Philipp Welte: „Wofür es sich zu kämpfen lohnt“
Es bedarf keiner aufwendig elaborierten Analysen, um mit großem Respekt auf die einzigartige Komplexität der Bedrohungen zu schauen, die sich in diesen Tagen kalt vor uns aufbäumen. Ein nüchterner Blick auf ein paar relevante Fakten genügt: Wir stehen vor der größten Herausforderung des publizistischen Ökosystems der deutschen Verlage seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Sieben Jahrzehnte später ist das Überleben der freien Presse, die unsere Demokratie auf ihrem Weg in Freiheit, Sicherheit und Wohlstand begleitet hat, nicht mehr selbstverständlich. Dafür aber zu kämpfen, dass der Journalismus der Verlage und die pluralistische Struktur der freien Unternehmen hinter ihm erhalten bleiben, ist unsere Mission – gerade angesichts dieses bedrohlichen Szenarios.
Der brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und in seiner Folge das ruinierende Aufeinanderprallen von Wirtschaftssanktionen Europas mit einem de facto folgenden Gasembargo Russlands haben uns den Blick in den ökonomischen Abgrund geöffnet. Energieknappheit, Rekordinflation, depressive Finanzmärkte und eine beginnende Weltrezession – die sorgenfreie Zeit nach dem Mauerfall ist endgültig vorbei. Im Ergebnis drohe Deutschland „eine Winterrezession“, prognostizierte vor ein paar Tagen das Münchener ifo Institut, und die Kollegen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle assistieren, die Krise koste Deutschland „erheblich Wohlstand, und das auf Dauer“. Die Fakten dahinter: Anfang 2023 wird die Inflation in Deutschland bei 11 Prozent liegen, der höchste Wert seit 1951. Durch die Krise wird die deutsche Wirtschaft 2023 schrumpfen, die Wertschöpfung um 240 Milliarden Euro niedriger ausfallen.
Der Wirtschaftsstandort Deutschland nimmt Schaden, und mittendrin stehen wir: die deutschen Verlage. Uns trifft diese Entwicklung, lange bevor unsere Produkte bei einem verunsicherten Konsumenten landen – mitten in der Produktion. Wenn der Gaspreis um 1.000 Prozent explodiert und grafisches Papier um bis zu 200 Prozent teurer wird, zerstört das die Wirtschaftlichkeit vieler Produkte und damit in der Kombination oft ganze Verlage.
Die Vielfalt an freien journalistischen Medien, die die unternehmerische Kraft der deutschen Verlagswelt in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat, ist in Gefahr. Das bedeutet auch: Der Wettbewerb um ökonomische Ressourcen wird härter, die politischen Debatten werden intensiver und die Arbeit unseres Verbandes damit immer wichtiger.
Reform und Neubeginn
Geleitet von unserem gemeinsamen Ziel, die Zukunft des vielfältigen, meist mittelständischen Unternehmertums der Verlage zu sichern, haben wir uns – damals noch als VDZ – vor gut drei Jahren auf den Prüfstand gestellt. Taugt unsere Verbandsorganisation noch für die politische Überzeugungsarbeit im 21. Jahrhundert? Wird der VDZ dem Anspruch an die politische Interessenvertretung von fast 500 kleinen und großen Verlagen und vielen Tausend Medienangeboten überhaupt noch gerecht? Können wir die riesigen Aufgaben, die allein die Digitalisierung uns vor die Tür gerollt hat, in dieser Struktur stemmen?
Wir haben diese Frage an uns selbst mit einem klaren Nein beantwortet und uns zu einer epochalen Reform entschlossen. Am Ende eines tief greifenden, demokratischen Reformprozesses waren wir als Branche sichtbar enger zusammengerückt, und wir hatten einen neuen Verband geschaffen: den Medienverband der freien Presse.
Unser Antrieb als Medienverband ist es, für die publizistische Vielfalt in unserem Land geradezustehen. Die im marktwirtschaftlichen Wettbewerb über Jahrzehnte entstandene Tiefe und Breite an journalistischen Medien gehört zu einer der wertvollsten Errungenschaften unserer Gesellschaft. Wir wollen die unabhängige und marktwirtschaftlich finanzierte freie Presse in all ihren Dimensionen sicher in die Zukunft führen, und dieser Auftrag war nie so wichtig wie jetzt angesichts der existenziellen Bedrohungen vor uns.
Auftrag an die Politik. Und an uns selbst.
Aber das ist auch ein Kampfauftrag: Wir werden unsere journalistische Freiheit im Kampf um Ressourcen unter den in den letzten Monaten massiv erschwerten wirtschaftlichen Vorzeichen nur verteidigen können, wenn faire politische Rahmenbedingungen es uns erlauben, uns nachhaltig marktwirtschaftlich zu finanzieren. Wir müssen der Politik jetzt klarmachen, was es für die Stabilität einer Demokratie und für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland bedeuten würde, wenn der Journalismus und das verlässliche Wissensangebot der Verlage verschwinden würden.
- Wir müssen uns in Berlin und Brüssel für eine zeitgemäße Weiterentwicklung der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für die freie, marktwirtschaftlich finanzierte Presse einsetzen.
- Wir müssen die regierenden Parteien in Berlin an ihr Versprechen im Koalitionsvertrag erinnern, die „flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen zu gewährleisten“.
- Und wir müssen uns schließlich selbst damit beauftragen, die fundamentale Bedeutung des freien Unternehmertums der Verlage immer so selbstbewusst zu vertreten, wie es ihrer zentralen Funktion in einer demokratischen Gesellschaft entspricht.
Wir alle begreifen uns als Teil der freien Presse, also als Teil eines unabhängigen journalistischen Navigationssystems für die Menschen in Deutschland. Wir stehen für die Freiheit der Meinungen und die Verlässlichkeit der Information. Wir stehen für die tiefe private, berufliche und politische Information der Menschen in Deutschland. In allen Lebensbereichen. Und als Branche, die geprägt ist von unternehmerisch agierenden Familien, stehen wir auch für die Stabilität unserer Gesellschaft gerade in einer Zeit dramatischer Krisen.
Was uns alle verbindet, ist die Überzeugung von der herausragenden Rolle der Freiheit für eine freie Gesellschaft. Deshalb sind wir bereit, für unsere Zukunft zu kämpfen. Denn der Tag, an dem wir aufhören, für die Freiheit zu kämpfen, ist der Tag, an dem die Freiheit stirbt.