Christian Lindner: „Wir brauchen einen unabhängigen Journalismus“
PRINT&more | Eine freie Fach-, Publikums- und konfessionelle Presse ist nach Auffassung unserer Mitglieder auch im digitalen Zeitalter nur möglich, wenn Zeitschriftenmedien sich nach marktwirtschaftlichen Prinzipien finanzieren können. Gleichzeitig sehen wir politische Strömungen, die ideelle und unternehmerische Freiheiten durch staatliche Lenkung und Planung ersetzen wollen. Das gilt nicht nur für Klimaschutz und Pandemiebekämpfung, sondern greift bei Themen wie Desinformation und Medienförderung allmählich auch auf die Medien über. Will und kann die FDP da einen Unterschied machen?
CHRISTIAN LINDNER | Der Staat muss sich einerseits zurücknehmen und andererseits klare Grenzen setzen. Die Presse muss frei von staatlichen Zwängen und Wettbewerbsverzerrungen sein. Dies gilt im Gedruckten wie im Digitalen. Staatlich finanzierter Inhalt ist keine Antwort. Wir brauchen einen unabhängigen Journalismus und eine vitale Medienlandschaft. Die Verlage besitzen alles, was es braucht: Anpassungsfähigkeit, Kreativität und Unternehmergeist. Die Politik muss anschieben, Potenziale heben und Spielräume geben.
Zeitschriften sind schon seit Längerem nicht mehr nur gedruckt oder nur digital, sondern redaktioneller Inhalt, der seine Leser nach deren Wünschen auf allen Wegen bedienen muss. Die Millionennachfrage nach gedruckten Ausgaben ist ebenso legitim wie die Millionennachfrage nach digitalen Varianten. Deshalb müssen beide Produktions- und Vertriebsvarianten ökonomisch tragfähige Rahmenbedingungen vorfinden, sollen die Redaktionen erhalten bleiben. Teilen Sie diese Einschätzung? Sehen Sie Möglichkeiten, unsere Medienunternehmer bei dieser Aufgabe zu unterstützen?
Verlage brauchen rentable Geschäftsmodelle und freie Entscheidungen über Produktion und Vertrieb. Dafür benötigen sie Rahmen und Spielräume, die Rentabilität versprechen. Die Zustellkosten steigen jedoch stetig. Um der weiteren Konzentration im Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt entgegenzuwirken, die Lieferung in ländlichen Gebieten zu stabilisieren und damit die Pressevielfalt insgesamt zu stützen, kann ich mir grundsätzlich eine Zustellförderung für Zeitungen und Zeitschriften vorstellen, die allerdings zielgerichtet, fair und diskriminierungsfrei sein muss. Sie muss in deutlicher Abgrenzung zu redaktionellen Inhalten und unter Gewährleistung klarer marktwirtschaftlicher Wettbewerbsbedingungen stehen.
Die Publikationen unserer Mitglieder werden zunehmend über marktmächtige oder sogar monopolistische Digitalplattformen verbreitet; insbesondere Jüngere nutzen derartige Plattformen vielfach sogar als Hauptnachrichtenkanal. Wir fordern für Torwächterplattformen (Gatekeeper im Sinne des Entwurfs des Digital Markets Act), dass sie nicht willkürlich über Zugang und Sichtbarkeit von Publikationen und deren etwaige Bezahlung entscheiden dürfen, sondern, wie klassische Vertriebswege, alle legalen Presseprodukte fair und diskriminierungsfrei behandeln müssen. Wie ist die Haltung der FDP zu dieser Frage?
Wenn durch gezielte Vermittlungsleistungen Marktzutrittsschranken errichtet werden oder bei gezielter namentlicher Suche die Produkte oder Publikationen anderer Anbieter durch Gegenleistung bevorzugt behandelt werden, dann stellt das eine Verzerrung des Wettbewerbs dar. Monopolistische Digitalplattformen können dann ihre Marktstellung ausnutzen. Dass wir eine solche Verzerrung und Ausnutzung ablehnen, haben wir auch im Gesetzgebungsprozess der 10. GWB-Novelle klar in Form von Anträgen vertreten.
