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Medienpolitik, Pressefreiheit, Mehrwertsteuer, KI, Verfügungsrecht, Vergütungsrecht

„Die Mehrzahl der regulativen Bedrohungen freier Presse gedeihen im Brüsseler Biotop“

MVFP in den Medien Medienpolitik Print & Digital

Prof. Dr. Christoph Fiedler und Helmut Verdenhalven fordern im Interview auf medienpolitik.net ein Ende der wirtschaftlichen und regulatorischen Belastungen durch Bundesregierung und EU-Kommission.

www.medienpolitik.net (Screenshot vom 14.01.2025)

Interview mit Prof. Dr. Christoph Fiedler, Geschäftsführer Medien- und Europapolitik, MVFP Medienverband der freien Presse e. V und Helmut Verdenhalven, Leiter Medienpolitik und Mitglied der Geschäftsführung, BDZV Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger, erschienen auf  medienpolitk.net am 13. Januar 2025.

Der Medienverband der freien Presse e. V (MVFP) und der Bundesverband Digitalpublisher (BDZV) wollen in diesem Jahr medienpolitisch einen Stopp der Belastungen für die digitale und gedruckte Presse erreichen. So bedrohten Werbeverbote, Einschränkungen beim Telefonmarketing, die Entwaldungsverordnung, die zunehmenden Berichtswesen und ein Verbot interessenbasierter Displaywerbung die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine freie, private Presse. Zudem fordern beide Verbände eine Abschaffung der Mehrwertsteuer für die periodische Presse und einen Schutz redaktioneller Inhalte der Verlage gegenüber ungenehmigter und unerkannter Verwertung durch künstliche Intelligenz. Auch von Brüssel wird ein Ende der regulatorischen und wirtschaftlichen Belastungen der Pressehäuser angemahnt. Die EU-Kommission, so Prof. Dr. Christoph Fiedler und Helmut Verdenhalven, könnten und sollten „mit ihrem Initiativrecht für die Gesetzgebung und dem für die Regulierung notwendigen Beamtenapparat mehr für die freie Presse tun.“

medienpolitik.net | Mit welchen medienpolitischen Themen werden sich Ihre Verbände 2025 vor allem befassen?

Belastungsstopp für digitale und gedruckte Presse
Die Presse ist nur dann frei, wenn sie sich im gesellschaftlichen Raum nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen im publizistischen und ökonomischen Wettbewerb frei entfalten und finanzieren kann. Bereits heute sind Herstellung, Vertrieb und Vermarktung gedruckter wie digitaler Zeitungen und Zeitschriften hoch reguliert und belasten die Tätigkeit und Entwicklungsfähigkeit der Verlage in kaum noch erträglichem Maße.

Maßnahmen wie

  • Werbeverbote,
  • weitere Einschränkungen des ausregulierten Telefonmarketings,
  • Entwaldungsverordnung,
  • weiter wachsende Berichtspflichten oder
  • Pläne für Verbote interessenbasierter Displaywerbung

bedrohen Voraussetzungen freier, privater Presse. Deshalb bedarf es eines Belastungsstopps für die Herstellung, den Vertrieb und die Vermarktung gedruckter wie digitaler Presseprodukte entlang der Wertschöpfungs­kette, von der Beschaffung der Informationen und anderer Ressourcen bis hin zur Übergabe an Leserinnen und Leser im Einzelverkauf, im Briefkasten oder auf digitalen Endgeräten. Dieser Belastungsstopp muss ungeachtet der thematischen Einordnung einschlägiger Gesetze als Verbraucher-, Umwelt-, Werbe- oder Datenschutzrecht etc. gelten.

Sachgerechte Presseförderung durch Senkung der Mehrwertsteuer
Eine diskriminierungsfreie und ordnungspolitisch unangreifbare Förderung digitaler wie gedruckter Zeitungen und Zeitschriften ist dringend erforderlich. Dafür muss die Mehrwertsteuer für die periodische Presse unter Beibehaltung des Vorsteuerabzugs auf null reduziert werden. Diese Maßnahme ist ordnungspolitisch unbedenklich, inhaltsneutral, leicht umsetzbar, unbürokratisch und wird sowohl digitalen als auch gedruckten Publikationen kurzfristig helfen.

Schutz redaktioneller Inhalte der Verlage gegenüber ungenehmigter und unerkannter Verwertung durch künstliche Intelligenz
Redaktionelle Inhalte sind der Kern der Wertschöpfung von Zeitungsverlagen, Fachverlagen, Publikumsverlagen und konfessioneller Presse. Sie müssen einen robusten und praktisch durchsetzbaren Schutz im Urheberrecht vor nicht genehmigter und unerkannter Nutzung durch künstliche Intelligenz erhalten. Allein die Verlage müssen entscheiden können, ob Systeme künstlicher Intelligenz Inhalte der Verlage verwerten dürfen oder nicht – und wie sie dafür angemessen vergütet werden. Dafür sind ein robustes Verfügungsrecht, ein Vergütungsrecht und eine Pflicht künstlicher Intelligenz zur Auskunft und Rechenschaft über die Verwendung aller Verlagsinhalte zu Trainings- und sonstigen Zwecken unverzichtbar.

