Merkpunkte zum Koalitionsvertrag
Berlin und Brüssel ersetzen zunehmend bürgerliche und unternehmerische Freiheiten durch staatliche Planung und Verbote. Damit ist eine beachtliche Selbstermächtigung der handelnden Politiker und Beamten verbunden. Pandemiebekämpfung, Klimarettung und der Kampf gegen Desinformation sind nur einige der hehren Ziele, die die Ausdehnung des Staates in alle Lebensbereiche rechtfertigen sollen. Es ist zu hoffen, dass die neue Bundesregierung um die Gefahren für unsere Freiheit wie für unsere Demokratie weiß, wenn sie dieses Politikverständnis auf die Medien überträgt. Für beide ist eine freie, staatsunabhängige Zeitschriften- und Zeitungspresse unverzichtbar. Und die kann nur erhalten werden, wenn die ökonomischen und publizistischen Rahmenbedingungen der Fach- und Publikumsverlage gestärkt und nachhaltig geschützt werden. Allein das Bekenntnis zur Freiheit der Presse reicht nicht. Es müssen eine angemessene Einordnung der Herausforderungen und Taten folgen. Eine Auswahl:
1.
Zeitschriften sind nicht digital oder gedruckt. Zeitschriften und Zeitungen sind bis auf Weiteres redaktioneller Inhalt, mit dem die Verlage ihre Leser nach deren Präferenz in gedruckter Form und auf allen digitalen Wegen bedienen müssen. Die Millionennachfrage nach gedruckter Presse ist ebenso legitim wie die Millionennachfrage nach digitaler Presse. Redaktionen und Verlage haben das Recht und die Aufgabe, mit ihren Publikationen beide Leserkreise zu informieren und zu unterhalten. Und der Fortbestand der jeweiligen Publikation hängt davon ab, dass es dem Verlag gelingt, mit den Einnahmen von beiden Seiten die Redaktion zu finanzieren.
Politik, die ihren Blick auf eine Vertriebsform beschränkt oder gar die eine gegen die andere auszuspielen versucht, ist auf dem Holzweg. Sie gefährdet die digitale Transformation. So ist die Verhinderung explodierender Kosten für die Zustellung von Zeitschriften und Zeitungen kein Festhalten an veralteten Strukturen, sondern eine zentrale Voraussetzung der digitalen Transformation. In dieser sind klassische wie digitale Presse legitim und müssen ökonomisch möglich sein, sollen die Redaktionen erhalten bleiben. Und die Aufgabe der Politik, die Funktionsfähigkeit freier Presse in einem zunehmend einseitigen Datenschutzrecht zur Geltung zu bringen, kann nicht durch den Verweis auf vielfach größere Finanzierungsanteile aus der gedruckten Verbreitung relativiert werden.
2.
Pressefreiheit existiert nur, wenn Zeitschriften- und Zeitungsmedien sich als Produkt nach marktwirtschaftlichen Prinzipien staatsunabhängig finanzieren können. Weder Mäzene noch eine staatliche Finanzierung bestimmter Publikationen oder Typen von Publikationen sind eine Alternative. Ebenso wenig darf der Staat selbst zum Verleger werden. Staatliche Medien sind das Gegenteil freier Meinungsbildung und verzerren den privaten Meinungsmarkt.
3.
Marktmächtige Digitalplattformen wie die Monopolsuche oder das herrschende soziale Netzwerk substituieren allmählich klassische Pressevertriebswege. Wollen wir die für Europa prägende Presse- und Meinungsvielfalt erhalten, müssen solche Torwächter dazu verpflichtet werden, allen legalen Zeitschriften- und Zeitungsangeboten Zugang zu diskriminierungsfreien und fairen Bedingungen zu gewähren. Es kann nicht sein, dass die Torwächter entscheiden, welche Publikation in der digitalen Welt sichtbar ist und welche verschwindet. Ebenso wenig ist es hinnehmbar, wenn Monopolplattformen auswählen, welche Publikation sie finanziell unterstützen. Stattdessen müssen die Digitalmonopole alle Zeitschriften- und Zeitungsmedien diskriminierungsfrei für die Nutzung des Verlegerrechtes entlohnen. Die EU hat mit der Einführung dieses Eigentumsrechts und Deutschland mit der Regulierung von Torwächterplattformen durch § 19a GWB jeweils einen wichtigen Schritt in diese Richtung getan. Die neue Bundesregierung muss nun mit Nachdruck darauf dringen, dass der in Brüssel verhandelte Digital Markets Act den Weg des § 19a GWB fortsetzt und nicht konterkariert.
4.
