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Abschied von einem Freund

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Der Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Frank Schirrmacher, starb mit 54 Jahren. Deutschland hat einen großen Denker verloren. Ein Nachruf von Hubert Burda, veröffentlicht auf FOCUS Online.

Frank Schirrmacher

Donnerstag vergangene Woche: Frank Schirrmacher und seine Frau Rebecca Casati hatte ich zu einem Abendessen mit Michael Bloomberg, dem früheren Bürgermeister von New York, ins „Hotel Adlon“ in Berlin eingeladen. Gemeinsam mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und einer Gruppe von Stiftern, Philanthropen und Intellektuellen. Tage zuvor hatte er mir gemailt: "Lieber Hubert, wir freuen uns sehr auf diesen offenbar hochinteressanten Abend! Dein Frank."

Dies bleibt nun die letzte Botschaft eines Freundes, eines ungewöhnlich regen Geistes, eines genialen Steuermanns von Debatten, die in den letzten zwei Jahrzehnten unser Land bewegten und voranbrachten.

Als er mit nur 34 Jahren am 1. Januar 1994 Mitherausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" wurde, haben wir deutschen Verleger alle gedacht, ob das denn wohl gutgehen kann. Sein Vorgänger im Amt und zu einem gewissen Grad auch sein Lehrmeister, der legendäre Historiker der NS-Zeit und feinsinnige Kunstfreund Joachim Fest, konnte seine Skepsis kaum verbergen.

Aus dem schneidigen, jugendlichen Literaturchef der FAZ (seit 1989), der das Realistische eines Ernst Jünger gern gegen die damalige Gesinnungsliteratur ausspielte, wurde schnell ein eigensinniger, von Selbstzweifeln wenig geplagter Kulturchef, der schließlich mit der von ihm orchestrierten Ignatz-Bubis-Martin-Walser-Debatte 1998/1999 in aller Munde war. Selbst die internationale Presse zeigte sich von ihm beeindruckt.

Im Juli 2000 trafen wir uns zu einem langen Spaziergang auf der Insel Rügen. Es hatte sich eine auffallende Wendung in ihm vollzogen: Aus dem an den Vorgängen im literarischen und politischen Leben so leidenschaftlich teilnehmenden Feuilletonjournalisten hatte sich ein von den Revolutionen der Naturwissenschaften und Technologien am Ende des vergangenen Jahrhunderts faszinierter, stupend belesener Zeitdiagnostiker entwickelt. Am 27. Juni 2000 hatte die FAZ auf den sechs Seiten ihres Feuilletons die abstrakte Buchstabenserie des menschlichen Genoms abgedruckt. Der Biochemiker Craig Venter hatte sie als erster Forscher entschlüsselt. Der Titel: "Craig Venters letzte Worte". Auf unserem Gang über die romantische Insel sprachen wir viel über Craig Venter, John Brockman, den New Yorker Agenten, der die wichtigsten Wissenschaftsautoren der englischsprachigen Welt mit großem Erfolg in internationalen Buchverlagen unterbrachte, und natürlich über das Internet. Unser Zweiergespräch riss seitdem nie mehr ab. Immer ging es um die Zukunft des Journalismus und der Verlage in Zeiten von Google. "Lousy pennies", lausige Pfennige, lasse der Medien-Gigant uns nur übrig, waren wir uns einig. In unseren Zukunftsoptimismus mischte sich gelegentlicher Ärger.

Mit Michael Bloomberg hätte sich Schirrmacher natürlich über Google und die Zukunftsvisionen dieser Firma, wie sie das Leben der Menschen umgestalten wollen, blendend unterhalten. Beide wären sich einig darin geworden, dass auf europäischer und transatlantischer Ebene Regeln etabliert werden müssen, um weltweite Monopole einzuschränken.

Frank Schirrmacher war ein Intellektueller ganz neuen Typs, ein unideologischer, der weder eine rechte noch eine linke Weltanschauung predigen wollte. Ihn interessierten vor allem die Vorgänge, die sozialen Umbrüche, die geistigen und technologischen Revolutionen. Sie ohne Vorurteil erst einmal als solche verstehen zu lernen, danach war sein Sinn. Das Spektrum seiner Interessen war größer als das seiner Lehrmeister und zuweilen Zuchtmeister, wie Siegfried Unseld, Joachim Fest oder Marcel Reich-Ranicki. Er erkannte als erster der verantwortlichen Kulturjournalisten, dass "Kultur" und "Wissenschaft" in einem Zusammenhang gesehen werden müssen, weil die angewandten Naturwissenschaften unsere Lebenswelt global verändern. Information, Kommunikation, unser Denken und Fühlen wandeln sich rapide. Schirrmachers Bedenken: Werden wir Menschen uns noch wiedererkennen in einer IT-gesteuerten Umwelt? Bleiben wir das, wofür wir uns halten – freie, verantwortungsfähige Personen?

Ich verneige mich vor einem großen Journalisten. Einer der wachsten Köpfe unserer Zeit wird fortan der stille Partner meines Denkens sein.

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