Clap | Stephan Scherzer: „Die Koalition muss ihre Handlungsfähigkeit demonstrieren“
Verbrennermotor, Heizungen und Sozialleistungen. Das sind die Themen, auf die die Bundesregierung setzt. Hinsichtlich Medienpolitik gab es dagegen von der Ampel nur wenige kernige Äußerungen, geschweige denn Beschlüsse, obwohl es ja im Koalitionsvertrag ganz deutlich um die „Sicherstellung einer Verfügbarkeit von periodischen Druckerzeugnissen“ geht. Doch so sicher ist gerade gar nichts, in der Printbranche herrscht gerade großer Stress. Nun hofft MVFP-Verbandsgeschäftsführer Stephan Scherzer, dass wenigstens bis Ende 2023 endlich die viel besprochene Zustellförderung kommt. Wir sprachen mit ihm darüber im Rahmen seiner Jahrespresskonferenz.
Seit etlichen Jahren wird nun schon um die sogenannte Presseförderung seitens der Bundesregierung gerungen. Doch konkrete Ergebnisse gibt es bislang immer noch nicht. Wie erklären Sie sich die Zögerlichkeit der Ampel in dieser Sache?
Scherzer: Es ist höchste Zeit, dass die Koalition – wie im Koalitionsvertrag beschlossen – die „flächendeckende Versorgung mit periodischer Presse“, also die ordnungspolitisch unbedenkliche Förderung von Zeitschriften und Zeitungen umsetzt. Die Verlage können die hohen Kosten der digitalen Transformation noch aus eigener Kraft stemmen, aber die nicht mehr kontrollierbaren Kostensteigerungen bei Papier, Energie, Druck und Zustellung sind zu viel. Warum das grundsätzlich federführende Bundeswirtschaftsministerium das Vorhaben bislang nicht vorangetrieben hat, können Ihnen nur die dort Verantwortlichen erklären. Nun hat sich das Bundeskanzleramt wohl eingeschaltet. Wir werden sehen.
Nun rechnen Sie etwa Ende des Jahres möglicherweise mit Beschlüssen. Ist das nicht ein recht langer Zeitraum, wenn man bedenkt, wie viele Zeitschriften bereits jetzt in ihrer Existenz bedroht sind?
Es droht tatsächlich großer Schaden für unsere Demokratie und für unsere Wissensgesellschaft. Denn die Fach-, Publikums- und konfessionelle Presse sichert die vertiefte berufliche, private und politische Information und Bildung jenseits der Tagesaktualität. Die Zeitschriften bringen darüber hinaus all jene aktuellen Nachrichten im jeweiligen Segment, die in den tagesaktuellen Presseerzeugnissen keine Erwähnung finden können. Die Koalition muss und kann ihre Handlungsfähigkeit demonstrieren – die Argumente liegen auf dem Tisch.
Ihr Vorstandsvorsitzender, Philipp Welte, hatte Mitte der Woche auf Ihrer Jahrespresskonferenz noch einmal betont, es gehe grundsätzlich nicht um eine Zustellförderung. Vielmehr stehe im Koalitionsvertrag etwas von „Sicherstellung einer Verfügbarkeit von periodischen Druckerzeugnissen“. Wo ist hier per Definition der Unterschied?
Das Vorhaben der Koalition, die „flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen zu gewährleisten“, erfasst diskriminierungsfrei Zeitschriften und Zeitungen aller Art – das ist eine sehr kluge und vor allem richtige Formulierung. Diese Gewährleistung ist einschlägig, wenn Zeitungen in bestimmten Gebieten nicht mehr zugestellt werden können. Sie ist ebenso einschlägig, wenn Zeitschriften ihr Erscheinen einstellen müssen und dann nirgendwo mehr erhältlich sind, weder auf dem Land noch in der Stadt. Von größter Bedeutung ist dafür ein nicht selektiver und redaktionsferner Fördermaßstab, der den Wettbewerb innerhalb der Presse nicht verzerrt. Ein Beispiel dafür ist die Anknüpfung an versendete oder verbreitete Exemplare von Zeitschriften und Zeitungen. Eine solcher Maßstab ist sachgerecht, da die nicht beherrschbaren Kosten ganz wesentlich für die gedruckten Ausgaben entstehen. Und ist damit auch eine Förderung der Digitalisierung, da die gedruckten Ausgaben für die Finanzierung der Redaktionen ebenso wie für die Investitionen in die digitale Transformation unverzichtbar sind.
Wie könnten Sie seitens des Verbands in den nächsten Monaten erreichen, dass Gespräche zum Thema noch schneller vonstatten gehen könnten? Die Produktionspreise sind ja nun auch gerade in den vergangenen Monaten explodiert.
Der Verband hat im kontinuierlichen Dialog mit den Verantwortlichen in der Koalition, verstärkt durch die Erkenntnisse aus der Schickler-Studie im Jahr 2021, deutlich gemacht, dass bis 2024 rund 30 Prozent der Zeitschriften existenzgefährdet sind. Die extrem gestiegenen, nicht zu beeinflussenden Kosten sind zu viel, um gleichzeitig die hohen Investitionen in die digitale Transformation leisten zu können.
Welche Nachteile oder Vorteile könnten eigentlich daraus entstehen, dass sich nun das Wirtschaftsministerium nicht mehr zuständig sieht in dieser Sache?
Die Koalition insgesamt ist sich des Themas sehr bewusst. Nur die diskriminierungsfreie Förderung von Zeitschriften und Zeitungen ist ordnungspolitisch tragfähig, verzerrt nicht den Wettbewerb zwischen den Gattungen – und trägt der Unteilbarkeit der Presse Rechnung. Dass wissen der Bundeskanzler und die Koalitionsspitzen.
Erschienen am 21.04.2023 auf https://clap-club.de/.