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medienpolitik.net: Zeitschriftenverleger fordern „Belastungsmoratorium“ der Politik, um Zukunft der Branche zu sichern

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„Diese Krise ist ein enormer Stresstest“ – VDZ-Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer im Interview mit Helmut Hartung, Chefredakteur von www.medienpolitik.net | erschienen am 21.07.2020 unter medienpolitik.net

www.medienpolitik.net (Screenshot vom 21.07.2020)

Um eine wirtschaftlich gesicherte Zukunft der Zeitschriftenbranche für die nächsten Jahre zu gewährleisten, mahnt der VDZ ein „Belastungsmoratorium“ an. Damit sollen weitere Belastungen für das digitale oder klassische Verlagsgeschäft verhindert werden. Dazu zählt der Verlegerverband die E-Privacy-Verordnung, die sowohl die digitale Werbung der Verlagswebsites als auch die Werbung digitaler Abonnenten massiv bedroht. Auch ein kurzfristig geplantes, nationales Datenschutzgesetz dürfe keinesfalls die digitalen Verlagsangebote beeinträchtigen und der Vorschlag für ein gesetzliches Verbot längerer Abolaufzeiten müsse vom Tisch, so Stephan Scherzer. „Diese Krise ist ein enormer Stresstest für alle Systeme. Sie wird unsere vielfältige Zeitschriftenlandschaft deutlich zum Schlechteren verändern, wenn die Politik die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht fair gestaltet. Die Instrumente und gesetzgeberischen Mittel dafür sind vorhanden“, erklärt der Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger. Die Corona-Pandemie hat die wirtschaftliche Situation der Verlage massiv verschärft. Die Werbeeinnahmen sind im April, Mai – je nach Sektor – zwischen 20 und bis in der Spitze über 80 Prozent eingebrochen.

medienpolitik.net: Herr Scherzer: Der Bundestag hat beschlossen, Zeitungs- und Zeitschriftenverlage in den kommenden Jahren mit 220 Millionen Euro zu fördern. Das Geld ist für die digitale Transformation des Verlagswesens, zur Förderung des Absatzes und der Verbreitung von Abonnementzeitungen, -zeitschriften und Anzeigenblättern gedacht. Wie dringend benötigen die Zeitschriftenverlage eine staatliche Förderung?
Scherzer: Wir begrüßen es, dass Bundestag und Bundesregierung Zeitschriften und Zeitungen bei den enormen Herausforderungen auf dem Weg in eine Zukunft unterstützen wollen, in der die Leser nach ihrer Präferenz mit allen digitalen und gedruckten Formaten bedient werden müssen. Eine nicht-selektive Förderung der periodischen Presse, die aus Zeitschriften und Zeitungen besteht, ist dringend erforderlich, um eine vielfältige und unabhängige Presselandschaft in der digitalen Transformation zu erhalten. Das Förderkonzept der Bundesregierung vom Juni dieses Jahres schließt die Zeitschriften ein und kehrt so zur Einheit der Presse zurück. Auch der Bundestag ist diesem wichtigen Grundsatz gefolgt und hat eine Förderung von „Abonnementzeitungen, -zeitschriften und Anzeigenblättern“ beschlossen. Damit konnte eine äußerst gefährliche Spaltung der Presse verhindert werden.

