Eröffnungsrede von VDZ-Präsident Dr. Rudolf Thiemann beim Publishers‘ Summit 2021
Sehr verehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
20 Monate Pandemie begleiten uns bereits, und es ist noch länger her, dass wir uns so treffen konnten wie heute. Wie alle anderen auch müssen wir mit Auflagen leben, mit Freiheitsbeschränkungen, an die wir uns möglicherweise gewöhnt haben, die wir allerdings so bald wie möglich hinter uns bringen sollten. Wie so oft kommt es darauf an, Rechtsgüter abzuwägen, in diesem Fall Gesundheit versus Freiheit, und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Was richtig ist oder falsch, in dieser Frage gehen die Meinungen bekanntlich auseinander. Also empfehle ich die Verständigung auf das Angemessene.
„In der Pandemie hat unsere Branche Resilienz bewiesen“, so Philipp Welte, Sprecher der Publikumszeitschriften im VDZ. Medienmarken der Zeitschriftenverleger haben sich behaupten können, ihre Position in der Informationshierarchie der Bundesbürger gefestigt sowie digital signifikante Zuwächse erzielt. Es ist zudem kein Geheimnis, dass die Pandemie den Strukturwandel in unserer Branche noch einmal beschleunigt hat. Die Nachfrage am Lesermarkt jedoch, funktionierende 360 Grad – Geschäftsmodelle und die nach wie vor ungebrochene Innovationskraft unserer Mitglieder gepaart mit unternehmerischem Mut beweisen die Zukunftsfähigkeit der Verlagsunternehmen.
Die Pandemie hat den VDZ nicht daran gehindert, seinen Aufgaben nachzugehen. In Hunderten von Digitalkonferenzen, -seminaren und Informationsveranstaltungen mit Tausenden von Teilnehmern und Teilnehmerinnen haben sich unsere Mitglieder auch in diesen besonderen Zeiten von der Service- und Beratungsqualität unserer hauptamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Berlin überzeugen können.
Was den Reformprozess unseres Verbandes angeht, möchte ich behaupten, dass der Zwang zu Videokonferenzen die notwendigen Abstimmungen beschleunigt hat. Denn wo viele eingebunden werden müssen, lässt sich schneller ein gemeinsamer Termin vor dem Bildschirm finden. Zur Reform selbst möchte ich mich vor dem Hintergrund zurückhalten, dass unsere Branchenkollegen darüber ja bereits in der jüngeren Vergangenheit zutreffend berichtet haben. Nur so viel: Nach wir vor bleibt es das Ziel, einen starken, zukunftsfähigen Bundesverband zu gestalten mit transparenten und demokratischen Strukturen, einem einheitlichen und fairen Beitragssystem sowie einem flächendeckend gleichbleibendem Leistungsangebot. Wir sind auf einem sehr guten Weg.
Kommen wir zur Politik. „Der Beitrag der Politik muss es sein, sich klar gegen jegliche Angriffe auf die Pressefreiheit zu stellen. (...) und die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, dass Journalismus wirtschaftlich erfolgreich sein kann.“ Dies ist ein Zitat von Olaf Scholz, bald wohl Bundeskanzler, zu lesen in PRINT&more Nr. 3 dieses Jahres. Welcher Politiker würde diesen Satz nicht unterstreichen?
Hält er aber auch einer Überprüfung im Konkreten stand?
Die wesentlichen Themen seien genannt:
Erstens: In der digitalen Transformation sind gedruckte wie digitale Vertriebsformen gleichermaßen legitim, unverzichtbar und schützenswert. Allein der Leser entscheidet über die Darreichungsform. Wir haben das Recht und die Aufgabe, die Millionennachfrage nach gedruckter Presse ebenso zu bedienen wie die Millionennachfrage nach digitaler Presse. Unser Fortbestand hängt davon ab, dass wir mit den Einnahmen von beiden Seiten Journalistinnen, Journalisten und Verlagskaufleute finanzieren können. Was Ihnen und mir selbstverständlich erscheint, ist der Politik häufig noch fremd. Sie beschränkt gerne den Blick auf eine Vertriebsform oder spielt gar die eine gegen die andere aus. Das ist nicht gut und gefährdet die digitale Transformation. So ist die Verhinderung explodierender Kosten für die Zustellung von Zeitschriften und Zeitungen kein Festhalten an veralteten Strukturen. Wirtschaftlich verkraftbare Zustellkosten sind im Gegenteil eine zentrale Voraussetzung einer erfolgreichen Transformation. Deshalb ist eine diskriminierungsfreie Förderung der Zustellung periodischer Presse unter Einschluss aller Arten von Zeitschriften und Zeitungen ein wichtiger Baustein zum Schutz der Pressefreiheit und -vielfalt.
