VDZ & BDZV: Der Schutz von Medienangeboten gegenüber Plattformen ist legitim
Der überarbeitete Diskussionsentwurf für einen Medienstaatsvertrag zur Änderung Rundfunkstaatsvertrags (RStV) schlägt Änderungen zu verschiedenen Themen vor.
I. Medienplattformen, Benutzeroberflächen und Medienintermediäre
1. Wir begrüßen es sehr, dass nunmehr auch digitale Presseangebote, die als Telemedien i. S. d. § 54 Abs. 2 S. 1 RStV seit langem dem Rundfunkstaatsvertrag unterfallen, mit Schutzrechten gegenüber Medienplattformen und Benutzeroberflächen ausgestattet werden sollen.
Der Rundfunkstaatsvertrag enthält bislang allein Regelungen der Belegung von infrastrukturgebundenen Rundfunkplattformen. Plattformen im offenen Internet werden erst oberhalb der Schwelle der Marktbeherrschung erfasst. Wie in Promedia 11/2018 (S. 12 f.) zum ersten Diskussionsentwurf eines Medienstaatsvertrages näher dargelegt, ermöglicht das Internet einerseits eine nie dagewesene Vielfalt von Medienangeboten und Medienplattformen, während es andererseits die Entstehung und Verfestigung dominanter Plattformen begünstigt, die im Falle der Verbreitung von Medien eine spezifische Meinungsmacht erlangen und die Meinungsvielfalt gefährden können. In dieser Situation ist es ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers, Medienangebote gegenüber mächtigen Plattformen insbesondere durch Diskriminierungs- und Behinderungsverbote sowie Transparenzvorgaben in Schutz zu nehmen.
§ 2 Abs. 2 Nr. 13 RStV in der Fassung des überarbeiteten Entwurfs eines Medienstaatsvertrags vom Juli 2019 – im Folgenden RStV-E – erstreckt die Definition der Medienplattform erstmals auch auf solche Dienste, die „Telemedien nach § 54 Abs. 2 Satz 1“ zu einem Gesamtangebot zusammenfassen. Gleiches gilt für die Definition der Benutzeroberfläche in § 2 Abs. 2 Nr. 13a RStV-E und die einschlägigen Diskriminierungs- und Behinderungsverbote in §§ 52c ff. RStV-E. Damit werden alle „Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, in denen insbesondere vollständig oder teilweise Inhalte periodischer Druckerzeugnisse in Text und Bild wiedergegeben werden“ (§ 54 Abs. 2 S. 1 RStV), in den Schutzbereich aufgenommen.
Die im ersten Diskussionsentwurf noch vorgesehene Beschränkung des Rechts auf diskriminierungsfreien Zugang zu Medienplattformen und Benutzeroberflächen auf Rundfunk und rundfunkähnliche Telemedien ist damit erfreulicherweise beseitigt. Der Entwurf folgt so im Grundsatz dem für den Erhalt freier Meinungsbildung und Medienvielfalt unabdingbaren Prinzip, nach dem ein gesetzlicher Schutz gegen Plattformen im offenen Internet allen redaktionellen Medien gewährt werden muss, unabhängig davon, ob sie in Bewegtbild, Ton, Text oder Bildern berichten, informieren oder unterhalten (näher dazu Promedia 11/2018, S. 12 f.).
Indem die Regelung der Medienplattformen und Benutzeroberflächen nun auch die digitale Presse schützt, vollzieht sie eine Angleichung an den Schutz gegenüber Medienintermediären, der bereits seit dem ersten Diskussionsentwurf alle „journalistisch-redaktionelle[n] Angebote Dritter“ und so die Gesamtheit digitaler Medien umfasst.
Es spricht vieles dafür, dass die Macht marktbeherrschender Plattformen darüber, welche redaktionellen Medien eine Chance auf Zugang zu ihrem Publikum erhalten, im Zuge einer fortschreitenden Digitalisierung noch weiter zunehmen wird. In diesem Fall werden wir Presse- und Medienfreiheit und -vielfalt überhaupt nur bewahren können, wenn alle redaktionellen Medien unter Einschluss der digitalen Presse gegenüber solchen Plattformen durch Diskriminierungs- und Behinderungsverbote geschützt werden.
Mit der Einbeziehung der digitalen Presse in den Schutz gegenüber Medienplattformen und gegenüber Intermediären ist der überarbeitete Diskussionsentwurf nach unserer Kenntnis europaweit der erste Vorschlag, der einen solchen Grundsatz etabliert. Dafür ist es allerdings notwendig, dass auch für Intermediäre (wenigstens) ein Diskriminierungsverbot eingeführt wird.
2. Die für verschiedene Konstellationen vorgeschlagenen Bevorzugungen bestimmter Medientypen bei der Auffindbarkeit auf Benutzeroberflächen sind auch in modifizierter Form überwiegend letztlich nicht zu rechtfertigen.
3. Nach wie vor erscheint es angemessen, die zum Schutz der Medienvielfalt unverzichtbare Regulierung von Medienplattformen, Benutzeroberflächen und Intermediären durch quantitative Schwellenwerte auf solche Plattformen zu begrenzen, die eine gewisse Meinungsmacht erlangen.
4. § 52 a Abs. 3 RStV-E, der Medien gegen die eigenmächtige Vereinnahmung und Vermarktung durch Medienplattformen schützt, sollte auf Telemedien nach § 54 Abs. 2 Satz 1 erstreckt werden. Das ist ohne Änderung der Norm im Übrigen einfach möglich und geboten, da es keinen Grund gibt, digitalen Presseangeboten diesen Schutz zu versagen.
