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Urheberrecht, Publishers' Right, Europa, FOCUS Online

VDZ-Präsident Thiemann im FOCUS-Online-Interview: „Furcht vor Zensur ist unbegründet“

MVFP in den Medien Nachrichten Medienpolitik

Verleger wehrt Vorurteile gegen Urheberrecht ab - Dr. Rudolf Thiemann im Interview mit FOCUS-Online-Chefredakteur Florian Festl | erschienen bei FOCUS Online am 23. März 2019

Kommende Woche stimmt das Europaparlament über eine Reform des Urheberrechts ab. Im Kern sollen damit Internetplattformen gezwungen werden, keine Inhalte auf ihren Seiten zuzulassen, für die die Urheber keine Lizenz erteilt haben. Dabei könnten sogenannte Uploadfilter zum Einsatz kommen. Doch die sind umstritten.

Im Interview mit FOCUS Online erklärt der Präsident des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger, Rudolf Thiemann, was dahinter steckt und warum die Furcht vor Zensur unbegründet ist.

FOCUS Online: Der AFP-Kriegsreporter Sammy Ketz bezeichnet das Urheberrecht als "eine Frage von Leben und Tod" für Publisher. Stimmen Sie dem zu? Warum ist das so?
Rudolf Thiemann: Die Berichterstattung der freien Presse aus Kriegs- und Krisengebieten ist häufig die einzige Chance der dort leidenden und sterbenden Menschen, Aufmerksamkeit und damit Hilfe zu erhalten. Diese gefährliche Arbeit von Sammy Ketz und seinen Kollegen kostet viel Mut, den ich persönlich sehr bewundere. Diese gefährliche Arbeit kostet auch viel Geld, das durch Abwanderung der Einnahmen von den Medien hin zu den Internetplattformen immer weniger wird. Deshalb hat Sammy Ketz Recht. Ja, eine ausreichende Finanzierung der freien Presse ist auch eine Frage von Leben und Tod. Deshalb ist es unverständlich, wenn Teile der Politik sich weigern, Leistungsschutzrechte für die digitale Presse zu unterstützen, obwohl solche Rechte eine notwendige Bedingung der Finanzierung von Journalismus im Internet sind.


Thiemann: "Beschränkt die Macht der Internetkonzerne"

FOCUS Online: Mit dem Verlegerrecht soll die Macht großer Internetkonzerne wie Google und Facebook eingeschränkt werden. Glauben Sie wirklich, dass das ausreicht, damit einzelne Verlage gegenüber diesen Riesen bestehen können, beziehungsweise was braucht es noch?
Thiemann: Das Verlegerrecht ist eine zentrale Rahmenbedingung digitaler Presse. Die Bedeutung des Rechts können Sie schon an der Vehemenz erkennen, mit der Google und Co. es bekämpfen. Nur mit einem solchen Recht haben die Verlage eine Chance, über die Vermarktung ihrer journalistischen Produkte in einer digitalen Welt zu entscheiden und die Arbeit von Sammy Ketz und seinen Kollegen zu finanzieren. Dabei ist das Presseverlegerrecht in der Fassung des EU-Vorschlags ein klassisches immaterielles Eigentumsrecht. Es zwingt Weiterverkäufer wie Google zu fragen, bevor sie das Produkt der Verlage an Dritte vermarkten. Die damit verbundene Zuweisung eines Vermögensrechts an die Verlage – und damit mittelbar auch an die Journalisten – ist schon für sich genommen eine Beschränkung der Macht der Internetkonzerne.

Das Eigentumsrecht schafft faire Preise in funktionierenden Märkten. So machen wir uns beispielsweise keine weiteren Sorgen im Verhältnis zu digitalen Pressebeobachtungsdiensten, soweit diese das Presseverlegerrecht benötigen, um digitale Medienspiegel an Geschäftskunden zu verkaufen. Denn es gibt dort keine Monopole, und so wird jeder bereit sein, über einen fairen Preis zu verhandeln. Allein ein Monopolist wie die Suchmaschine Google ist versucht, ihre Macht zu missbrauchen und nur einen Preis von Null zu akzeptieren. Wir müssen sehen, wie sich das mit einem europaweiten Recht entwickelt. Gegebenenfalls müssen die Bemühungen der Wettbewerbshüter intensiviert werden, das Suchmonopol zu beenden oder es zu wenigstens zu zwingen, auf seiner Monopolplattform fairen Wettbewerb zuzulassen. Oder aber es bedarf in einer nächsten Runde der Ergänzung des Urheberrechts um eine Regelung der kollektiven Rechtewahrnehmung. Aber das alles ändert nichts an dem notwendigen ersten Schritt, zunächst einmal überhaupt ein Verlegerrecht zu schaffen.


