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Zeitschriftenverleger ärgern sich über Werbeblocker und Werbeverbote

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dpa-Sommerinterview mit VDZ-Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer

© contrastwerkstatt - Fotolia

Die Fußball-Europameisterschaft ist für die Zeitschriftenbranche eine gute Sache. Schon weil Fans mitreden wollen und dafür gerne auch mal ein Magazin kaufen. Neue Titel gab es im ersten Halbjahr bereits etliche. Und das werde im zweiten so weitergehen, sagt Stephan Scherzer, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. Deutschland habe die breiteste und bunteste Presselandschaft weltweit. Und die zunehmende Spezialisierung lasse die Zahl der Zeitschriften weiter wachsen. Scherzer sieht aber nicht alles rosarot. Da gibt es einiges, das ihn ärgert.

Wie stark haben die deutschen Zeitungsverlage von der Fußball-Europameisterschaft profitiert?

Großereignisse bieten Möglichkeiten, mit starken Marken Sonderpublikationen auf den Markt zu bringen und auch für Live-Berichterstattung auf den Webseiten. Diese Sonderhefte sind oft ausgesprochen hochwertig gemacht, das ist sehr guter Paid Content, weil das Interesse hoch ist. Die Copypreise liegen bei sieben, acht, neun Euro.

Wie war das erste Halbjahr 2016 sonst aus Sicht der Verlage? 

Die Verlage stehen bei Print, Web und Mobile mitten auf dem Spielfeld und schießen mit journalistischen Inhalten Tore, das heißt, sie bringen neue Produkte auf den Markt. Wir haben alleine im ersten Quartal 30 neue Printeinführungen gehabt, für die erste Jahreshälfte gehen wir von rund 60 aus. Die Hälfte der Verlage wird dieses Jahr zwei bis vier neue Titel auf den Markt bringen, und sie planen auch neue digitale Produkte. Wir sehen sowohl bei der Fach- als auch bei der  Publikumspresse, dass die Spezialisierung weiter zunimmt. Die deutschen Verlage bilden die Vielfalt des Internets nicht nur online, sondern auch am Kiosk ab. Das ist weltweit einmalig, wir haben die breiteste und bunteste Presselandschaft weltweit und übrigens auch die unabhängigste. Es gibt in Deutschland keine Lügenpresse!

Gibt es deutlich mehr neue Magazine als Titel vom Markt verschwinden?

2015 gab es rund 150 neue Magazine und rund 80, die eingestellt wurden. Das wird sich so auch dieses Jahr fortsetzen. Die Verlage sind auch bereit, schneller einen Misserfolg einzugestehen. Da hätte man früher vielleicht noch ein Jahr probiert.

Wie entwickelt sich im Digitalbereich das Paid-Content-Geschäft?

Es ist nach wie vor eine große Herausforderung. Bei den Tageszeitungen gibt es schon rund 120 Titel, die Paid Content anbieten. Wir sehen, dass viele Zeitschriften nachziehen. "Spiegel Plus" ist gerade angekündigt worden, die E-Paperzahlen gehen stetig hoch. Anders als in den USA, haben wir in Deutschland einen sehr starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der im Web presseähnliche Angebote betreibt. Das macht es den News-getriebenen, journalistischen Angeboten schwerer, das Programm mit Gateways zu versehen. Aber bei Paid Content gibt es 2016 definitiv mehr Bewegung als 2015.

Wie sehen Sie die Chancen für Paid Content langfristig?

Ich sage deutlich, Content ist wichtiger als Technik. Content ist der Treibstoff der digitalen Revolution! Meine Sorge ist, dass alle Kreativen, die Inhalte produzieren, ob das Musik ist oder Film oder Journalismus, dass alle Inhalte im Digitalen zu schlecht bezahlt werden. Das liegt auch am unzureichenden Schutz der Urheber und Verlegerrechte. Und die Werbeerlöse in den USA landen zu über 70 Prozent bei Google und Facebook. Meine Prognose: In zwei, drei Jahren teilen sich Google, Facebook, Amazon und ein paar andere globale Plattformen die Erlöse zu 80 Prozent weltweit. Und Adblocker erschweren die Monetarisierung journalistischer Angebote erheblich.

Wie schätzen Sie die Entwicklung bei den Werbeblockern aktuell ein? Die Nutzung nimmt doch eher zu.

Die Verlage machen es genau richtig. Auf der einen Seite gehen sie den juristischen Weg. Es liegt auch auf der Hand, das zu tun. Was die Adblockeranbieter machen, das ist Wegelagerei unter dem Deckmäntelchen des Verbraucherschutzes. Das Whitelisting, bei dem man sich vom Geblocktwerden freikauft, ist ein Teil des Geschäftsmodells. Das ist erpresserisch.

Würden Sie sich eine gesetzliche Regelung wünschen?

Als Ultima Ratio ist eine gesetzliche Regelung wünschenswert. Die Verlage sind aber nicht nur die, die vor Gericht ziehen, sondern auch die, die ihren Lesern erklären, was da passiert. Und wir haben bei großen Verlagen damit gute Erfahrungen gemacht, die Zahl der Adblockernutzer geht dann runter. Wir müssen den Usern erklären, warum guter Journalismus einen Wert hat und Werbung dazugehört. Und das Dritte ist eine Kreativdiskussion in den Agenturen, darüber, wie man bessere, modernere Werbung macht, das finde ich genauso wichtig.