5. Die Einführung des Diskriminierungsverbotes für Intermediäre (§ 53 e RStV-E) ist unverzichtbar, da die Gefahren marktbeherrschender Plattformen für einen diskriminierungsfreien Öffentlichkeitszugang redaktioneller Medien unabhängig davon entstehen, ob solche mächtigen Plattformen die Voraussetzungen einer Medienplattform i. e. S., einer Benutzeroberfläche oder eines Intermediärs erfüllen.
6. Die Regulierung von Medienplattformen, Benutzeroberflächen und Intermediären darf die elektronische Programmpresse nicht beeinträchtigen. Gleiches gilt für Tendenzplattformen. Beides ist im Gesetz noch klarzustellen.
II. Rundfunkbegriff und Lizenzerfordernis
Die Ausdehnung des Erfordernisses einer staatlichen Lizenz auf Hörfunk im offenen Internet (§ 20b Abs. 1 RStV-E) ist als eine unangemessene Beschränkung der Medienfreiheit in zugangsoffenen Netzten abzulehnen. Schon das Lizenzerfordernis für lineare audiovisuelle Angebote (Fernsehen) im offenen Internet ist unverständlich, letztlich nicht zu rechtfertigen und sollte aufgehoben werden.
Demgegenüber ist das prinzipielle Festhalten an einem im Wesentlichen formalen Begriff des Rundfunks im Sinne eines linearen audiovisuellen Angebots zu begrüßen.
III. Werberegulierung
Der Vorschlag für eine sehr weitgehende Lockerung der quantitativen Werberegulierung in § 45 Abs. 1 RfStV-E sollte gestrichen werden. Er würde erweiterte Liberalisierungsmöglichkeiten für Fernsehwerbezeiten aus der letzten Novelle der AVMD-Richtlinie nutzen. Demgegenüber erscheint es allein sachgerecht, an der geltenden Begrenzung der Fernsehwerbung auf 12 Minuten pro Stunde festzuhalten
Nach § 45 Abs. 1 RStV-E dürften 20 Prozent der Sendezeit zwischen 6.00 Uhr und 18.00 Uhr und 20 Prozent der Sendezeit zwischen 18.00 Uhr und 24.00 Uhr für Fernsehwerbespots und Teleshopping-Spots verwendet werden. Das würde bedeuten, dass in der sehr viel teureren sog. Prime-Time nicht mehr nur 12 Minuten pro Stunde, sondern sehr viel mehr Werbung gezeigt werden könnte, solange nur insgesamt die zwischen 18.00 und 24.00 Uhr zulässige Zeit von 72 Minuten Werbung nicht überschritten wird.
Eine Änderung des § 45 Abs. 1 RStV in dieser Form würde die Finanzierungsmöglichkeiten der Printmedien unangemessen gefährden. Zeitschriften- und Zeitungsverlage sind gerade im Print-Journalismus auf das Anzeigengeschäft zur Refinanzierung von Journalismus angewiesen. Die faire Verteilung von Werbegelder ist für die Verlage zunehmend eine Frage der Existenz. Die vorgesehene Lockerung der Werberegulierung stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Refinanzierungsmöglichkeiten der Presseverlage dar und gefährdet dadurch die Medien- und Pressevielfalt in Deutschland.
Die Begrenzung der TV-Werbung hat eine positive Verteilungsfunktion des Werbeetats. Auch das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass eine Begrenzung der Werbung im Fernsehen mit dem Schutz der Werbefinanzierung der Presse gerechtfertigt sein kann (BVerfGE 73,118,180). Das gilt insbesondere in Zeiten, in denen die Werbevolumen für redaktionelle Medien sinken und die für den Meinungspluralismus unverzichtbare Presse im Zuge der Digitalisierung vor besonderen ökonomischen Herausforderungen steht.
IV. Adblocker
Auch außerhalb von Medienplattformen (dazu oben I. 4.) bedarf es eines gesetzlichen Schutzes der Integrität digitaler Presseprodukte, die aus redaktionellen Inhalten und Werbung bestehen. Diese unverzichtbare Integrität wird durch die Verbreitung von Adblockern zunehmend beschädigt. Adblocker verhindern die Anzeige bzw. das Einspielen von vom Anbieter gewünschter bzw. eingebundener Werbung, welche eine grundlegende und unverzichtbare Refinanzierungsquelle darstellt. Der Entwurf enthält bislang keinen entsprechenden Vorschlag. In der Vergangenheit konnte der Gesetzgeber darauf verweisen, dass noch nicht höchstrichterlich geklärt sei, ob das geltende Recht und insbesondere das allgemeine Wettbewerbsrecht den nötigen Schutz gewährleiste. Seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes, nach der die Generalklauseln des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb einen solchen Schutz nicht vorsehen, ist die Schutzlücke offenbar und besteht dringender Handlungsbedarf.
V. Sonstiges
Die selektive staatliche Finanzierung bestimmter Medien bzw. Medienschaffender gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 3 RStV-E erscheint nicht zielführend, sondern im Gegenteil als staatlicher Eingriff in den freien publizistischen und ökonomischen Wettbewerb.
Die Ausdehnung der Werberegulierung des § 58 Abs. 3 RfStV auf sogenannte Audio-Medien im Zuge der Zusammenfassung dieser Abrufmedien mit den audiovisuellen Mediendiensten auf Abruf in der Kategorie rundfunkähnlicher Telemedien erscheint nicht angemessen.