medienpolitik.net: Der VDZ stand bisher einer staatlichen Förderung eher skeptisch gegenüber, hatten sich zuletzt aber für eine Vertriebsförderung ausgesprochen. Die ist nun anscheinend vom Tisch. Welche Prozesse und Projekte der Zeitschriftenverlage sollen nun gefördert werden?
Scherzer: Wir wollten und wollen keine Staatshilfen an bestimmte (notleidende) Verlage. Wir sind für eine neutrale, nicht-selektive Förderung, die an objektive Kriterien anknüpft und den Wettbewerb nicht untergräbt. Wie etwa die reduzierte Mehrwertsteuer, die jede Publikation unabhängig von Inhalt, Ausrichtung, Erscheinungsweise etc. für Vertriebsumsätze erhält. Oder eine Förderung der Verbreitung und des Absatzes, wie es zu den 220 Mio. jetzt im Nachtragshaushalt heißt, wenn diese ebenfalls an neutrale Kriterien anknüpft, was ohne weiteres möglich und unseres Erachtens auch notwendig ist. Jeder Verteilschlüssel muss neutral und nicht-selektiv sein. Er darf keine redaktionellen Kriterien enthalten, nicht nach Titeln, Gattung, Verlag oder etwa bestimmten Projekten etc. diskriminieren. So wie die reduzierte Umsatzsteuer neutral und nicht-selektiv an die Höhe des Umsatzes anknüpft, muss auch die anstehende Förderung an objektive Kriterien wie etwa die versandten oder verbreiteten Exemplare anknüpfen, ggf. ergänzt um einen Kostenfaktor. So ein neutraler und ordnungspolitisch unproblematischer Schlüssel entspricht auch dem neuen Haushaltstitel und wird zudem letztlich verfassungsrechtlich indiziert. Der neue Haushaltstitel ersetzt die Förderung der „Zustellung“ zur Unterstützung der digitalen Transformation durch die Förderung „des Absatzes und der Verbreitung“ zur Förderung der digitalen Transformation des Verlagswesens. Wir gehen davon aus, dass die zuständigen Ministerien die Förderrichtlinie unter Beteiligung aller beteiligten Verlegerverbände erarbeiten werden.

medienpolitik.net: Gerät mit dieser breit angelegten Förderung der Zeitschriftenverlage die politische Unabhängigkeit der Zeitschriften in Gefahr, wie es Kritiker dieser Förderung befürchten?
Scherzer: Nein, denn auch die Absenkung der Mehrwertsteuer für die digitale Presse gefährdet die Unabhängigkeit nicht. Wir begrüßen es, dass die Bundespolitik Zeitschriften und Zeitungen bei den enormen Herausforderungen auf dem Weg in eine Zukunft unterstützen will, in der die Leser nach ihrer Präferenz mit allen digitalen und gedruckten Formaten bedient werden müssen. Auch mit der digitalen Transformation gibt es eine große Nachfrage nach gedruckter Publikums-, Fach- und konfessioneller Presse. Diese Nachfrage zu erfüllen, ist die grundrechtlich geschützte Freiheit, Aufgabe und Verpflichtung unserer Mitglieder. Den steigenden Zustellkosten kommen nicht nur für einen kurzen Zeitraum eine zunehmend existenzielle Bedeutung zu. Deshalb ist es problematisch, wenn die Förderung nur als einmalige Maßnahme erfolgen soll. Wir werden daher weiter dafür eintreten, dass die Politik eine für die Verlage wirtschaftlich verkraftbare Zustellung auf Dauer sicherstellt.

medienpolitik.net: Zu Ihren Forderungen gehörte bisher, „eine Post-Pressezustellung zu bezahlbaren Preisen zu ermöglichen“. Hat sich diese Forderung jetzt erübrigt?
Scherzer: Keinesfalls! Aktuell laufen die Gespräche mit der Deutschen Post zur kommenden Postpreisrunde, die die Preise für 2021 bestimmen werden. Auf der Jahrespressekonferenz des VDZ wurde die Geschlossenheit bei den Forderungen von Publikums- und Fachpresse sehr deutlich: weitere Preiserhöhungen sind nicht mehr zu verkraften – allenfalls ein Ausgleich der Teuerungsrate ist für die Publikums- und Fachverlage vertretbar. Wir werden die Situation bewerten, sobald die Postpreise für 2021 vorliegen.

