Pressefreiheit in Kriegs- und Krisenzeiten
Der Pressefreiheitsabend ist eine Kooperation des MVFP mit der Allianz, der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und dem rbb24 Inforadio. Die Diskussion im Allianz Forum wurde live gestreamt (hier zum Nachschauen); eine Aufzeichnung wird am Sonntag, 8. Mai, 11:04 Uhr und 20:04 Uhr in der Debatten-Sendereihe „Das Forum“ ausgestrahlt.
„Allein in diesem Jahr wurden bereits 26 Journalistinnen und Journalisten in Ausübung ihres Berufes getötet. Und das meist nicht in kriegerischen Auseinandersetzungen, sondern wenn sie über organisierte Kriminalität, Machtmissbrauch und Menschenrechtsverletzungen berichten“, beschrieb Christian Mihr, Geschäftsführer Reporter ohne Grenzen, die weltweite Lage der Pressefreiheit zum Auftakt der Diskussionsrunde „Pressefreiheit zwischen Krieg, Krise, Klima – Was passiert mit der Wahrheit in Kriegs- und Krisenzeiten?“
Der MVFP hatte am Vorabend des Internationalen Tag der Pressefreiheit gemeinsam mit seinen Partnern Allianz, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und rbb24 Inforadio zur Veranstaltung in das Allianz Forum am Brandenburger Tor in Berlin geladen.
Neben einer rapiden Verschlechterung der Lage in Afghanistan und Russland, gäben auch die deutlich gestiegene Inhaftierungszahl von Bürgerjournalistinnen und -journalisten, strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung – sogenannte „strategic lawsuit against public participation“ (SLAPP) – und digitale Massenüberwachung Anlass zur Sorge, mahnte Mihr. Letztere seien die größte Gefahr für Medienschaffende, da auf diese Weise der digitale Quellenschutz ausgehöhlt würde. Den Impulsvortrag schloss Mihr mit dem Appell, das Recht auf freien Journalismus entschieden zu verteidigen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der öffentliche Zweifel an der Unabhängigkeit der Presse und der Medien gestiegen sei.
Menschliche Begegnungen der Kriegspropaganda entgegensetzen
Wie Reporter in Kriegsgebieten an Informationen gelangen, darüber wusste Jan Jessen, Auslandreporter der FUNKE Mediengruppe zu erzählen, der am Vortag aus der Ukraine nach Deutschland zurückgekehrt war. „Der Krieg in der Ukraine ist auch aus journalistischer Sicht eine ganz besondere Herausforderung, wie wir es bisher noch nicht erlebt haben“, so Jessen. Man könne nicht von überall im Land berichten, dafür laufe die Propaganda auf allen Kanälen, mit denen auch die Social Media-Kanäle befüllt werden – es handele sich auch um einen Medienkrieg. In seiner journalistischen Tätigkeit verfolge er daher den Ansatz, menschliche, zufällige Begegnungen wiederzugeben. Denn die Geschichten, Erlebnisse und Erfahrungen der Menschen aus und in den Kriegsgebieten, ermöglichten einen Zugang zum Geschehen. Dabei sei ihm bewusst, dass die Informationen nicht eins-zu-eins mit dem Hergang übereinstimmen mögen, aber der Fakt, dass etwas passiert sei, sei nicht von der Hand zu weisen.
Tobias Wolf: Annäherung an die Wahrheit
Als „Annäherung an die Wahrheit“ durch die Vielzahl der Geschichten beschrieb Tobias Wolf, Journalist im Korrespondentenbüro Dresden der sächsischen Tageszeitung Freie Presse, die Herangehensweise. Denn auch im Lokaljournalismus werde der Krieg in der Ukraine durch die menschlichen Begegnungen mit Geflüchteten in Deutschland lebendig.
Jan Jessen: Wir erleben, dass den Menschen Wahrheiten völlig egal sind
Zur Wahrheit des journalistischen Alltags gehöre auch, die verringerte Medienkompetenz bei Jung und Alt, beobachten die Journalisten Jan Jessen und Tobias Wolf. So würden beispielsweise Meinungsbeiträge von anderen Rubriken nicht mehr unterschieden werden. Die Informationsflut und die Möglichkeit, sich die eigene Wahrheit aus dem Netz zu ziehen, führe zu größerer gesellschaftlicher Polemisierung und Sprachlosigkeit zwischen den Lagern, meint Jessen. Zum Teil sei Wahrheit sogar egal – auch wenn Journalisten falsche Informationen nachweisen, würde dieser Umstand ignoriert. „Bitte stören Sie mein Weltbild nicht mit Fakten“, fasste Tobias Wolf die Diskurs(un)fähigkeit in Teilen der Bevölkerung zusammen und betonte: es gäbe „kein Recht darauf, dass eine Meinung unwidersprochen stehengelassen wird.“
Prof. Dr. Sabine Schiffer: Nicht die Kompetenz der EU, in die Medien- und Informationsfreiheit einzugreifen
Kritisch betrachteten die Diskussionsteilnehmer das Verbot einzelner Medien sowie das Löschen von Kriegspropaganda und Fake News im digitalen Umfeld, die mit dem Digital Services Act der EU ermöglicht werde: Es sei nicht die Kompetenz der EU, in die Medien- und Informationsfreiheit einzelner Länder einzugreifen. Kriegspropaganda könne gelöscht werden, aber wer entscheidet, was Propaganda ist und was nicht, gab Prof. Dr. Sabine Schiffer, Leiterin des Instituts für Medienverantwortung, zu bedenken. Viel wichtiger sei es, Propaganda aufzudecken, strategische Kommunikation von politischer Seite zu beleuchten und aufzuzeigen, wenn beispielsweise Sachverhalte weggelassen werden, um spezifischen Narrativen zu dienen, betonte Schiffer. Tobias Wolf ergänzte, es sei wichtig, Diskurse in ihrer Breite und Tiefe zu führen, ohne die Argumentation zu verkürzen. "Wir brauchen ein Schulfach Medienbildung", appellierte Prof. Sabine Schiffer. "Ich finde es erstaunlich, dass wir uns das als Demokratie so leisten."
Dr. Maren Jasper-Winter: Dialog aufrechterhalten und fördern
Maren Jasper-Winter, Mitglied im Vorstand der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Mitglied im Bundesvorstand der FDP, warb dafür den Dialog mit russischen Journalisten aufrecht zu erhalten und zu fördern. Es sei wichtig, dass ein Austausch der Informationen stattfände und zu wissen, was in Russland geschrieben werde.
Einig war sich die Runde, dass es wichtig sei, guten Journalismus wie auch die Meinungsvielfalt zu fördern, zu unterstützen und statt Medien zu verbieten, die Medienkompetenz zu stärken.