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PRINT&more, SusanneKoelbl, Interview, Pressefreiheit

„Publizieren – auch wenn das Ergebnis nicht gefällt“

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Susanne Koelbl im Interview in der PRINT&more über Pressefreiheit in Kriegs- und Krisenzeiten.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten berichtet Susanne Koelbl für den SPIEGEL von Brennpunkten in aller Welt. Im Interview teilt sie ihre Gedanken darüber, was Kriegsberichterstattung leisten kann, über die Bedeutung von Korrespondenten – und was das mit Pressefreiheit zu tun hat.

PRINT&more | Frau Koelbl, Sie berichten für den SPIEGEL aus Kriegs- und Krisengebieten. Was hat Sie dazu gebracht, diesen oft auch lebensgefährlichen Job zu machen?
Susanne Koelbl | Ich begann als Militärberichterstatterin, wurde dann Auslandsreporterin, weil mich bestimmte Fragen über die deutschen Einsätze in den Kriegen umtrieben: Warum sind wir hier? Was können wir hier erreichen? Ist das der richtige Ansatz? Welche Geschichte hinter lassen wir, wenn wir wieder gehen?

Krisen- und Kriegsberichterstattung kostet. Wieso sollten Verlage in eigene Korrespondenten vor Ort investieren?
Sogenannte Fallschirmjournalisten können die akute Lage einer Krise ohne Frage gut beschreiben. Was sie nicht können, ist die vielschichtige soziale Situation, die Geschichte und die geostrategischen Zusammenhänge einordnen. 
Für das Verständnis eines Konflikts ist das unerlässlich, auch um zu entscheiden, welche Art von Engagement dort angemessen ist. 

Die meisten Verlage können sich eigene Korrespondenten vor Ort nicht leisten. Gibt es aus Ihrer Sicht eine andere Möglichkeit als auf Agenturmeldungen oder Freie zurückzugreifen? Wie sähe eine solche Alternative aus?
In den meisten Krisenländern arbeiten die traditionellen politischen Stiftungen, die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU), 
Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD), Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP), Heinrich-Böll-Stiftung (Grüne) oder die Hanns-Seidel-Stiftung (CSU). Sie sind eine ausgezeichnete Quelle. Das sind Fachleute, die kennen die Region meist sehr gut. Die 
Stiftungen pflegen auch intensiv Kontakt in die Politik und in die Zivilgesellschaft. Sie kennen die wichtigsten Journalistinnen und Aktivisten im Land. Interviews mit den Stiftungsexperten selbst oder lokalen Aktivisten per Videocall zu führen oder von ihnen empfohlene lokale Journalisten zu beauftragen und deren Erkenntnisse in verfügbare Agenturmeldungen und Analysen einzubauen, ist zwar nur die zweitbeste Lösung. Aber immerhin ist das eine authentische Stimme aus dem Land.

Wie bereiten Sie sich bzw. Ihr Verlag Sie auf die Berichterstattung aus Krisengebieten vor? Wo sehen Sie hier Verbesserungspotenziale?
SPIEGEL-Journalistinnen und -Journalisten, die in die Ukraine fahren, haben zuvor ein Krisentraining für mögliche 
Extremsituationen, z. B. Verhalten bei Beschuss, Geiselnahme etc., ab solviert. Die meisten Kolleginnen und Kollegen sind erfahren, bauen sich vor Ort ein Netzwerk auf, lesen alles, was es zum Thema gibt, und sind ständig mit lokalen Medienschaffenden vor Ort in Kontakt. Ich finde es immer auch wichtig, die andere Seite des Konflikts zu kennen, in diesem Fall die Atmosphäre und die Stimmen in Russland. In Krisen werden wir medial ja in unterschiedlichen Wahrheitsblasen gehalten. Wie kann es sein, dass Menschen in der Ukraine und im Westen genauso wie in Russland felsenfest davon überzeugt sind, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen? Zu erklären, wie diese widersprüchlichen Wahrheiten zustande kommen, wer sie entstehen lässt und wem sie nutzen, ist die Aufgabe des unabhängigen Journalismus. Da hilft ganz sicher die Erfahrung langjähriger Korrespondenten, aber auch mehr Manpower vor Ort auf beiden Seiten. Wir brauchen eine offene Diskussion kundiger Stimmen, die das eigene Narrativ immer wieder hinterfragen, anzweifeln, einen neuen Gedanken zulassen.

Das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit – was der griechische Denker Aischylos vor 2.500 Jahren erkannte, gilt heute mehr denn je. Was sollten Journalisten und Journalistinnen in Krisengebieten tun, damit die Leser, Hörer oder Zuschauer die Berichterstattung richtig einordnen können?
Es gibt Menschen, die sich ein Leben lang mit Regionen beschäftigen und sie deshalb besser kennen als Reporter, die von Krise zu Krise eilen. Historiker zum Beispiel, Analystinnen, erfahrene Politiker, langjährige Korrespondentinnen – solche ausgewiesenen Expertinnen und Experten könnte man dann um einen einordnenden Beitrag bitten. Es ist doch prima, wenn diese Experten zu unterschiedlichen Ideen und Lösungsvorschlägen gelangen und so eine neue Debatte entsteht, die durch die Medien befördert wird.

Was würden Sie sich aufgrund Ihrer persönlichen Erfahrungen von der deutschen Medienlandschaft in Bezug auf Kriegs- und Krisenberichterstattung wünschen?
Mehr Leute vor Ort, mehr Stimmen aus dem Land, mehr Debatte darüber, was über die Krise zu denken ist und wie wir politisch damit umgehen sollten.

Was können Verlage für lokale Journalistinnen und Journalisten in Kriegs- und Krisengebieten tun?
Wir sind ja zutiefst angewiesen auf die Kenntnisse, Zugänge, Einschätzungen lokaler Medienschaffender in Krisengebieten. Sie zu bezahlen, und zwar möglichst langfristig, sie auch in die Autoren- und Mitarbeiterzeilen aufzunehmen, wäre, was wir tun sollten. Vor allem auch kluge Stimmen zu den Fragen, was den Krieg auslöste und wie man den Krieg beenden, die Krise lösen kann!

Was bedeutet Pressefreiheit Ihnen persönlich?
Publizieren zu können, was immer eine Recherche an Ergebnissen erbracht hat, wenn diese relevant sind. Auch 
dann, wenn das Ergebnis unbequem ist und nicht gefällt.

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