"Eingriff in die Pressefreiheit"
Bayernkurier | Hasskommentare im Netz beschäftigen fast alle Redaktionen. Wie geht es Ihnen, wenn Sie lesen, in welcher Art Nutzer dort zum Teil kommentieren?
Stephan Scherzer | An Stammtischen oder auch beim Kaffeekränzchen wurden schon immer Grenzen überschritten – man blieb dabei aber unter sich. Die sogenannten sozialen Medien geben jetzt eben nicht nur dem Positiven, Kreativen oder Humorvollen eine Plattform, sondern auch den abstoßenden Seiten der menschlichen Gedankenwelt. Die Decke der Zivilisation ist dünn – darunter brodelt es.
Welchen Umgang empfehlen Sie Redaktionen mit Hasskommentaren?
Das neue Gesetz soll nicht die Foren der Verlage betreffen. Eine Erstreckung wäre aber schnell zu machen, diese könnte eintreten, wenn Facebook breit löscht und damit Druck auf die bisher nach Presserecht geregelten journalistischen Medien entstehen wird. Das Ergebnis: ein Verlust von Pressefreiheit durch die Hintertür. Zudem: Die Erfahrungen zeigen, dass ein Teil der Absender gar nicht zu erreichen ist, man will ja nicht diskutieren. Da ist jede Liebesmüh vergebens. Ist der verbale Ausfall strafrechtlich relevant, sollte die Justiz eingeschaltet werden. Ist ein Funke von Verbindlichkeit erkennbar, lohnt sich vielleicht die Investition einer Antwort – abhängig vom Einzelfall.
Bundesjustizminister Heiko Maas geht gegen Hasskommentare im Internet vor. Strafbare Inhalte sollen sofort gelöscht werden – Bußgelder in Millionenhöhe drohen. Was halten Sie von diesem Gesetzentwurf?
Dass die "Diskussionen" in den Sozialen Netzen zum Teil massiv aus dem Ruder laufen, ist ein Problem. Aussagen, die justiziabel sind, müssten strafrechtlich verfolgt und die Personen zur Rechenschaft gezogen werden. Das passiert zu wenig. Die Meinungsfreiheit ist ein sehr hohes Gut – in Deutschland treffen Entscheidungen darüber die Gerichte. Der Weg, einen Monopolisten wie Facebook auch noch zum obersten Zensor zu machen, ist hoch problematisch. Bei Androhung hoher Bußgelder wird im Zweifel gelöscht werden und zwar unabhängig davon, ob eine Aussage noch durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist oder nicht. Strafverfolgung und Ahndung spielt im aktuellen Entwurf bisher keine Rolle. Facebook und Co. müssen ihrer Verantwortung gerecht werden.
Können private Unternehmen leisten, was der Gesetzentwurf vorsieht?
Sie kommen in eine ihnen nicht zustehende Rolle – selber über Meinungsfreiheit zu entscheiden. Eine juristische Bewertung von Meinungsäußerungen ist fast immer komplex und zeitaufwändig, nun soll mit kurzer Frist unter Androhung hoher Strafen entschieden werden – das kann leider nur mit der Rasenmähermethode funktionieren. Im Zweifel löschen, kein Risiko eingehen und nicht abwägen. Und dies würde auch die Presse betreffen, die ihre journalistischen Beiträge über die sozialen Medien veröffentlicht – ein nicht hinzunehmender Eingriff in die Pressefreiheit.
Wie sieht Ihr Lösungsansatz für das Problem der Hasskommentare im Netz aus?
Das Phänomen der Hasskommentare ist beunruhigend und zeigt deutlich, dass Facebook bisher kaum etwas unternimmt, das Thema nach geltendem Recht in den Griff zu bekommen. Mark Zuckerberg kann noch so schön formulierte Meinungsbeiträge formulieren – bei dem immensen Profit von Facebook, der enormen Marktmacht des Silicon Valley-Giganten und der gesellschaftspolitischen Relevanz reicht das nicht. Unternehmerische Verantwortung sieht anders aus. Dagegen hilft aber kein regulatorischer Aktionismus mit großen Kollateralschäden, sondern nur eine Balance aus der Anwendung des rechtlichen Instrumentariums und der unabhängigen Berichterstattung der freien Presse.
Was erwarten Sie von der Politik zu diesem Thema?
Ausgewogenheit – kein Blitzgesetz, mit dem die Presse- und Meinungsfreiheit in vermeintlich guter Absicht beschädigt wird. Grundsätzlich: Monopolplattformen wie Facebook müssten allen Inhalteanbietern diskriminierungsfreien Zugang ermöglichen. Compliance darf auf gar keinen Fall nur in eine Richtung gehen: wer löschen muss, muss auch sicherstellen, dass rechtmäßige Inhalte nicht gelöscht werden. Der Gesetzgeber darf nicht den Fehler machen, Facebook und Co. einen einseitigen Freifahrtschein auszustellen. Im Zweifel muss Herr Zuckerberg ordentlich in Juristen, Spezialisten für Äußerungsrecht, Mitarbeiter mit dem richtigen Knowhow und professionelles Community-Management investieren, um sich verantwortungsvoll zu verhalten. Wenig Steuern zu zahlen, keine vernünftig zugängliche Geschäftsstelle in Deutschland zu haben und sich selber als Opfer von Shitstorms zu sehen, ist schon sehr dünn! //