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dpa, Interview, Stephan Scherzer, E-Privacy

E-Privacy-Verordnung schnürt Verlagen und europäischer Internetwirtschaft Luft ab

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Andreas Heimann, dpa, im Interview mit Stephan Scherzer | erschienen bei dpa am 3. Januar 2018: Print bleibt der Kern des Geschäfts; VDZ rechnet mit noch härterer Konkurrenz durch Google und Co.

© iStock/GeorgeRudy

Die deutsche Zeitschriftenbranche fürchtet verschlechternde Voraussetzungen für fairen Wettbewerb. Aus Sicht des Verlegerverbands sind Regulierungsvorhaben aus Brüssel bedrohlicher als die technischen Veränderungen.

Für 2018 geht der VDZ von einem stabilen Gesamtumsatz aus. „Print bleibt der Kern des Geschäfts, Digital wird weiter wachsen“, prognostiziert VDZ-Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer. Das Problem seien weniger technische und unternehmerische Veränderungen. „Zu schaffen machen den Verlagen vielmehr fehlgeleitete Regulierungsvorhaben wie die E-Privacy-Verordnung“, sagte Scherzer der Deutschen Presse-Agentur. Wenn die Verordnung, die Themen wie Datenschutz und Online-Tracking neu regelt, wie vorgesehen umgesetzt werde, verabschiede die EU „nicht nur die Verlags- sondern die gesamte Digitalbranche in Europa von der Digitalisierung.“

Was erwarten Sie für 2018 mit Blick auf die Zeitschriftenbranche?
Bei der Digitalisierung ist erst die Aufwärmphase vor dem Spiel vorbei. Manche Branchen schnappen schon nach Luft. Die Zeitschriftenverlage gehen seit Mitte der 90er mit der Digitalisierung um und verfügen über eine starke Basis, sie publizieren über 6000 Marken, beschäftigen über 9000 Journalisten, die Leser bezahlen jeden Monat über 240 Millionen Euro für ihre Lieblingszeitschrift. Für 2018 erwarten wir Stabilität beim Gesamtumsatz, Print bleibt der Kern des Geschäfts, Digital wird weiter wachsen.

Was bremst die Branche am meisten aus?
Die Herausforderungen, faire Wettbewerbsbedingungen für die Verlage in Deutschland zu erhalten, nehmen massiv zu. Das Problem sind weniger die technischen und unternehmerischen Veränderungen. Zu schaffen machen den Verlagen vielmehr fehlgeleitete Regulierungsvorhaben wie die E-Privacy-Verordnung oder die Verschärfung des Telefonmarketings, die für die unabhängige Presse Gift sind. Wenn die E-Privacy-Verordnung wie vorgesehen umgesetzt wird, verabschiedet die EU nicht nur die Verlags- sondern die gesamte Digitalbranche in Europa von der Digitalisierung.

Die Verlage haben immer mehr Marktanteile bei den Werbeumsätzen an Google und Co. verloren, wie sehen Sie die Entwicklung für 2018?
Google und Facebook werden auch 2018 den globalen Digital-Werbemarkt dominieren, dabei noch wachsen - erstmals herausgefordert von Amazon, das den Online-Werbemarkt als strategische Erlösquelle sieht. Außerhalb von China und Russland wird dieses Dreigespann mehr als 80 Prozent der globalen Online-Spendings auf sich vereinen. Die E-Privacy-Verordnung kann dabei nicht nur den Verlagen, sondern der gesamten europäischen Internetwirtschaft die Luft abschnüren.

Was bedeutet das für Preisentwicklung - werden Zeitschriften immer teurer, weil die Werbeerlöse zurückgehen?
Der Leser entscheidet. Paid Content, ob Print oder Digital, ist heute die zentrale Erlösquelle der Verlage. Zeitschriften werden laut einer aktuellen Allensbach-Umfrage nicht zu den teuren Produkten gezählt. Deutlich mehr als die Hälfte der Deutschen empfindet das Preisniveau als angemessen. Bei ePaper-Abonnements von Zeitschriften und Zeitungen sind sogar 84 Prozent dieser Meinung. Dagegen bewerten laut Allensbach 70 Prozent den Rundfunkbeitrag, der mittlerweile 42 Prozent des Mediabudgets pro Haushalt ausmacht, als zu hoch. Also mehr als vier von zehn Euro des Mediabudgets sind schon „beschlagnahmt“ und stehen nicht zur freien Verfügung. 

Gegen Hatespeech im Netz vorzugehen, klingt doch vernünftig und im Interesse der Medien - was stört die Zeitschriftenverlage am Netzwerkdurchsetzungsgesetz?
Der Stammtisch ist durch soziale Medien für alle sichtbar geworden und zeigt auch seine hässliche Seite. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist die falsche Antwort. Der Staat lässt seine Hoheit auf Rechtsdurchsetzung ruhen, um etwa mit Facebook den größten Kommentarraum der Erde gleichzeitig auch zum größten Zensor zu machen. Facebook wird, um das Risiko von Millionenbußen abzuwenden, schon bei bloßem Strafbarkeitsverdacht löschen. „Im Zweifel gegen die Meinungsfreiheit“ wird die Folge sein.

Das Netz und digitale Technologien werden oft als Bedrohung gesehen - wo sind aus Ihrer Sicht die Chancen für die Verlage, von smarten Lautsprechern bis Künstliche Intelligenz?
Wer sich verschließt, verliert. Gut orchestrierte Zusammenarbeit von Mensch und Maschine wird der Erfolgsschlüssel sein - nicht nur in unserer Branche. Bei Börsen-, Wetter- und Sportberichterstattung wird schon damit gearbeitet. Chat-Bots wie Alexa werden vielleicht noch mehr als Mobile die Welt der Kommunikation verändern. Die meisten Redaktionen und Verlage experimentieren bereits. «Verantwortlich im Sinne des Presserechts», also Erkennbarkeit, wer der verantwortliche Absender ist, wird in Zukunft ein entscheidendes Merkmal im kommunikativen Wettbewerb sein.

Mesale Tolu ist nicht mehr im Gefängnis, aber Deniz Yücel noch - wie sehen Sie die Entwicklung in der Türkei und weltweit mit Blick auf die Pressefreiheit?
Die Zahl der Regime, die bereit sind, die Presse- und Meinungsfreiheit massiv einzuschränken, wächst. Der VDZ hat mit der Verleihung der „Goldenen Victoria für Pressefreiheit“ an Can Dündar 2016 ein starkes Signal gesetzt. Wir setzen uns für die Freilassung aller inhaftierten Journalisten ein, unter denen Deniz Yücel hier sicher der bekannteste ist. Er sitzt grundlos im Gefängnis, es gibt keine Anklage. Hier wird ein Exempel statuiert, um weniger Mutige davon abzuhalten, sich zu äußern. //

Interview: Andreas Heimann, dpa

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