Zeitschriften- und Zeitungsverleger dürfen sich auf keinen Fall auseinander dividieren lassen. Vertiefte Antworten auf Fragen, die wir uns als Berufstätige, Wähler, Sport-, Technik- oder Kulturinteressierte stellen, geben Redaktionen von Zeitschriften. Die Leistungen von Fachmedien, Publikumszeitschriften und konfessionellen Medien sind ebenso einmalig und schätzenswert wie die der tagesaktuellen Presse. Zeitungen und Zeitschriften ergänzen einander. Gemeinsam machen sie das aus, was hoffentlich jede Bundesregierung als freie Presse schützen will.
Zweitens: Datenschutzrecht bedroht die Finanzierbarkeit digitaler Zeitschriftenmedien. Es schreibt digitalen Angeboten vor, umfangreiche konkrete Einwilligungen eines jeden Lesers nachzuweisen. So weit, so gut. Die Abhängigkeit von komplexen Nutzereinwilligungen führt indes nicht dazu, dass Politik sich bemüht, uns die Einholung dieser Einwilligungen zu erleichtern. Im Gegenteil, es werden etwa im Zusammenhang mit Einwilligungsmanagern neue Hürden erdacht.
Unsere Forderung: Wer digitale Angebote weitgehend von komplexen Einwilligungen abhängig macht, muss ihnen im zweiten Schritt eine einfache und praktikable Einwilligungseinholung ermöglichen. Das bedeutet im einzelnen folgendes:
Unsere Angebote müssen ihre Nutzer nach Einwilligungen fragen dürfen. Browser und andere Gatekeeper müssen die erteilten Einwilligungen umsetzen und dürfen sie nicht blockieren. Schließlich brauchen wir das Recht, den Zugang zu unseren Digitalangeboten von der Einwilligung in legitime Datenverarbeitung abhängig zu machen. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für den wirtschaftlichen Betrieb digitaler Presse. Es muss doch klar sein: Es gibt kein Recht des Publikums auf entgeltlose Presseerzeugnisse, auch nicht in der digitalen Welt.
Drittens: Marktmächtige Digitalplattformen wie das Google-Suchmonopol oder das soziale Netzwerk Facebook substituieren allmählich klassische Pressevertriebswege. Solche Torwächter müssen im Digital Markets Act der EU verpflichtet werden, allen Zeitschriften und Zeitungen diskriminierungsfreien Zugang zu fairen Bedingungen zu gewähren. Es kann nicht sein, dass solche Monopole entscheiden, welche Publikationen in der digitalen Welt sichtbar sind oder nicht. Ebenso wenig ist es hinnehmbar, wenn Monopolplattformen (willkürlich bzw. dem Eigennutzen folgend) auswählen, welche Publikation sie finanziell unterstützt.
Wir haben lange und schließlich erfolgreich für ein Leistungsschutzrecht gekämpft. Jetzt muss sich auch in der Praxis durchsetzen, dass die Verwendung von Inhalten aufgrund des Verlegerrechts zu entlohnen ist.
Es ist deshalb für uns unverständlich und auch inakzeptabel, dass EU-Kommission und nun auch offenbar der Ministerrat Google und Facebook von der grundlegenden Verpflichtung auf faire und diskriminierungsfreie Zugangsbedingungen ausnehmen wollen. Weder die geschäftsführende noch die künftige Bundesregierung darf dem zustimmen. Die Basisverpflichtung von Google und Facebook auf Fairness und Nichtdiskriminierung ist die Geschäftsgrundlage jeder Monopolregulierung und muss eine rote Linie für jede Bundesregierung sein.
