann man nicht in fünf Minuten konsumieren wie beim Fernsehen. Dafür braucht man Zeit und Konzentration. Dort gilt der Satz: Print wirkt nachhaltig.

promedia: Ist das nicht ein Widerspruch zur Aussage der Verlage, dass das digitale Geschäft weiterhin der wichtigste Umsatz- und Wachstumstreiber ist?

Fürstner: Das ist kein Widerspruch. Wir haben neben dem klassischen Printgeschäft eine weitere Möglichkeit, unsere Inhalte zu transportieren, neue Leser und Leserschichten zu erreichen und damit die Printmarke stärker zu machen, um Online als Anreizsystem für die Rückkoppelung zu Print zu nutzen. Darüber hinaus ist Online der Kanal, über den schnell zu verbrauchende Informationen transportiert werden. Diese neuen Verbreitungswege eröffnen uns auch zusätzliche Einnahmemöglichkeiten und ergänzen so die klassischen Print-Geschäftsmodelle. Und natürlich ist das ein Bereich, der weiter wächst und auch Print Impulse gibt.

promedia: Es gibt gegenwärtig das Problem, dass eine Anzeige online deutlich weniger Wert ist als jene auf gedrucktem Papier. Deshalb fordert Dr. Mathias Döpfner eine einheitliche Währung. Sehen Sie diese Notwendigkeit auch?

Fürstner: Die Leistung der einzelnen Medienkanäle ist in der Bündelung und Markenpflege so viel stärker und größer geworden, dass diese Forderung bei aller Notwendigkeit zur Differenzierung im Detail zu einer gerechteren Leistungsbewertung führen kann. Im Moment befinden wir uns in einer Situation, in der die starken kommunikativen Leistungen der Verlage einzeln bewertet werden. Damit wird man dem Gesamtwert nicht gerecht.

promedia: Trotz aller Bemühungen und Experimente ist es weiterhin schwierig, digitale Inhalte zu refinanzieren. Dennoch geht die Mehrheit der Verlage davon aus, dass sich publizistische Inhalte auch in der digitalen Welt refinanzieren lassen. Worauf basiert dieser Optimismus?

Fürstner: Wir stehen noch am Anfang des größten Veränderungsprozesses in der Medienwelt. Die Verlage müssen diesen Wandel managen, in dem die klassischen gedruckten Medien ihre Daseinberechtigung und Zukunft genauso behalten wir der digitale Vertriebskanal. Die Faszination der digitalen Welt hat die junge Generation stark erfasst, weil sie Information in einer nie dagewesenen Geschwindigkeit ermöglicht. Die Verlage müssen diese Entwicklung zu einem Bestandteil ihrer Unternehmensphilosophie machen. Es gibt viele Entwicklungen: Nahezu wöchentlich starten Verlage unterschiedliche kostenpflichtige Angebote nach dem Prinzip „Trial and Error“. Aber es zeigen sich zunehmend Erfolge, zum Beispiel bei Applikationen für Smartphones oder den Tablet-PCs. Die Verleger wurden oft kritisiert, sie hätten die digitale Welt verschlafen. Diese Kritik ist wohlfeil, denn nichts ist so schwer, wie diese dramatischen Veränderungen, bei denen in der gesamten Medienwelt kein Stein auf dem anderen bleibt, so zu gestalten, dass am Ende für die Erstellung kostbarer Inhalte eine Refinanzierung sichtbar wird. Weder die TV-Sender, noch die Film- oder Musikwirtschaft verfügen heute über tragfähige digitale Geschäftsmodelle. Seit einem halben Jahr sind die Tablet-PCs auf dem Markt, Apps für Smartphones gibt es seit gut zwei Jahren. Es wird nur mit einem Mehrwert für den Nutzer und einer hohen Qualität und dem gemeinsamen Grundverständnis aller Medien gelingen, kostenpflichtige digitale Angebote zu etablieren. Dafür benötigt man aber auch Zeit.

promedia: Es gibt Beispiele aus anderen Branchen, wo sich dieser Umstellungsprozess ebenfalls nicht einfach vollzieht. Unternehmen bleiben auf der Strecke...