Thiemann zu Upload-Filter: "Furcht vor Zensur ist unbegründet"

FOCUS Online: Upload-Filter sollen die Internetkonzerne in die Pflicht nehmen, damit es keine Urheberrechtsverstöße mehr gibt. Was entgegnen Sie Menschen, die Zensur durch die Unternehmen befürchten?
Thiemann: Diese Furcht ist unbegründet, ja haltlos. Bei Artikel 13, der übrigens nichts mit dem Presseverlegerrecht zu tun hat, geht es um die Verantwortung kommerzieller Upload-Plattformen, insbesondere von Youtube. Dabei ist zunächst einmal niemand betroffen, der eigene Äußerungen, Musik oder Videos auf Youtube hochlädt. Und auch wer lieber die Werke anderer hochlädt, wird im Zweifel mehr und nicht weniger Möglichkeiten dazu haben. Lassen Sie mich das erklären:

Man muss zunächst einmal sehen, dass keine wirklich neuen Sperrungsverpflichtungen eingeführt werden. Auch Ihre Frage scheint ja davon auszugehen, dass der Vorschlag bislang nicht existierende Filter einführt. Tatsächlich sperrt Youtube seit langem auf Grundlage des geltenden Rechts und seiner allgemeinen Geschäftsbedingungen Musik und Filme ohne jede Rücksicht auf den Kontext der jeweiligen Verwendung, wenn der Rechteinhaber entsprechende Informationen zu den geschützten Werken eingereicht hat. Niemand hat da bislang von Upload-Filtern oder Zensur des Internet gesprochen.

Der Vorschlag gestaltet nun dieses Verfahren rechtlich und verbessert dabei sogar die Meinungsfreiheit der Nutzer. Bislang können Nutzer einen Film oder eine Musik, die Youtube gesperrt hat, selbst dann nicht hochladen, wenn sie das jeweilige Werk nur im Rahmen eines urheberrechtlich zulässigen Zitates oder einer zulässigen Satire verwenden wollen. Das wird sich ändern. Erstmals wird Youtube gesetzlich verpflichtet sein, das Hochladen geschützter Werke im Rahmen rechtmäßiger Zitate etc. zu gestatten. Und außerdem muss Youtube erstmals ein schnelles und effektives Beschwerdeverfahren zur Verfügung stellen, in dem sich Nutzer gegen Sperrungen ihrer Uploads wehren können.

Noch wichtiger ist aber Folgendes: Die Sperrung geschützter Werke nach Information durch den Rechteinhaber ist gar nicht der Hauptansatz des Vorschlags. In erster Linie sollen die Plattformen Lizenzen mit den Rechteinhabern abschließen, die dann auch die Nutzer selbst von jeder Verantwortlichkeit freistellen. Nur wo es zu keinen Lizenzen kommt, müssen die Plattformen, wie schon skizziert, im Rahmen des technisch und wirtschaftlich Zumutbaren geschützte Werke sperren, sofern die Rechteinhaber ausreichende Informationen zur Verfügung gestellt haben.


"Fake News" bei Reformgegnern?

FOCUS Online: Die Debatte wird extrem emotional geführt. Sie selbst sprechen von "Fake News" auf Seiten der Reformgegner. Ähnlich wie beim Thema Brexit hat sich dabei gezeigt, wie sehr Algorithmen auf Google, Youtube und Twitter bestimmte Sichtweisen auf die Diskussion befördern können. Welche Lehren müssen wir daraus ziehen?
Thiemann: Desinformationskampagnen der Internetkonzerne und ihrer Unterstützer scheinen sich mit den üblen Manieren der Reformgegner an den digitalen Stammtischen derselben Internetkonzerne gegenseitig zu befruchten und hochzuschaukeln. Das Ausmaß an Häme und Beleidigungen, mit dem Befürworter der Reform beispielsweise auf Twitter vielfach überschüttet werden, spricht nicht dafür, dass dort mit vernünftigen Diskussionen zu rechnen ist.

Dabei sehe ich vor allem zwei Gefahren: Es wird zum einen schon dann heikel für unsere Demokratie, wenn Politiker und Journalisten die Minderheit derjenigen, die die Zeit und das Interesse haben, an solchen Stammtischen regelmäßig Platz zu nehmen, für wichtiger halten als die Mehrheit der Bevölkerung, die sich mit gutem Recht für diese Kommunikationsform höchstens am Rande interessiert. Zum anderen darf Kommunikation nicht in Einschüchterung oder sogar Gewalt umschlagen: Bombendrohungen gegen Axel Voss, der mit Besonnenheit, Kompromissbereitschaft und Augenmaß für ein urheberrechtliches Reformprojekt eintritt, sind inakzeptabel und müssen strafrechtlich verfolgt werden.