Wie sieht der VDZ das Thema Mobile?

Mobile verändert die Welt. Das ist das kraftvollste und vielfältigste Massenmedium, das die Menschheit je erlebt hat. Jeder hat es immer dabei. Das heißt, die Zugriffe nehmen zu. Wir sehen, dass der Web Traffic aller Anbieter weltweit runtergeht und der Mobile Traffic hoch. Prognose: In drei Jahren laufen rund 80 Prozent aller Inhalte auf kleinen Smartphone-Screens.

Und wie sind die deutschen Verlage in der Hinsicht positioniert?

Die mobilen Reichweiten bei allen großen Marken sind sehr schnell gewachsen, die Reichweiten sind sehr, sehr gut. Die Verlage haben alle mobilefreundliche Webseiten. Es gibt großartige Apps, es gibt neue Produkte. Es gibt auch spezifische Formate mittlerweile, bei denen man durchaus lange Texte macht, das ist kein Snippets-Journalismus. Aber die Vermarktung ist eine gewaltige Herausforderung. Klassische Web-Werbung ist auf einem kleinen Screen einfach schwieriger. Der einzige, der das bisher global schafft, ist Facebook. Ich glaube, wir werden in den nächsten zwölf Monaten viele neue Werbeformate sehen in mobilen Kanälen, auch neue Videoformate. Aber es ist eine bittere Situation, dass die, die jetzt schon mehr als die Hälfte der Werbeerlöse bekommen, sich mit dem Whitelisting freigekauft haben - wie Google, Ebay, Web.de oder GMX. Da merkt man eben dann schon, dass der Wettbewerb um Werbegelder knallhart geführt wird.

Sie fordern seit langem die reduzierte Mehrwertsteuer auch für digitale Produkte, wie ist da der Stand der Dinge?

Es ist so, dass bei diesem Thema alle EU-Staaten zustimmen müssen. Der Trend geht in die richtige Richtung. Die Aufforderung geht an Herrn Schäuble, das Finanzministerium und auch die Kanzlerin, das Thema weiterhin aktiv zu unterstützen. Und da sind wir auf einem ordentlichen Weg,  endlich diese lange, fällige Angleichung hinzubekommen. Und das wäre auch ein starkes Signal: Im Digitalen haben journalistische Verlagsprodukte den gleichen Stellenwert wie im Print. Es wird höchste Zeit. Ich denke, dass wir da bis zum Jahresende einen soliden Vorschlag haben.

Was sind beim Thema Werbefreiheit die Entwicklungen, die Ihnen am meisten Sorgen machen?

Ich finde es grundsätzlich problematisch, mit welchen gruseligen Vorschlägen in Berlin und Brüssel immer wieder Werbebeschränkungen durchdacht werden. Dahinter steckt ein trauriges Verbraucherbild. Man muss die armen Menschen vor sich selber schützen, weil sie Werbung nicht durchschauen. Und das in einer Zeit, in der man sich über alles hervorragend informieren kann. Unter dem Aspekt finde ich es grotesk, wie oft neue Ideen zu Werbeverboten präsentiert werden. Werbung trägt dazu bei, dass unabhängige Presse sich finanzieren kann. Wenn ich in einem Land leben will, in dem es unabhängige Presse und Vielfalt gibt, sind Werbeverbote mehr als nur schädlich. Im Übrigen: Werbeverbote helfen dem, der sowieso schon Marktführer ist. Davon profitieren die, die die stärksten Marken haben. Es wird immer so getan, Vielfalt und Freiheit und Wettbewerb seien so wichtig. Momentan sehen wir in ganz vielen Märkten - etwa bei Suchmaschinen, Social Media, Mediaagenturen - das absolute Gegenteil, die Entstehung von Monopolen und Oligopolen. Und das ist eine Entwicklung, die macht mir größte Sorgen. Wir sind zum Glück eine Branche, in der die Verleger Wettbewerb im Sinne der Kunden kennen. Am Kiosk gönnt man sich nicht den Regalzentimeter - was gut ist. 

Ist das Thema Pressefreiheit nicht mehr so aktuell wie am Anfang des Jahres, als auch in Deutschland viele Journalisten angefeindet und zum Teil angegriffen wurden?

Ich sehe keine Entspannung, wenn ich mir die Kommentare und die Intensität von Hass-Stürmen ansehe. Ich weiß, dass viele Redaktionen nicht mehr die Kommentarfunktionen zu allen Artikeln freischalten, weil man nicht alles parallel monitoren kann, um zumindest die gesetzwidrigen Kommentare von Menschenverachtung, Hetze und schlimmsten Drohungen zu erkennen. Die Hemmungen sind gefallen. Manche haben vielleicht gelernt, dass es nicht so klug ist, Journalisten offen körperlich anzugreifen. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass die massiven Drohungen und Einschüchterungsversuche im Internet oder in den sozialen Medien abgenommen haben. Deswegen muss man das immer wieder thematisieren. Und ich finde es auch gut, dass in den Redaktionen und Verlagen darüber diskutiert wird, wie gehen wir damit um? Sonst führen Angst und Sorgen zur Schere im Kopf. 

Das Interview führte Andreas Heimann, dpa, Veröffentlichung vom 30.06.2016.

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