Fürstner: Das kann bei Verlagen auch passieren. Wir können nicht ausschließen, dass mancher Verleger diese Veränderungsdynamik für sich nicht sieht oder akzeptiert und am Ende auf der Strecke bleibt. Deswegen ist der VDZ ein Treiber in dieser Entwicklung, um den Verlagen, insbesondere mittleren und kleineren, deutlich zu machen, dass dieser Wandel ein Überlebensprozess ist, der sie zukunftsfähig macht. Allein davon auszugehen, dass die Grundgesamtheit des klassischen Printgeschäfts auch in Zukunft ausreicht, reicht aus heutiger Sicht nicht zum Überleben.

promedia: Hinter den Verlagen liegen zwei wirtschaftlich komplizierte Jahre. Wir groß ist momentan der Spielraum, um weiter in das Printgeschäft investieren zu können und trotzdem den Onlinebereich nicht zu vernachlässigen?

Fürstner: Die Verlage betreiben ihre klassischen Printgeschäfte exzellent und nutzen ihre Wachstumspotentiale. Dort bestehen keine Defizite. Nicht alle, aber viele Verlage sind darüber hinaus in der Entwicklung neuer Vertriebskanäle und neuer digitaler Inhalte sehr engagiert. Ich sehe, dass die allermeisten Verlage, ohne ihr klassisches Geschäft zu vernachlässigen, mit großem Engagement versuchen, die Zukunft zu gewinnen und die Entwicklung nicht an sich vorbeigehen zu lassen. Wir waren gerade mit 25 Verlegern in New York und San Francisco haben uns mit den dort entwickelten Onlinephilosophien vertraut gemacht. Die Amerikaner sind im Mobilegeschäft den klassischen europäischen Verlegern mindestens zwei Jahre voraus. Wir wollen den deutschen Verlegern einen Eindruck davon geben, in welche Richtung die Entwicklung geht, sich ganz früh für neue Chancen als Verleger und Unternehmer öffnen.

promedia: Aber Mithalten kostet Geld. Die Anzeigenumsätze und Vertriebserlöse sind zurückgegangen, die Renditen sind geringer als früher. Die Konkurrenten für Mobile kommen unter anderem, wie die Telkos, nicht aus dem Content-Bereich und haben möglicherweise etwas mehr Spielgeld zur Verfügung.

Fürstner: Die Situation ist keineswegs so dramatisch, wie Ihre Frage vermuten lässt. Die Verlage haben uns in den Umfragen signalisiert, dass sie von stabilen Zahlen ausgehen können. Sie haben die Krise genutzt, um ihre Kosten zu senken. Das waren zum Teil sehr schmerzhafte Prozesse, weil sie dazu geführt haben, die Verlage schlanker zu machen, Personal zu entlassen und Redaktionen zusammenzulegen. Das ist ein unternehmerischer Prozess, von dem ich den Eindruck habe, dass er noch immer sehr erfolgreich vollzogen wird. Diese Anpassungsprozesse waren notwendig, um uns zukunftsfähig zu machen.

promedia: Die Verleger gehen davon aus, dass bis 2013 noch fast 75 Prozent aller Umsätze aus dem klassischen Vertriebs- und Anzeigengeschäft erwirtschaftet werden. Eine hohe Summe. Kann man davon ausgehen, dass der Anteil aus dem digitalen Bereich künftig schneller wachsen wird?

Fürstner: Die Vermarktung redaktioneller Inhalte über die digitalen Wege wird sicher etwas langsamer erfolgen, als es sich mancher Verlag noch vor zwei oder drei Jahren gedacht hat. Das hängt auch von der Verbreitung der Tablets oder anderer Electronic Devices ab. Dabei sind wir in Deutschland noch relativ weit zurück. Es gibt aber Unternehmen, die versuchen, das zu ändern. Das korreliert unmittelbar mit der Akzeptanz von mobile zu nutzenden Inhalten. Damit kann sich auch das Tempo erhöhen. Das haben wir aber nicht allein in der Hand. Wir müssen dafür sorgen, dass die technischen Voraussetzungen gegeben sind. Manche Verlage sind froh, dass das Tempo noch nicht so hoch ist, weil sie vielleicht noch nicht so weit sind und erwarten, dass die Prozesse harmonischer verlaufen. Das ist unter unternehmerischen Gesichtspunkten vernünftig, denn ein zu hohes Tempo führt häufig dazu, dass man situativ entscheiden muss und man dann der Gefahr unterliegt, Risiken und Chancen nicht genügend abgewogen zu haben. Alles in allem bleibe ich sicher, dass die Zeitschriften im Wandel der Medien eine große Zukunft haben werden.

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