Digitale Pressevielfalt und freie Meinungsbildung im Internet der Plattformen
Wollen wir Pressevielfalt und freie Meinungsbildung erhalten, muss die Verbreitung digitaler Zeitungs- und Zeitschrifteninhalte im Internet der Technologieplattformen durch klare Gesetze publizistisch und ökonomisch fair und diskriminierungsfrei organisiert werden. Je weiter die Dominanz internationaler Technologieplattformen in der Pressedistribution wächst, desto gefährlicher wird die Willkür dieser Torwächter in der Verbreitung von Inhalten für Freiheit und Demokratie. In der heutigen Realität entscheiden US-amerikanische und chinesische Technologiekomplexe nach ihrem Gutdünken über die Sichtbarkeit von Publikationen, über deren Finanzierbarkeit und damit am Ende über die Meinungsbildung im digitalen Raum. Zu den notwendigen Bedingungen zählt auch die Auffindbarkeit digitaler Presse bei digitalen Gatekeepern sowie ein Verbot der Bevorzugung von KI-Medien und KI-Mediensubstituten gegenüber digitalen Zeitungs- und Zeitschriftenangeboten.

Fairer Wettbewerb: Eingrenzung öffentlich-rechtlicher Medien
Die für die freie Presse zunehmend gefährliche Wettbewerbsverzerrung öffentlich-rechtlicher Medien muss effektiv so begrenzt werden, dass die kostenlosen öffentlich-rechtlichen Angebote auf den digitalen Kanälen nicht mehr direkt mit den Presseangeboten der Verlage im Wettbewerb stehen. Die milliardenschwere Gebührenfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien ist eine massive Wettbewerbsverzerrung in den digitalen Märkten und damit eine unmittelbare Gefährdung der Zukunftsperspektiven der marktwirtschaftlich finanzierten freien Presse. Wenn die staatlich privilegierten öffentlich-rechtlichen Angebote regulatorisch nicht in die Schranken gewiesen werden, ist die Vielfalt der privatfinanzierten redaktionellen Medien in Deutschland aufs Spiel gesetzt. Die Veränderungen bei der Begrenzung presseähnlicher Angebote im aktuellen Medienänderungsstaatsvertrag sind ein erster Schritt in die richtige Richtung, dessen praktische Effektivität sich aber erst noch erweisen muss.

Angemessenes Datenschutzrecht und digitale Presse
Nach geltendem Datenschutzrecht sind wichtige Funktionen digitalen Publizierens von individuellen Einwilligungen der Nutzer abhängig, die über sog. Cookie-Banner abgefragt und eingeholt werden müssen. Das gilt vielfach für die Gestaltung der redaktionellen Angebote, für die Reichweitenmessung, für den Integritätsschutz, für die Werbefinanzierung und für die Gewinnung von Abonnenten. In dieser Situation müssen Presseangebote wenigstens das Recht behalten, die notwendigen Einwilligungen der Leserinnen und Leser abzufragen und zu verwalten. Sie müssen zudem die Aushändigung der redaktionellen Produkte von der Einwilligung in legitime Datenverarbeitung abhängig machen dürfen. Zudem müssen die Einwilligungen der Leserinnen und Leser gegen Unterdrückung durch Drittsoftware und Torwächter geschützt werden.

Kooperationen der Presseverlage
Die vielfältige und mittelständisch geprägte Welt der Verlage muss im Wettbewerbsrecht mehr Freiheiten erhalten, um sich angesichts übermächtiger internationaler Wettbewerber über kooperative Prozesse oder in kollaborativen Strukturen gemeinschaftlich zu verteidigen. Ohne diese Synergien und Effizienzen wird es angesichts schwindender ökonomischer Ressourcen schwer, das hohe Niveau der redaktionellen Produkte zu erhalten. Sollte diese Freiheit im nationalen Recht nicht gesichert werden können, muss sich die Politik dafür einsetzen, dass das EU-Recht entsprechend angepasst wird.


medienpolitik.net | Die EU hat eine neue Kommission gewählt. Welche Themen, die für Ihre Verbände relevant sind, sollten auf der Agenda der EU-Kommission in der nächsten Legislaturperiode stehen?
In der Europäischen Union schreitet die Kompetenzübertragung von den Mitgliedsstaaten auf Brüssel voran. Wo früher EU-Richtlinien relevante Gestaltungsspielräume für die Mitgliedsstaaten ließen, bleiben heute neben europäischen Verordnungen nur noch nationale Restkompetenzen. So ist es etwa in dem für digitale Gesellschaften zentralen Datenschutzrecht. Sogar eine Kompetenz zur Regulierung aller Medien unter Einschluss der Presse konnte sich Brüssel mit dem sogenannten Medienfreiheitsgesetz bei nur geringem Widerstand im Rat sichern. Das hat Konsequenzen für die Themen der Presseverlage in der ohnehin engen Verflechtung zwischen nationalem und europäischem Politiksystem:

