'Am Kiosk' mit Andreas A. Berse: Dieses Heft macht die Welle
Nein, ich habe keine Jacht, kein Bootshaus, noch nicht einmal einen Steg, an dem man eine Optimisten-Jolle vertäuen könnte. Bootsführerschein: Fehlanzeige! Aber immerhin bin ich im Sternzeichen Fische geboren. Und meine Lieblingstiere sind der Pottwal, weil der meiner Physiognomie sehr nahekommt, und der Hammerhai, weil Mutter Natur mit ihm gezeigt hat, wie die Nase eines Formel-1-Autos aussehen sollte.
Ein Fotograf, den ich sehr schätze und der meine Arbeit furchtlos seit mehreren Jahrzehnten begleitet, machte mich auf die Zeitschrift „mare“ aufmerksam. Bei der nächsten ICE-Fahrt griff ich im Bahnhofskiosk zu. Titelthema: Schweiz. Soso: Ein Heft, das sich „mare“ nennt, macht einen Extrateil über die Schweiz. Das ist entweder unverschämt mutig oder grandios vermessen oder schlicht genial oder von allem etwas. Vier Zugstunden später wusste ich, dass ich wieder einmal eine Zeitschrift abonnieren muss.
Eine, die permanent fragt: Darf es etwas Meer sein? Oder ein verwunschener See oder ein vor sich hin plätscherndes Bächlein? Und sollten die journalistischen Wellen bei der Lektüre einmal zu extrem hochschlagen: Ich habe ja einen Jugendschwimmer, vielleicht einen etwas eingerosteten. Was erwarten wir als gespannte Leser vor allem von einer Zeitschrift? Ganz einfach: Dass sie uns überrascht, verdammt noch mal! Genau deshalb bin ich bei „mare“ süchtig geworden.
Es sind zum einen die einfallsreich gewählten Themen. Es ist aber auch der Mut, ein Team aus Reportern und Fotografen in irgendeinen Winkel der Welt zu schicken, in der Hoffnung, dass sie nach Wochen vielleicht mit einer unglaublichen Geschichte zurückkehren könnten. Vielleicht! Die Überraschung versteckt sich aber auch sehr häufig im Layout, das nicht selten ebenso erfrischend wie fundamental mit unseren Lesegewohnheiten bricht, einen geradezu aufweckt wie ein Faustschlag oder, besser, wie ein unüberhörbares Nebelhorn. Wenn es zur Story passt, kann die Gestaltung aber auch leise vor sich hin gurgeln wie ein vorwitziges Rinnsal. Nur eines kann „mare“ nicht: langweilen. Hoffentlich lernt das diese Redaktion nie.
Auf der Brücke steht seit 1997 Nikolaus Gelpke, und dieser Kapitän weiß eines ganz genau: Er kann sein Boot nur mit einer guten Mannschaft auf seinem abenteuerlichen Kurs halten oder ihn auch mal radikal wechseln, wenn es angebracht ist.
Aber „mare“ kann auch weise sein, uns nachdenklich machen, was wir gerade mit den zwei Dritteln unserer Erde, die Wasser bedeckt, tun, ohne da jetzt gleich schulmeisterlich den Zeigefinger des Besserwissers zu erheben. Der Leser lernt viel über unsere Umwelt und hat vielleicht noch Freude am Erkenntnisgewinn. Aber während er noch neugierig und erwartungsfroh blättert, kommt irgendwann das schroffe Ende. Der Ozean mag unendlich wirken, aber selbst „mare“ navigiert seinen Leser leider unvermeidbar auf die letzte Seite seiner aktuellen Ausgabe. Ich sag dies alles aus Überzeugung, gerade weil mein Verlag ja auch rund um das Thema Meer nach Lesern fischt. Und: Ich darf das auch!
Und nach der Ebbe kommt die Flut. Die spült garantiert ein neues Heft von „mare“ in den Briefkasten.
erschienen in PRINT&more 4/2020