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Zeitschriftenverleger sehen in Digitalisierung große Chancen

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Scherzer im heutigen dapd Interview: Gute Bezahlkultur in Deutschland

Stephan Scherzer im dapd Interview

Berlin (dapd). In zehn Jahren gibt es digitale Lesegeräte, die leicht wie Papier sind, sich falten lassen und wenig kosten. So jedenfalls lautet die optimistische Vorhersage von Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). "Die Digitalisierung bietet enorme Chancen für Qualitätsinhalte, die sich gut vermarkten lassen." Über die Chancen der Branche sprach er mit dapd-Korrespondent Rolf Westermann.

dapd: Herr Scherzer, der Umbruch in der Medienbranche ist in vollem Gange. Digitale Medien sind im Kommen, Papierauflagen gehen zurück. Wie informieren Sie sich täglich?

Scherzer: Ich lese gerne und viel. Morgens mache ich zuhause meist auf dem iPad einen Kurzcheck von nationalen und internationalen Magazinen wie Economist. Ich lese im Büro mehrere Tageszeitungen, meist auf Papier. Auf Reisen nutze ich eher die Apps. Online bin ich permanent unterwegs, zum Beispiel bei Mediendiensten und ein-, zweimal pro Tag scanne ich meinen Twitter-Stream. Am wenigsten nutze ich das Fernsehen, und wenn, meist zeitversetzt. Ich schaue mir nicht jeden Tag pünktlich um 20.00 Uhr die Tagesschau an, sondern mal um halb neun oder erst um zehn. Das Prinzip von Einschaltzeiten passt nicht zu meinem Tagesablauf.

dapd: Finden Sie das typisch für einen Durchschnittsbürger?

Scherzer: Medienkompetenz zu vermitteln fängt im Elternhaus an. Es gibt einen Zusammenhang zwischen einer bewussten offenen Heranführung an Medien, der Lust am Lesen und der Nutzung und Beherrschung vieler Kanäle. Wenn sich Menschen für Themen wirklich interessieren, dann nutzen sie viele Kanäle. Das ist ja das begeisternde an der neuen Medienwelt. Ich war sechs Wochen in Nepal beim Bergsteigen, da habe ich keinen Stapel Bücher mitgeschleppt, sondern einen Kindle dabei gehabt. Das Interesse muss aber im Elternhaus, Kindergärten und Schulen geweckt werden, und die Medien müssen es immer wieder schaffen, relevant zu sein.

dapd: Es gibt ja den phänomenalen Überraschungserfolg der Stadtflucht-Zeitschrift "Landlust" mit einer Auflage von inzwischen mehr als einer Million Exemplaren pro Ausgabe. Welche Trends sehen Sie?

Scherzer: "Landlust" spielt das aus, was Zeitschriften kennzeichnet: Information, Unterhaltung, Relevanz, ein Anfang und ein Ende, uneingeschränkte Aufmerksamkeit auf das Medium. Die Blattmacher sind auf der Suche: Ich bin überzeugt, dass es Segmente gibt, die noch nicht entdeckt sind. Man kann Konzepte auch digital starten und dann auf Print übertragen.

dapd: Wie weit ist die Digitalisierung in ihrer Branche vorangeschritten?

Scherzer: Die Verlage haben die Reichweite mit digitalen Angeboten deutlich gesteigert; noch nie wurden so viele Zeitschrifteninhalte gelesen wie heute. Das Geschäftsmodell ist die große Herausforderung. Wir haben in Deutschland beim klassischen Zeitschriftengeschäft mit Abos, Kioskgeschäft und Werbeeinnahmen das ausgewogenste Bezahlmodell, das man haben kann. Das ist online anders; fast alle Umsätze hängen noch am Werbemarkt. Die "New York Times" zeigt, dass mit klugen Bezahlmodellen viel bewegt werden kann. Immerhin: Der Umsatz der Verlage bleibt in diesem Jahr etwa stabil. Aber bei den gedruckten Titeln wird der Verkauf nicht hochgehen, sondern leicht rückläufig sein. Die Wachstumsimpulse der Branche kommen aus dem Digitalen.

dapd: Wie sehen Sie die Chancen für den Aufbau nachträglicher Bezahlschranken im Internet….

Scherzer: … Mir gefällt der Begriff "Bezahlschranke" nicht. Sie reden ja im Supermarkt auch nicht von Bezahlschranken für einen Liter Milch. Wir kaufen ein Produkt, weil es relevant ist und wir es brauchen. Die Menschen sind es gewohnt, für Zeitschriften jeden Monat knapp 300 Millionen Euro auszugeben. In Deutschland gibt es - anders als etwa in den USA - eine ausgeprägte Bezahlkultur für Inhalte. Es ist wichtig, dass sich alle Verleger in die Augen schauen und sagen: Wir müssen den Wert von Inhalten deutlich machen und unsere wertvollen Inhalte online nicht länger ausschließlich kostenlos zur Verfügung stellen. Die einzelnen Modelle können dann unterschiedlich aussehen.

dapd: Bis vor kurzem hieß es, die Kostenlos-Mentalität im Internet lasse sich nicht mehr zurückdrehen.

Scherzer: Der Zug ist noch nicht abgefahren. Bei Print hatten die Verlage ein paar hundert Jahre Zeit, Geschäftsmodelle zu entwickeln. Der Digitalbereich ist noch jung. In einigen Segmenten funktionieren Online-Bezahlmodelle, bezahlte Apps oder auch kombinierte Print-Online-Konzepte schon sehr gut, gerade da, wo business-relevante Informationen angeboten werden. Man muss Herz und Verstand der Zielgruppe treffen. Wir sind am Anfang einer technologischen Entwicklung. Die heutigen Tablet-Computer werden uns in zehn Jahren klobig, sperrig und teuer vorkommen. Wir werden leichte und günstige Geräte bekommen, die sich drehen und falten lassen und wie Papier funktionieren. Die Digitalisierung bietet enorme Chancen für Qualitätsinhalte, die sich gut vermarkten lassen. Alle Verlage investieren in den digitalen Umbau.

dapd: Was bedeutet das für den Journalismus?

Scherzer: Unternehmertum heißt zu investieren und auch Risiken einzugehen. Wir brauchen vor allem mehr Technologiekompetenz und eine Start up-Mentalität. Journalisten müssen lernen: Die Techniker sind nicht meine Feinde, sondern sie helfen mir, meine Inhalte zu verbreiten. Die journalistischen Inhalte bleiben Herz und Kern der Marken.

dapd: Sind die künftigen Journalisten auch gleichzeitig Techniker?

Scherzer: Schreibende Techniker und programmierende Journalisten - ich bin mir sicher, das wird nichts. Man muss in seinem Bereich top und auf der Höhe der Zeit sein, aber das gegenseitige Verständnis und die eng vernetzte Zusammenarbeit von Journalisten, Technikern und Business Developern ist sehr wichtig.

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