  • Zum einen gibt es immer weniger Themen, die nicht zumindest auch in Brüssel behandelt werden müssen. Und immer mehr Themen, die weitgehend abschließend nur in Brüssel entschieden werden.
  • Zum anderen muss die deutsche Politik überall dort, wo sie selbst keine Regulierungskompetenz mehr hat, sondern nur noch eine Stimme im Rat, in Brüssel sehr viel mehr Lobbying für ihre Position betreiben. Wer Bürokratieabbau oder Unternehmerfreundlichkeit in Berlin verspricht, muss in Brüssel liefern, wenn allein dort die Entscheidungen fallen.

In erster Linie ist aber die EU-Kommission gefragt, die mit ihrem Initiativrecht für die Gesetzgebung und dem für die Regulierung notwendigen Beamtenapparat ganz alleine mehr für die freie Presse tun kann und dringend sollte.

Brüsseler Belastungsstopp für digitale und gedruckte Presse
Vielleicht sogar die Mehrzahl der regulativen Bedrohungen publizistisch und ökonomisch freier Presse gedeihen im Brüsseler Biotop. Bloße Beispiele sind Werbebeschränkungen, die Entwaldungsverordnung, weiter wachsende Berichtspflichten oder Pläne, interessenbasierte Displaywerbung zu untersagen. Der von der neuen Kommission bereits angekündigte Digital Fairness Act könnte ebenfalls weitere Belastungen vorschlagen. Die publizistische Freiheit der Verlage wurde durch das Medienfreiheitsgesetz geschmälert. Die Beeinträchtigung dürfte in dieser ersten Fassung womöglich noch nicht sehr intensiv sein, ist in der Sache aber ganz erheblich und gefährlich: Die Einführung behördlicher Aufsicht über die Presse, die Beeinträchtigung der publizistischen Verlegerfreiheit und die Festschreibung der Befugnis der Plattformen zur Sperrung rechtmäßiger Presseartikel sind der falsche Weg. Die neue Kommission darf diesen Weg nicht fortschreiben, sondern sollte sich stattdessen auf die europäische Pressefreiheit besinnen.

Schutz redaktioneller Verlagsinhalte gegenüber ungenehmigter KI-Verwertung
Der Schutz der redaktionellen Verlagsprodukte gegenüber KI durch Verfügungs- und Vergütungsrecht sowie Quellentransparenz ist der Sache nach im Wesentlichen EU-Urheberrecht. Hier besteht dringendster Handlungsbedarf für die EU-Kommission, da geltendes Recht diesen Schutz nicht gewährt und auch das KI-Gesetz keine hinreichende Abhilfe schafft.

Digitale Pressevielfalt und freie Meinungsbildung im Internet der Plattformen
Allein die EU-Kommission wird darüber entscheiden, ob der Digital Markets Act Diskriminierungsfreiheit und Fairness im Plattforminternet verbessert oder aber zahnlos bleibt und womöglich sogar den Torwächtern regulativen Segen erteilt. Das Gesetz enthält sehr gute Vorgaben wie etwa ein Selbstbegünstigungsverbot und Fairnessgebote. Ob diese Regeln aber effektiv umgesetzt werden, ist weiter offen. Dabei zeigt sich als erhebliches Defizit, dass – anders als im allgemeinen Wettbewerbsrecht – die EU-Kommission ein Anwendungsmonopol hat und damit den nationalen Behörden auch bei Untätigkeit der Kommission die Hände gebunden sind.

Eingrenzung öffentlich-rechtlicher Medien
Das EU-Beihilferecht erlaubt die staatliche Finanzierung öffentlich-rechtlichen Rundfunks, nicht aber öffentlich-rechtlicher Presse, weder offline noch im Internet. Deshalb ist die EU-Kommission als EU-Wettbewerbsbehörde aufgerufen, auf die von Presseverlegerverbänden aus verschiedenen Mitgliedstaaten eingereichten Beschwerden und Eingaben zu reagieren, indem sie die zunehmend gefährliche Wettbewerbsverzerrung öffentlich-rechtlicher Medien effektiv begrenzt.

Angemessenes Datenschutzrecht und digitale Presse
Insbesondere, aber womöglich nicht nur im Vorhaben eines Digital Fairness Act werden weitere Beschränkungen der Datenverarbeitung diskutiert werden. Die EU-Kommission muss erkennen, dass ein angemessenes Datenschutzrecht den publizistischen und ökonomischen Funktionsbedingungen digitaler Presse Rechnung tragen muss, wenn wir eine freie private Presse erhalten wollen.

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