medienpolitik.net: Wie sind die Zeitschriftenverlage bisher durch die Coronakrise gekommen?
Scherzer: Diese bewegten Monate zeigen die Bedeutung einer freien und vielfältigen Zeitschriftenpresse für unsere Gesellschaft: Die Menschen informieren sich über alle persönlichen, beruflichen und politischen Aspekte der Krise, gerade auch aus den gedruckten und digitalen journalistischen Angeboten der Fachmedien, Publikumszeitschriften und konfessionellen Presse. Das ändert nichts daran, dass die Zeitschriftenverlage vor der bislang größten Herausforderung in ihrer Geschichte stehen. Themen wie steigende Zustellungskosten oder die drohende E-Privacy-Verordnung, Verkürzung der Abolaufzeiten oder Totalregulierung des Telefonmarketings sind auch ohne Corona-Folgen existenzgefährdend. Die Krise hat die Situation massiv verschärft. Die Werbeeinnahmen sind im April, Mai – je nach Sektor – zwischen 20 und bis in der Spitze über 80 Prozent eingebrochen; das trifft ganz besonders die anzeigenfinanzierte Fachpresse in bestimmten Industriebereichen. Verkaufsstellen an Flughäfen und Bahnhöfen haben teilweise über 50 Prozent der Verkäufe verloren, darunter sind viele Verkaufsstellen mit großem Sortiment, was insbesondere Special-Interest-Titel sehr hart trifft. Im Einzelverkauf waren bis zu 8 Prozent der Verkaufsstellen geschlossen – so langsam kommt wieder Bewegung an die Bahnhöfe, an den Flughäfen sind wir noch weit davon entfernt. Im Einzelhandel ist die Nachfrage nach Zeitschriften annähernd stabil geblieben. Die deutlich gestiegene Nachfrage nach digitalen Angeboten – wir sehen einen großen Anstieg bei Digitalabos – kann die Rückgänge allerdings nicht auffangen. Umso wichtiger ist es, dass der Staat die für alle Verlage maßgeblichen Rahmenbedingungen so ausgestaltet, dass die gesamte Presse, Zeitschriften und Zeitungen, weiterhin unabhängig publiziert und auskömmlich finanziert werden können.

medienpolitik.net: Worauf werden sich die Zeitschriftenverlage im 2. Halbjahr konzentrieren?
Scherzer: Der Wunsch der Menschen nach fundierten, journalistischen Informationen in allen Segmenten ist in der Krise deutlich gewachsen. Gegen „Fake News“ helfen vor allem mehr „Unfaked News“ – journalistische Angebote, die die Leser bei ihren Bedürfnissen abholen, sei es beruflich oder im Privatleben. Um eine wirtschaftlich gesicherte Zukunft unserer weltweit einzigartigen Zeitschriftenbranche für die nächsten Jahre zu gewährleisten, mahnt der VDZ ein Belastungsmoratorium an. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung und das Parlament in dieser Krise weitere Belastungen für das digitale oder klassische Verlagsgeschäft unterstützen oder gar vorantreiben. Es gilt, die fatale E-Privacy-Verordnung zu entschärfen, die sowohl die digitale Werbung der Verlagswebsites als auch die Werbung digitaler Abonnenten, die von größter Bedeutung für die gesamte Presse sind, massiv bedroht. Die E-Privacy-Verordnung bedroht das Telefondirektmarketing, das für den Erhalt des Abo-Stamms von Zeitschriften und Zeitungen von herausragender Bedeutung ist. Beidem muss die Bundesregierung in ihrer EU-Ratspräsidentschaft jetzt entschieden und wirksam entgegentreten. Auch ein kurzfristig geplantes, nationales Datenschutzgesetz darf keinesfalls die digitalen Verlagsangebote beeinträchtigen. Der Vorschlag für ein gesetzliches Verbot längerer Abolaufzeiten muss dringend vom Tisch. Die bestehenden Möglichkeiten der Gestaltung von Abonnementlaufzeiten sind vielfaltsfördernd. Ebenso wenig darf das Telefonmarketing noch weiter beschränkt werden. Es ist ein unverzichtbarer Vertriebsweg für Zeitschriften und Zeitungen. Diese Krise ist ein enormer Stresstest für alle Systeme. Sie wird unsere vielfältige Zeitschriftenlandschaft deutlich zum Schlechteren verändern, wenn die Politik die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht fair gestaltet. Die Instrumente und gesetzgeberischen Mittel dafür sind vorhanden.

[Anm. d. Red.: Antworten vom 13. Juli 2020]

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