Die seit über zehn Jahren immer weiter verschärften Verbote der Verarbeitung personenbezogener Daten zu Marketing-, Werbe- und sonstigen gewerblichen Zwecken haben zu einem Rechtsrahmen geführt, in dem digitale Zeitschriften- und Zeitungsangebote nur noch mit einer Vielzahl von Einwilligungen eines jeden Lesers betrieben, geschweige denn finanziert werden können. Wenn die Politik so digitale Presseangebote weitgehend von komplexen Einwilligungen abhängig gemacht hat, muss sie im zweiten Schritt sicherstellen, dass die Verlage diese Einwilligungen praktisch einholen können, dass erteilte Einwilligungen nicht einfach von Torwächtern ignoriert werden und dass die Einwilligung in Datenverarbeitung zu legitimen Zwecken eine Bedingung für den Zugang zu Angeboten sein kann. Entsprechende Bestimmungen zum Schutz des Vorrangs der Individualeinwilligung vor generellen Softwaresettings muss die Bundesregierung sowohl in der E-Privacy-Verordnung als auch bei einer Rechtsverordnung zur Ausfüllung des TTDSG sicherstellen.
5.
Die Politik muss sicherstellen, dass die gesetzlich zulässige Datenverarbeitung zwischen Presseangeboten, Lesern und Werbungtreibenden nicht durch Torwächterplattformen nach deren Willkür und in deren Interesse weiter beschnitten wird. Nicht ohne Grund beschwert sich die deutsche Werbewirtschaft, dass Apple rechtmäßige werbefinanzierte Angebote im App Store mit über das Gesetz hinausgehenden Datenschutzvorgaben behindert. Und wenn Google mit der generellen Unterbindung von Third-Party-Cookies im marktbeherrschenden Browser Chrome gesetzlich zulässige Cookies abschafft, die für die Finanzierung vieler Angebote von großer Bedeutung sind, wird das nur einem Angebot mit Sicherheit nicht schaden: der Werbevermarktung von und durch Google (s. dazu „Datenschutz ist nicht Schutz von Datenimperien“ von Höppner/Westerhoff). Das Recht der Digitalangebote auf gesetzlich zulässige Datenverarbeitung mit ihren Kunden im Verhältnis zu Torwächterplattformen kann im Digital Markets Act ohne Probleme gesichert werden. Das moderne Datenschutzrecht begünstigt schon jetzt in nicht vertretbarer Weise die Plattformmonopole. Dürfen diese nun auch noch den Datenschutz instrumentalisieren, um mit ihrer Marktmacht rechtmäßige Geschäftsmodelle der Verlage und anderer Wettbewerber zu unterbinden, darf sich niemand wundern, wenn die Monopolisierung weiter voranschreitet.
6.
Presse- und Meinungsfreiheit ist in den Schranken der allgemeinen Gesetze vorbehaltlos gewährt. Selbst die haltlose Kritik herrschender Meinungen und selbst die Ablehnung allgemein geteilter Gewissheiten ist legitim. Ja, erst die ständige Infragestellung und Herausforderung der Mehrheitsmeinung durch Alternativangebote legitimiert diese als eine freie und demokratisch gebildete. Deshalb irrt die Politik, insoweit sie meint, inhaltlich rechtmäßige und damit grundrechtlich geschützte Artikel, die offline verbreitet werden dürfen, sollten durch Monopolplattformen anhand ihrer AGB oder politisch gebilligter Desinformationsstandards bekämpft werden dürfen. Was als legales Presseprodukt offline inhaltlich zulässig ist und am Kiosk verbreitet werden darf, darf auch online von digitalen Monopolen nicht aus inhaltlichen Gründen gesperrt werden. Andernfalls liefert Europa seine Presse- und Meinungsfreiheit der Willkür weniger Digitalplattformen aus. Die Bundesregierung muss dieser gefährlichen Entwicklung entgegentreten und den dafür nötigen Schutz im Digital Services Act endlich vorbehaltlos unterstützen.
7.
Abonnements sind das publizistische und ökonomische Rückgrat ungezählter Zeitschriften und Zeitungen. Das gilt online wie offline. Und ebenso technologieneutral gilt die Notwendigkeit permanenter adressierter Ansprache potenziell interessierter Neuabonnenten. Jede weitere Beschneidung der schon jetzt sehr beschränkten Möglichkeiten des Direktmarketings wäre fatal und muss unterbleiben. Das gilt auch für das Telefonmarketing.
8.
Weitere Beschränkungen medialer Werbung sind abzulehnen.
9.
Jede Erhöhung der Abgabenlast für die Verlage wäre verfehlt. Insbesondere kann und muss Deutschland verhindern, dass die EU-Kommission Pläne für eine europäische Steuer auf digitale Umsätze aus Werbung und Vertrieb etc. umsetzen kann. Diese EU-Digitalabgabe würde auch die Verlage zusätzlich belasten. In allen bisherigen Gesprächen mit der EU-Kommission war weder von großzügigen Schwellenwerten noch von einer Anrechenbarkeit der neuen Abgabe auf nationale Steuern die Rede.
// Von Prof. Dr. Christoph Fiedler, VDZ-Geschäftsführer Europa- und Medienpolitik, Chairman Legal Affairs EMMA