Damit ist die Liste politischer Baustellen nicht erschöpft. Insbesondere in Brüssel scheint ein Klima zu herrschen, dass der Vorstellung vom freien und mündigen Bürger spottet. Müssen wir uns darauf vorbereiten, dass eines Tages ein Abonnementvertrieb nicht mehr möglich ist, weil der mündige Bürger vor einer solchen Verpflichtung geschützt werden muss? Es ist kaum zu glauben, wie weit die Regulierungswut im Kleinen reicht, während es unendlich lange dauert, die wirklich gefährlichen Player einzuhegen.
Um dieses Kapitel ebenfalls mit einem Zitat eines zukünftigen Regierungspolitikers abzuschließen, zitiere ich Christian Lindner (FDP), der heute Nachmittag trotz der Herausforderung der Regierungsbildung die Zeit findet, hier vor uns zu sprechen. Er sagt: „Presse muss frei von staatlichen Zwängen und Wettbewerbsverzerrungen sein. Dies gilt im Gedruckten wie im Digitalen.“ Wer würde nicht auch das unterschreiben. Bemerkenswert allerdings ist seine weitere Ausführung, übrigens auch in PRINT&more. „Staatlich finanzierter Inhalt ist keine Antwort.“ Das deckt sich hundertprozentig mit unserer Auffassung, dass Staatspresse, selbst wenn sie mit gesetzlicher Grundlage daher kommt, grundsätzlich verfassungswidrig ist.
Meine Damen und Herren,
es war ein Paukenschlag, als am 8. Oktober bekannt wird, dass das Nobelkomitee in Oslo zwei Journalisten mit dem Friedensnobelpreis auszeichnet:
Die philippinische Journalistin Maria Ressa und den russischen Journalisten Dmitri Muratow. Es ist eine Ehrung in Zeiten von politischem Druck und Fakenews, ein Zeichen für die Pressefreiheit. „Freier, unabhängiger und faktenbasierter Journalismus dient dem Schutz vor Machtmissbrauch, Lügen und Kriegspropaganda.“, so das Nobelkomitee. Ressa und Muratow haben sich unerschrocken und unter Lebensgefahr für die Meinungsfreiheit eingesetzt, und das in Ländern, die nicht für ausgeprägte Rechtsstaatlichkeit bekannt sind. Ein Vergleich zu Deutschland verbietet sich deshalb.
Allerdings möchte ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass sich im Jahr 2020 Straftaten gegen „Medienschaffende“ in Deutschland gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt haben. Die meisten Fälle ereigneten sich im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Demonstrationen. 252 Straftaten, darunter 22 Körperverletzungen, vier Brandstiftungen, zahlreiche Fälle von Nötigung und Bedrohung, Volksverhetzung, Raub und Erpressung, überwiegend aus dem rechten Spektrum, aber auch aus dem linksradikalen Milieu. Dieser beunruhigende Trend muss gestoppt werden, und deshalb fordern wir die Innenbehörden, im besonderen die Polizei ausdrücklich auf, Journalisten und Journalistinnen bei ihrer Arbeit besser zu schützen.
In diesem Jahr, meine sehr verehrten Damen und Herren, können wir endlich wieder eine Tradition fortsetzen, nämlich die Auszeichnung von Persönlichkeiten, die sich in besondere Weise um Werte verdient gemacht haben, die auch auf der Fahne der Verleger und Verlegerinnen stehen. Mit großer Freude verleihen wir eine „Victoria für Freiheit“ an Marianne Birthler, Bundespräsident Joachim Gauck und Roland Jahn. Den Fortbestand der Demokratie zu schützen, für Freiheit und Vielfalt einzustehen, Unabhängigkeit zu wahren, souverän und frei von Zwängen leben und wirtschaften zu können, sind Ziele, für die unsere Mitglieder unter dem Dach des VDZ kämpfen. Wir wissen die Preisträger der „Victoria für Freiheit“ an unserer Seite und freuen uns auf die Verleihung im Anschluss an diesen Summit.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Berlin, 4. November 2021
Dr. Rudolf Thiemann
Präsident des VDZ Verband Deutscher Zeitschriftenverleger e.V.,
geschäftsführender Gesellschafter der Liborius-Verlagsgruppe