Die besten Seiten des Lebens
Es ist Liebe. Sanft streicheln meine Finger darüber. Es kribbelt ein wenig in den Fingerkuppen. Ich bekomme Gänsehaut. Und dann liebe ich auch diesen Duft. Er ist einzigartig. Es ist Print. Ich liebe Print.
Meiner Großmutter las ich bei jedem Besuch die Todesanzeigen aus ihrer geliebten Lokalzeitung vor. Sie schnitt sich die schönsten aus. Wir diskutierten, welches Kleid sie für das letzte Foto tragen könnte, und entschieden uns für ein Zitat. Sie starb mit 92 Jahren in ihrem Bett. Auf dem Nachttisch lag die ausgewählte Anzeige. Print ist beständig. Über den Tod hinaus.
Meine Mutter liebte die »Madame«. Sie war für die damalige Zeit eine sehr mondäne Frau in ihrem kleinen österreichischen Dorf. Sie trug, was »Madame« ihr Monat für Monat vorschlug. Highlight waren für mich auch die Friseurbesuche mit ihr: jeden Freitag waschen, föhnen, legen. Die wunderbare bunte Welt der Yellows wurde hier von den Damen unter den Trockenhauben heiß diskutiert. Die Geschichten der Royals lebten für zwei Stunden auf. Die Queen sollte das mit dem Reiten lassen, Charles ist ein Schuft, Diana zu dünn … Es wurde geblättert, gelacht, getratscht. Herrlich. Print regt die Fantasie an, lässt die Gedanken verreisen.
Ich selbst war so fasziniert von der großartigen Wirkung des Gedruckten, dass ich neben meinem Lehramtsstudium bei den »Vorarlberger Nachrichten« anheuerte. Als Lokalredakteurin ist man wer. Ob beim Schachverein oder dem Bürgermeister. Für Fräulein Tschanett (mein Mädchenname) waren die Türen immer offen. Print ist eine Auszeichnung. Die Artikel wurden weitergereicht, eingerahmt, abgeheftet. Keine Fake News, man vertraute uns.
Ich liebe Print. Print ist groß. Print ist großartig. Zwei Milliarden Zeitungen und Zeitschriften werden jedes Jahr in Deutschland gekauft. Mehr als Zahnpasta (1,8 Milliarden) und Waschmittel (1,6 Milliarden). 233 Millionen Exemplare kommen jährlich von Bauer Media.
Natürlich lässt sich der Trend der sinkenden Auflagen nicht umdrehen. Aber es gibt auch Ausnahmen. Herausragende Produkte wie z. B. DIE ZEIT machen es vor. Und auch »tina« ist eine Erfolgsgeschichte. Wir gewinnen im Segment der Frauenzeitschriften stetig Marktanteile. Wenn Printprodukte Love Brands bleiben, dann begeistern sie auch weiterhin. Sie sind konkurrenzlos. Print selektiert für den Konsumenten. Der Content ist perfekt kuratiert. Kein ewiges Suchen wie im digitalen Dschungel. Kein Stress. Tiefe Konzentration und Fokussierung auf Wort und Bild. Print bleibt. Ich kann immer wieder tief eintauchen. Vor- und zurückblättern. Ohne dass sich etwas verändert. Das schafft Vertrauen und ist die beste Kundenbindung. Jedes Magazin hat seine eigene Blattmelodie, ist dadurch unverwechselbar.
Print heilt. Es ist digitales Detox. Ein Schutzschirm, unter den wir uns immer flüchten können. Wissenschaftler der Yale University fanden heraus: Wer viel liest, wird älter. Lesen senkt dauerhaft den Blutdruck. Ein Expertenteam wertete im Rahmen einer Langzeitstudie die Daten von mehr als 3.600 Teilnehmern über einen Zeitraum von zwölf Jahren aus. Das Ergebnis: Die Lebenserwartung der Testpersonen, die wöchentlich bis zu dreieinhalb Stunden ein Buch lasen, war 17 Prozent höher.
Wir müssen wieder mehr in Print versinken. Lesen fördert die Kreativität und die Vorstellungskraft, ist ein Wissensmotor, regt unsere Gehirnzellen an, verbessert unser Sprachverständnis, entspannt und löst Ängste. Das wussten auch schon Gelehrte in nicht digitalen Vorzeiten. Der französische Philosoph und Schriftsteller Voltaire erkannte längst: Lesen stärkt die Seele.
In ein Magazin gibt es einen Eingang und aus ihm einen Ausgang. Dazwischen finden wir unsere Räume, in denen wir uns gerne aufhalten. Man liebt die Farben, die Möbel, den Ausblick, die Inhalte. Das heimelige Gefühl. Ich liebe dieses Haus. Ich liebe Print.
Sabine Ingwersen ist seit 2011 Chefredakteurin Women bei der Bauer Media Group und verantwortet 14 Titel, darunter Klassiker wie die Frauenzeitschriften „tina“, „Bella“ und die Programmzeitschrift „auf einen Blick“.