Thiemann sieht Medien in der Verantwortung

FOCUS Online: Vor allem junge Menschen reagieren auf die Novelle mit Ärger. Wie wollen Sie diese Zielgruppe überzeugen?
Thiemann: Der einfachste Weg der Überzeugung ist in diesem Fall eine Verabschiedung der Reform, die zeigen wird, dass alle Befürchtungen grundlos sind. Die Europaabgeordneten dürfen sich ganz einfach nicht irreführen und nicht einschüchtern lassen. Im nächsten Schritt müsste diese große Täuschung dann aber auch rückblickend aufbereitet und kommuniziert werden. Da sind die Medien in der Verantwortung.

FOCUS Online: Glauben Sie wirklich, dass Google etwa für die Snippets – also die Aus­schnitte redaktioneller Texte, die in den Such-Treffern angezeigt werden - bei der Suche zahlen wird?
Thiemann: Wir sind nun wieder bei dem anderen Thema, dem Presseverlegerrecht. Wenn die Reform kommt, letztlich: ja. Eine andere Frage, ist wann. Das hängt, wie gesagt, davon ab, ob und gegebenfalls welche zusätzlichen rechtlichen und politischen Maßnahmen notwendig sein werden, um die Durchsetzung des Rechts gegenüber einem Monopolisten im Bereich der Suche durchzusetzen. Das kann gegebenfalls dauern.

FOCUS Online: Welche Einnahmen erhoffen Sie sich für die deutschen Publisher?
Thiemann: Die genaue Höhe der Einnahmen ist schwer zu schätzen. Das dürfte dann letztlich der Tarif einer Verwertungsgesellschaft bestimmen. Es werden in jedem Fall bedeutsame Beiträge zur Finanzierung der Arbeit von Sammy Ketz und seiner Kollegen sein.


Thiemann: "Nachzugeben wäre politischer Selbstmord"

FOCUS Online: Die aktuelle Fassung des Urheberrechts stammt aus dem Jahr 2000. Damals gab es Plattformen wie YouTube und Facebook noch nicht. Bräuchten wir regelmäßige Review-Prozesse für die digitale Gesetzgebung, um zu vermeiden, dass solche Regelungslücken wie jetzt entstehen? Ist die Politik der Digitalisierung nicht viel zu weit hinterher?
Thiemann: Nun, die Erwartung, dass Politik die künftige Entwicklung der Menschheit durch Gesetze vorwegnehmen und steuern könnte, ist meines Erachtens weder realistisch noch wünschenswert. Erkennen wir an, dass Gesetze die Reaktion auf veränderte Realitäten sind, erkennt man auch, dass der Streit tatsächlich um die Frage der richtigen Entscheidung geht. Für Europa wäre es kultureller und letztlich auch politischer Selbstmord, den Internetkonzernen auf Kosten der europäischen Kreativen nachzugeben.


Google als Content-Markt?

FOCUS Online: Die Diskussion betrifft nicht nur Suchmaschinen, sondern auch News-Apps. Apple will offenbar 50 Prozent der Einnahmen aus einer geplanten News App für sich behalten. Damit blieben für die Publisher höchstens ebenfalls 50 Prozent. Ist das fair?
Thiemann: Ein deutliches „Nein“. Der Verkauf journalistischer Produkte über Apples Plattform rechtfertigt keine Marge von 50 Prozent. Der Wein ist wertvoller als der Schlauch, nicht umgekehrt.

FOCUS Online: Könnte das für Google der Anlass sein, in den Content-Markt einzusteigen und mit seiner Wirtschaftsmacht die etablierten Verlage weiter in Bedrängnis zu bringen?
Thiemann: Nach wie vor besteht das Geschäftsmodell von Google im Wesentlichen darin, Werbung auf seinen Plattformen im Umfeld von Inhalten zu vermarkten, die man von Dritten möglichst ohne Entgelt bezieht und enorme Datenmengen mit kostenfreien Diensten wie Gmail, Maps oder Translate zu sammeln. Demgegenüber sind die bisherigen Projekte, Paid Content zu unterstützen bzw. zu vermarkten, wenig wirksam und halbherzig. Die Freie Presse benötigt keine Subventionen vom Staat oder Gutsherrenmodelle wie die Google-News-Initiative, sondern faire Wettbewerbsbedingungen und Plattformen, die wenn es sein muss durch den Gesetzgeber in die Verantwortung genommen werden.
 

Das Interview führte FOCUS-Online-Chefredakteur Florian Festl.

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