Google entlohnt inzwischen nach eigenem Gutdünken ausgewählte Publikationen im Rahmen des sogenannten Google News Showcase-Dienstes. Zeitschriften- und Zeitungs-verleger halten das für unzureichend. Sie fordern, dass die Digitalmonopole alle Zeitschriften- und Zeitungsmedien diskriminierungsfrei für die Verwertung des Presseverlegerrechtes vergüten. Tatsächlich könnte das GWB-Digitalisierungs-gesetz mit § 19a GWB eine entsprechende Handhabe bereitstellen. Immerhin soll Google inzwischen einer Verwertungsgesellschaft, die Presseverleger vertritt, ein Gespräch angeboten haben. Dieses Thema wird auch im Entwurf eines Digital Markets Act der EU verhandelt, bei dem die neue Bundesregierung mit am Tisch sitzen wird. Welchen Kurs unterstützen Sie?
Zu Monopolstrukturen neigende Gatekeeper-Unternehmen müssen einer speziellen Regulierung unterliegen. Diese soll verhindern, dass Gatekeeper den Wettbewerb verzerren, indem sie sich beispielsweise bei Suchergebnissen selbst begünstigen, indem sie die Interoperabilität mit Angeboten anderer Unternehmen einschränken oder indem sie die Geschäftsdaten ihrer Partnerinnen und Partner in unlauterer Weise zum eigenen Vorteil nutzen. Eine wirksame Kontrolle global agierender Gatekeeper kann nicht allein von der Ebene des nationalen Rechts ausgehen. Wir unterstützen deshalb die Pläne zur Schaffung eines DMA auf Ebene der EU, mit dem eine das Kartellrecht ergänzende europäische Regulierung für Gatekeeper geschaffen werden soll.
Eine weitere zentrale Frage für praktisch alle Zeitschriften und Zeitungen ist das zunehmend restriktive Datenschutzrecht. Die ebenfalls grundrechtlich geschützte ökonomische Seite der Pressefreiheit scheint dabei keine Rolle mehr zu spielen. Im Zuge immer weiter gehender Verschärfungen stellt schon das geltende Recht essenzielle Funktionen wie Reichweitenmessung, Ad-Blocker Detection, Werbefinanzierung und Werbung von Digitalabonnenten infrage. Weitere Verschärfungen drohen durch die E-Privacy-Verordnung, die nach einer VDZ-Studie bis zu 30 Prozent und mehr der Werbeeinnahmen der redaktionellen Angebote in Deutschland gefährdet. Wenigstens müsste sichergestellt werden, dass die Verlage die gesetzlich nötigen Einwilligungen von ihren Lesern auch in praktikabler Weise einholen können und dass solche Einwilligungen von Internetzugangssoft-ware und Gatekeepern beachtet werden müssen. Können Sie unseren Mitgliedern Hoffnung machen?
Es braucht mehr Klarheit, für welche Cookies eine Einwilligung erforderlich ist und welche für die Erbringung eines Internetdienstes unabdingbar sind (z. B. Session-Cookies). Kritisch sehen wir websiteübergreifendes Tracking und Profilbildung ohne Einwilligung der betroffenen Person. Cookie-Banner auf jeder Seite helfen aber niemandem, sondern werden weggeklickt. Wir sollten es daher den Nutzerinnen und Nutzern durch technische Vorgaben erleichtern, selbstbestimmt im Netz zu surfen. Wir sehen aber auch, dass die Betreiber einer Website ein nachvollziehbares Interesse haben können zu entscheiden, unter welchen Bedingungen sie ihr Angebot für Nutzer öffnen.
Die Fragen stellte Prof. Dr. Christoph Fiedler.